Die lächelnde Verliererin
Der republikanischen Präsidentschaftsbewerberin Nikki Haley gelingt bei den Vorwahlen ein Minisieg. Doch der ist unbedeutend: An diesem Dienstag drohen ihr gleich 15 Niederlagen. Trotzdem gibt sie nicht auf – weil sie auf die Zeit nach Donald Trump spekuliert?
Die Frau auf dem Podium will gerade über Amerikas Rolle in der Welt sprechen, als sie von einem lauten Zwischenrufer unterbrochen wird. „Ceasefire!“– „Waffenstillstand!“–, brüllt ein propalästinensischer Demonstrant irgendwo aus der dicht gedrängten Zuschauermenge im Westin-Hotel Tysons Corner. Es ist bereits der fünfte Störer an diesem Abend. „Regt euch nicht auf! Mein Mann kämpft für deren Recht, das zu tun“, hat Nikki Haley beim ersten Mal noch gesagt. Inzwischen ist sie spürbar genervt. Doch mit eiserner Disziplin friert sie das Lächeln auf ihrem Gesicht ein und unterdrückt jede unfreundliche Reaktion.
Was hätte Donald Trump wohl aus der Szene gemacht? Vielleicht hätte er von der Bühne gezischt: „Geh’ nach Hause zu Mama!“– wie kürzlich in South Carolina. Oder gebrüllt: „Hau ab! Schafft ihn hier heraus!“– wie vor ein paar Wochen in New Hampshire. Gut möglich, dass der Favorit für die republikanische Präsidentschaftskandidatur anschließend seine Anhänger erneut mit der Verschwörungslegende aufgehetzt hätte, die Protestler würden vom jüdischen Investor und Philanthropen George Soros bezahlt.
Das alles macht seine innerparteiliche Herausforderin nicht. Haley wartet, bis Ordner den Störer aus dem Saal geführt haben. Dann redet sie weiter: Über ihre Eltern, die aus Indien in ein Land einwanderten, das „stolz und voller Optimismus“war. Über ihren in Afrika stationierten Mann Michael, der als Nationalgardist bereit ist, „sein Leben für Amerika zu geben“. Und über ihre Kinder, die inmitten von Hass und gesellschaftlicher Polarisierung endlich erleben sollen, „wie sich Normalität anfühlt“.
Es ist eine gesittete und sehr konservative Welt, die Nikki Haley hier im Norden des Bundesstaats Virginia, nur eine halbe Autostunde von der Hauptstadt Washington entfernt, beschreibt, wo viele weiße Familien in ordentlichen Einfamilienhäusern mit Garage wohnen. „Sie ist die beste republikanische Kandidatin seit Ronald Reagan“, schwärmt Alexei Sobchenko, ein aus der früheren Sowjetunion emigrierter Übersetzer: „Alles, was sie sagt, kann ich unterschreiben.“
Rund 500 Zuhörerinnen und Zuhörer sind in das Westin-Hotel gekommen. Auch anderswo im Land, das die 52-Jährige gerade von Utah über North Carolina und Maine nach Texas in einer atemlosen LastMinute-Werbetour durchkreuzt, findet sie viel Zuspruch. Doch trotz der 100 Millionen Dollar, die sie bisher in dem innerparteilichen Rennen verpulvert hat, konnte sich Trump in den vergangenen Wochen sechsmal so viele Delegiertenstimmen sichern. Acht Primaries in großen Bundesstaaten hat seine Herausforderin verloren und nur eine einzige Abstimmung mit gerade mal 2000 Teilnehmern in der tief demokratischen Hauptstadt Washington am Sonntag für sich entschieden. An diesem Dienstag nun dürfte endgültig klar werden: Nikki Haley hat keine Chance mehr, in diesem Jahr Präsidentschaftskandidatin der Republikaner zu werden.
Am „Super Tuesday“nämlich finden in 15 US-Bundesstaaten Vorwahlen statt – darunter in Kalifornien und Texas, wo zusammen fast so viele Menschen wie in Deutschland leben. Mehr als ein Drittel aller Delegiertenstimmen für den Parteitag im Juli werden vergeben. Im liberalen New Hampshire und ihrem Heimatstaat South Carolina hatte Haley zuletzt mit zehn oder 20 Punkten Rückstand gegen Trump verloren. Bei den nun bevorstehenden Abstimmungen liegt sie laut Umfragen rund 50 Punkte hinter dem Ex-Präsidenten. Vielerorts gilt das Winner-takes-it-allPrinzip. Deshalb könnte Trump nach einer weiteren Primary-Runde schon in zwei Wochen über die absolute Mehrheit der Delegiertenstimmen verfügen.
