Abschied vom Menschenfreund
Er war der vielleicht erste echte Superstar im deutschen Fußball. Nun ist Franz Beckenbauer mit 78 Jahren gestorben – und das Allgäu trauert um den „Kaiser“, der so viel mehr war, als nur ein erfolgreicher Fußballer.
Am Tag, als der Deutsche Fußball-Bund (DFB) 1994 seine Entscheidung bekannt gab, war Franz Beckenbauer in Bad Wörishofen bei seinem ehemaligen Teamkollegen und Namensvetter Franz Bulle Roth in dessen Sportgeschäft zu Gast und gab Autogramme. Weil wenige Tage zuvor Thomas Helmer im Bundesligaspiel gegen den 1. FC Nürnberg das legendäre „Phantom-Tor“erzielt hatte, beriet der DFB zur gleichen Zeit über eine Spielwiederholung.
Bei der Autogrammstunde sagte Beckenbauer, damals Trainer des FC Bayern, noch einigermaßen gemäßigt, dass seine Meinung in diesem Falle nicht wichtig sei. Nur so viel: „Wenn es zum Wiederholungsspiel kommt, muss der letzte Spieltag verschoben werden. Aber wir wollen Meister werden und müssen dann halt noch einmal gewinnen“, sagte Beckenbauer.
Wenig später war klar: Es kommt zum Wiederholungsspiel – und der letzte Spieltag wird nicht verschoben. Beckenbauer, der damals mit dem FC Bayern München am Abend noch ein Freundschaftsspiel in Mindelheim gegen Türk Gücü Mindelheim absolvierte, quittierte diese Entscheidung in seiner typischen Art: „Für diesen Schafskäse hätten auch zwei Minuten gereicht, die Beratungen hätten keine drei Stunden dauern müssen.“
Die Stimmung des „Kaisers“war schon einmal besser. Dass sein Team am Abend das Spiel in Mindelheim vor 4500 Fans mit 13:0 gewann, war Nebensache. Trotzdem nahm sich Beckenbauer beim Spiel Zeit für die Fans, gab wie am Nachmittag bei Bulle Roth fleißig Autogramme. Er war, wie es der Bad Wörishofer Sportfotograf Bernd Feil ausdrückt, „einfach ein toller Mensch“.
Von ihm hatte er die erste Autogrammkarte. „Wir waren damals mit der Familie im Urlaub in Österreich und haben dort eine Freundin der Mutter von Franz Beckenbauer getroffen. Sie sagte, sie könne mir ein Autogramm besorgen“, erinnert sich Feil, der damals 13 Jahre alt war. „Ich war dann aber doch recht überrascht, als ein Brief kam samt einem Autogramm. Sogar mit Widmung ,Hallo Bernd, alles Gute‘. Darauf war ich stolz wie Bolle.“
Feil begleitet den FC Bayern – und damit Franz Beckenbauer – seit Mitte der 1990er-Jahre. „Er war zu jedem nett, zu jedem Ordner, jeder Putzfrau, zu allen Fotografen. Als er Präsident beim FC Bayern war, waren die Jahreshauptversammlungen immer witzig.“Feil und seine Fotografenkollegen seien Beckenbauer immer noch dankbar, dass er die WM 2006 nach Deutschland gebracht hat. „Das war für uns alle einzigartig.“
Einzigartig, wie Beckenbauer selbst. „Er hat das Leben so vieler Menschen bereichert“, sagt etwa Franz Bulle Roth. Elf Jahre liefen er und Franz Beckenbauer für den FC Bayern München auf. In dieser Zeit entwickelte sich eine enge Freundschaft zwischen dem Allgäuer, der 1966 zum FC Bayern kam und dem gebürtigen Giesinger, der im selben Jahr in England seine erste Fußball-Weltmeisterschaft absolvierte. Die Nachricht vom Tod des „Kaisers“traf Roth sehr. „Ich bin sehr traurig“, sagte der 77-Jährige
aus Bertoldshofen. Bis Beckenbauers Wechsel zu New York Cosmos im Jahr 1977 spielten die beiden für den FCB und gewannen in dieser Zeit unter anderem vier Meisterschaften sowie dreimal den Europapokal der Landesmeister.
Neben all den sportlichen Erfolgen als Spieler und als Trainer sieht Bulle Roth bei Beckenbauer aber etwas anderes, was als „größtes Vermächtnis“bleibt. „Es ist der Umgang mit den Menschen. Er hat alle gleich behandelt – egal ob Bundeskanzlerin oder Putzfrau. Das war sein großes Plus“, sagt
Roth. Von Beckenbauers Empathie profitierte auch Roth, als er als junger Spieler nach München kam. Und auch der aktiven Karriere hielten die beiden FCB-Legenden Kontakt, auch wenn die persönlichen Treffen seltener wurden. „Ich habe ihn im September 2022 in Salzburg besucht, da ging es ihm noch relativ gut. Danach haben wir noch oft telefoniert“, erzählt Roth.
