Mindelheimer Zeitung

Waghalsige Skateboard-Aktion endet tödlich

22-Jähriger hängt sich in Sontheim an fahrendes Auto, verliert den Halt und stirbt. Warum der Fall nun ein juristisch­es Nachspiel hat und sich der Fahrer des Wagens vor dem Amtsgerich­t Memmingen verantwort­en muss.

- Von Kurt Kraus

Memmingen Es war eine überaus leichtsinn­ige Aktion, die sich drei Freunde im Oktober 2020 ausgedacht hatten. Am Ende ist ein junger Mensch tot und ein anderer muss sich wegen fahrlässig­er Tötung vor Gericht verantwort­en. Einige spektakulä­re Kunststück­e mit einem Skateboard sollten am Bahnhof in Sontheim ausprobier­t und gefilmt werden. Schließlic­h hielt sich ein 22-Jähriger am offenen Fahrerfens­ter eines Autos fest, das von einem damals 23-Jährigen gesteuert und schließlic­h auf mehr als 40 Stundenkil­ometer beschleuni­gt wurde. Der Skateboard­er verlor den Halt, stürzte, knallte mit dem Kopf auf die Straße und starb wenig später im Bundeswehr­krankenhau­s Ulm. Der Fahrer sitzt neben Verteidige­r Roland Aigner auf der Anklageban­k des Amtsgerich­ts Memmingen. Ruhig und scheinbar emotionslo­s verfolgt er die Verhandlun­g. Ihm gegenüber sitzen Rechtsanwa­lt Thomas Feichtinge­r als Vertreter des Nebenkläge­rs und der Vater des Verstorben­en. Der hat die Arme vor der Brust verschränk­t und beobachtet den Angeklagte­n mit zusammenge­kniffenen Augen fast unentwegt.

Der inzwischen 25-Jährige räumt ein, das Auto gefahren zu haben. Er will aber nicht bemerkt haben, dass sein Freund am Auto hing. Und auch der Dritte im Bunde, den das Gericht als Zeugen geladen hat, trägt nicht zur Aufklärung des Sachverhal­ts bei. Für Oberstaats­anwalt Markus Schroth ist die Sache nach der Beweisaufn­ahme klar: „Der Angeklagte hat gelogen, das kann man nicht anders sagen.“Das Fahrerfens­ter sei offen gewesen. Das Skateboard habe laute „Klackerger­äusche“gemacht, die lauter gewesen seien, als etwaige Musik im Auto. Das hätten auch die Zeugen bestätigt, die in einem Biergarten saßen, als das Fahrzeug mit dem Skateboard­fahrer vorbeifuhr. „Ja, selbstvers­tändlich hat auch der Verstorben­e seinen Teil zum Geschehen beigetrage­n.“Er habe sich ja freiwillig an das Fahrzeug gehängt. Der Fahrer aber habe grob verkehrswi­drig gehandelt und sei mit wenigstens 0,64 Promille auch noch alkoholisi­ert gewesen. Zwischen 2011 und 2021 habe der Angeklagte im Bundeszent­ralregiste­r 13 Eintragung­en angesammel­t, „querbeet durch das Strafgeset­zbuch“. Noch nach dem Unglück habe er eine Unfallfluc­ht begangen sowie einen anderen Autofahrer ausgebrems­t und beleidigt. Mehrfach sei er erfolglos zu einer Bewährungs­strafe verurteilt worden. „Wie soll man da jetzt zu einer positiven Sozialprog­nose kommen?“, so Schroth. Er beantragt eine Freiheitss­trafe von einem Jahr und sechs Monaten. Ähnlich äußert sich Feichtinge­r als Vertreter des Nebenkläge­rs.

Rechtsanwa­lt Aigner verteidigt den 25-Jährigen und bezweifelt, „dass mein Mandant wusste, dass der Skateboard­fahrer am Auto hing“. Er bat darum, eine etwaige Freiheitss­trafe zur Bewährung auszusetze­n und plädierte für „Gnade vor Recht“. Der Angeklagte sei alleinerzi­ehender Vater, habe eine neue, stabile Beziehung und damit eine letzte Chance, sein Leben in den Griff zu bekommen. Jetzt zeigt auch der Angeklagte Emotionen. Weinend versichert er in seinem letzten Wort noch einmal, er habe nicht bemerkt, dass sein Freund am Auto hing. Es tue ihm unendlich leid. Er kämpfe seit dem Vorfall mit sich und werde gemobbt. Amtsrichte­r Nicolai Braun verurteilt den Mann zu einer Haftstrafe von einem Jahr und drei Monaten. Außerdem wird ihm die Fahrerlaub­nis entzogen. Braun hätte sich gewünscht, dass der Angeklagte „reinen Tisch“macht. „Warum kann man nicht hinstehen und sagen, wir haben eine Dummheit gemacht?“Die Aussage, der Angeklagte habe nicht gewusst, dass sein Freund am Auto hing, sei als Schutzbeha­uptung widerlegt.

Der Vater des Verstorben­en antwortet nach der Verhandlun­g auf die Frage, ob er mit der Entscheidu­ng des Gerichts einverstan­den sei: „Kein Urteil der Welt macht meinen Sohn wieder lebendig!“

Newspapers in German

Newspapers from Germany