Und dann spielt ihm am Montag auch noch die Justiz in die Karten. Nach Auffassung des Supreme Court, des Obersten Gerichts der USA, ist die Streichung seines Namens vom Wahlzettel im Bundesstaat Colorado trotz Trumps Verhalten 2021 beim Angriff auf das Kapitol in Washington nicht rechtens. Trump kann also nicht von Vorwahlen ausgeschlossen werden. Schon bald dürfte somit klar sein: Die USA stehen im November vor einer Neuauflage des Duells Joe Biden gegen Donald Trump. Das weiß auch Haley. „Heute ist nicht das Ende unserer Geschichte“, erklärte sie gleichwohl am Abend ihrer Wahlniederlage in South Carolina. Auch in Falls Church gibt sie sich kämpferisch. „Anfangs waren 14 Leute in dem Rennen. Ein Dutzend Kerle habe ich geschlagen“, sagt sie trotzig: „Jetzt muss ich nur noch einen überholen.“
Ein netter, wenngleich etwas gequälter Mutmacher. Was aber will Haley wirklich? Wird sie am Ende doch vor Trump in die Knie gehen wie so viele Kritiker vor ihr? Spekuliert sie auf ein Amt? Oder hat sie ein ganz anderes, langfristiges Kalkül? Darüber rätseln viele in Amerika.
So wirklich viel weiß man ohnehin nicht über die Frau, die sich als Alternative zum Amtsinhaber im Weißen Haus und dessen Vorgänger präsentiert. Jünger als Biden ist sie zweifellos, und im Gegensatz zu Trump respektiert sie die demokratischen Institutionen. Aber sonst? Als damalige Gouverneurin von South Carolina hatte Haley anfangs Trump kritisiert, bevor sie 2017 als UN-Botschafterin in seine Dienste wechselte. Nach dem Kapitolsturm im Januar 2021 ging sie wieder auf Distanz. Dann erklärte sie, sie werde im Präsidentschaftsrennen keinesfalls gegen Trump antreten, um es später doch zu tun, den Kontrahenten aber monatelang nicht anzugreifen.
Bei ihrem 40-minütigen Auftritt in Falls Church bietet Haley eine Mischung aus klassisch-konservativen Glaubensbekenntnissen und vagen Allgemeinplätzen. Sie wirbt für strikte Haushaltsdisziplin, niedrigere Steuern, weniger Staat, ein starkes internationales Engagement der USA und eine restriktive Einwanderungspolitik. In der Abtreibungsdebatte ist sie „kompromisslos“für den Schutz des ungeborenen Lebens, will aber Befürworter von Schwangerschaftsabbrüchen „nicht verurteilen“. Sie droht, Kongressabgeordneten das Gehalt zu streichen, wenn sie keinen Haushalt beschließen, verspricht besseren Lese-Unterricht für Kinder und fordert kognitive Leistungstests für ältere Politiker.
Das wichtigste Versprechen der Kandidatin aber ist Normalität: „Ich möchte, dass wir uns zum Abendessen an den Tisch setzen können, ohne zu streiten.“Nach anfänglicher Zurückhaltung geht sie seit ein paar Wochen den Spalter Trump offensiv an: „Was Trump anfasst, wird zum Chaos“, ruft sie unter Beifall in den Saal. Der Ex-Präsident stoße Menschen ab, statt seine Partei zu stärken: „Alles, was er tut, dreht sich um ihn selbst.“Statt die Verbündeten und die Ukraine zu unterstützen, verbünde er sich mit „Betrügern“, „Tyrannen“und „Verrückten“: „Amerika braucht einen Anführer mit moralischer Klarheit!“, fordert sie. Der Saal applaudiert.
Inzwischen klingt Haley fast wie jene Trump-Gegner, die sich viel früher und entschiedener gegen den Möchtegern-Diktator gestellt haben und von der Partei geschasst wurden. Diese moderaten Republikaner organisieren sich nun bei der Graswurzel-Bewegung „Principles First“.