Die Erinnerungen an die gemeinsamen Erlebnisse auf dem Fußball- und auf dem Golfplatz bleiben – ebenso wie die Sprüche des „Kaisers“. „Er hatte einfach
Ausstrahlung und war eine große Persönlichkeit. Da ließ man ihm auch seine Sprüche durchgehen“, sagt Roth. „Er hat mich auch gefrotzelt: ,Brauchst nicht stolz auf deine drei Bypässe sein, ich hab’ vier‘.“Die letzten Jahre in Beckenbauers Leben waren von Schicksalsschlägen wie dem Tod seines Sohnes Stephan 2015 und Krankheiten geprägt. „Er konnte zuletzt nur noch schwer sprechen“, sagt Roth. „Für seine Familie und Freunde ist es ein ganz schlimmer Verlust. Aber ich glaube, für Franz war der Tod eine Erlösung.“Mit großer Betroffenheit hat auch Karl-Heinz Riedle aus Weiler-Simmerberg auf den Tod von Franz Beckenbauer reagiert. Der 58-jährige Westallgäuer war Teil der Weltmeistermannschaft von 1990, die in Italien und in der Heimat die Massen begeistert hatte. Riedle war zwar für ein Gespräch nicht erreichbar, ließ unserer Redaktion allerdings ein paar Zeilen schriftlich zukommen, die seine enge Verbundenheit zu Beckenbauer und seine Trauer über den Tod des „Kaisers“unterstreichen. „Wir sind alle sehr traurig“, schreibt Riedle, „die Welt hat mit Franz einen der größten Fußballer und vor allem eine unfassbare Persönlichkeit verloren.“
Beckenbauer habe auch ihn als Jugendlichen jahrelang geprägt: „Er war eine Inspiration und ein Vorbild für alle jungen Fußballer!“Natürlich verbindet Riedle die meisten seiner Erinnerungen an Franz Beckenbauer aus der gemeinsamen Zeit vor und während der Weltmeisterschaft 1990 in Italien, bei der die Chemie im DFBTeam von Anfang bis Ende stimmte und der „Kaiser“zur Schlüsselfigur des Erfolgs wurde. Riedle schreibt: „Der Weltmeistertitel mit ihm als Teamchef wird uns 90erMannschaft für immer mit ihm vereinen. Er war ein außergewöhnlich netter Mensch! Wir werden ihn vermissen.“
Auch Ex-Profi Dieter Frey verbindet mit dem Trainer Franz Beckenbauer eine ganz besondere Erinnerung. „Er hat mir mein erstes Bundesligaspiel ermöglicht. Für mich persönlich war er ein sehr wichtiger Mensch und ein großer Fürsprecher. Ich war wirklich traurig, als ich von seinem Tod erfahren
„Er hat das Leben so vieler Menschen bereichert.“
Franz Bulle Roth
„Er war extrem fleißig und akribisch.“
Dieter Frey
habe“, sagt der Wiggensbacher, der von 1992 bis 1996 beim FC Bayern spielte.
In diesem Zeitraum sprang Beckenbauer zweimal als Trainer beim deutschen Rekordmeister ein. Zusammen feierten Frey und Beckenbauer 1996 den Gewinn des UEFA-Cups. „Ich war ja ein junger Spieler und muss sagen: Man hat ihm einfach alles geglaubt, weil er so unglaublich authentisch war“, sagt Frey.
Als Trainer konnte Beckenbauer durchaus „wütend und laut“werden. „Auf der anderen Seite war wieder sehr umgänglich“, sagt der 51-Jährige. „Eines muss ich unterstreichen: Es ist ihm nie alles zugeflogen. Er war extrem fleißig und akribisch.“Unter anderem habe Beckenbauer – damals ein Novum – einen eigenen Statistiker eingestellt. „Er hat auch selber alles bis ins Detail analysiert. Diese Hingabe – egal ob als Spieler, Trainer oder später als Funktionär – war vorbildlich“, sagt Frey, der beim eingangs erwähnten Freundschaftsspiel in Mindelheim ebenfalls auf dem Platz stand. Wenige Tage später kam es dann in der Bundesliga zum Wiederholungsspiel gegen Nürnberg, das der FC Bayern mit 5:0 gewann. Am letzten Spieltag der Saison 1993/94 gewannen die Bayern dann auch ihr Heimspiel gegen Schalke mit 2:0 und holten den Titel. Für Beckenbauer, der als Spieler fünfmal deutscher Meister wurde, war es der erste und einzige Meistertitel als Trainer.