„Ein Dutzend Kerle habe ich geschlagen. Jetzt muss ich nur noch einen überholen.“
„Ich spüre keine Notwendigkeit, seinen Ring zu küssen.“
Bei deren Jahrestreffen Ende Februar in Washington spürte man viel Sympathie, aber auch eine gewisse Skepsis gegenüber Haley. „Jetzt ist sie die Person, von der ich immer hoffte, dass sie es sein würde“, sagte die konservative Politikberaterin Sarah Longwell, um kritisch hinzuzusetzen: „Sie hat schon auf vielen Seiten von Trump gestanden.“
Die Frage, auf welcher Seite des Partei-Paten dessen Herausforderin im November tatsächlich landet, ist noch nicht endgültig entschieden. „Ich spüre keine Notwendigkeit, seinen Ring zu küssen“, hat Haley gesagt. Tatsächlich legt sie mit ihrer Kandidatur, selbst wenn sie nur 40, 30 oder 20 Prozent der Stimmen auf sich vereinen kann, Trumps Verwundbarkeit offen. Doch sehr bald droht ihrer Kampagne das Geld auszugehen. Erste Großspender sind schon abgesprungen. Wie sieht ihr Plan B aus?
„So weit denke ich nicht voraus“, behauptet Haley am vergangenen Freitag bei einem Gespräch mit Journalisten in Washington. Anfangs war spekuliert worden, sie treibe ihren Preis in der Hoffnung hoch, am Ende zur Vize-Kandidatin gekürt zu werden. Das dementiert Haley entschieden. Dann hieß es, sie wolle als „Ersatzkandidatin“für den Fall einer gerichtlichen Verurteilung Trumps an Bord bleiben. Doch ist es extrem unwahrscheinlich, dass der Kontrahent vor der Wahl hinter Gittern landet. Schließlich könnte Haley als unabhängige Präsidentschaftskandidatin antreten. Um im Zwei-Parteien-System der USA wenigstens eine minimale Chance zu haben, müsste sie sich dazu aber mit einem Demokraten verbünden. Haley winkt unmissverständlich ab: „Ich kann das, was ich umsetzen will, nicht mit einem demokratischen Vizepräsidenten erreichen.“
Am plausibelsten erscheint daher inzwischen, dass die 52-Jährige solange wie möglich im Rennen bleiben und Trump ärgern will, um sich für die nächste Präsidentschaftswahl 2028 zu profilieren. Sollte Trump im November im politischen Duell mit Biden abermals unterliegen, könnte Haley auf ihre frühen Warnungen verweisen. Der Kolumnist Frank Bruni hat sie in der New York Times deshalb eine „I told you so“-Kandidatin genannt: „Ich habe es euch gesagt“, sei ihr Motto. Mehr als den kurzfristigen eigenen Triumph habe sie die Niederlage ihres Gegners im Blick.
„Ich bin Buchhalterin. Ich weiß, dass 40 Prozent keine 50 Prozent sind. Aber ich weiß auch, dass 40 Prozent keine kleine Gruppe sind“, hat Haley ihr Abschneiden in South Carolina kommentiert. Vieles hängt nun davon ab, wie sich diese Gruppe aus moderaten Republikanern und unabhängigen Wählern verhält, wenn Haley aus dem parteiinternen Rennen fliegt: Werden die meisten dann zähneknirschend doch Trump ihre Stimme geben?
Unter den Besuchern in Falls Church herrscht keine Einigkeit. „Ich bewundere Haley für ihren Mut und ihre Vernunft“, sagt Betty, eine 71-Jährige, die nur mit dem Vornamen zitiert werden will. Mit ihrer Kritik an Trump habe Haley völlig recht: „Ich würde nicht für Trump stimmen.“Notfalls will die ältere Dame aus Protest handschriftlich „Nikki Haley“auf den Wahlzettel schreiben.
Auch Alexei Sobchenko kann Trump nicht ausstehen. Der sei nicht ganz richtig im Kopf, sagt der Übersetzer: „Ich würde wahrscheinlich gar nicht zur Wahl gehen.“Seine Bekannte Amena, mit der er zu der Veranstaltung gekommen ist, sieht den Ex-Präsidenten weniger negativ. Vor allem mag sie dessen Frau Melania. Sie hat sich noch nicht entschieden, ob sie ihn wählen würde. In einem Punkt aber sind sich die drei Haley-Anhänger einig. Ganz egal, wie toll es Trump auch treibt: Für Joe Biden werden sie nicht stimmen.