Digitale Schule der Zukunft
Bad Wörishofens Mittelschule beteiligt sich an bayernweitem Pilotprojekt. Was Eltern und Schulkinder jetzt wissen müssen.
Bad Wörishofen Kinder wachsen heute mit digitalen Technologien auf und entwickeln Fähigkeiten, von denen sie lebenslang profitieren. Das Innovationspotenzial von Digitalisierung verändert den Schulalltag. Das erfahren auch rund 50 Jugendliche in Bad Wörishofen. Die Pfarrer-Kneipp-Mittelschule ist eine von drei Mittelschulen im Unterallgäu und Memmingen, die für das Pilotprojekt „Digitale Schule der Zukunft“ausgewählt wurden. Schwabenweit sind es 24. In den beiden achten Klassen gehören Tablets, Apps und Co. seit diesem Schuljahr zum Alltag.
Um schulisches und häusliches Lernen miteinander zu verknüpfen, erhalten die Schülerinnen und Schüler je 300 Euro für die Anschaffung staatlich bezuschusster Tablets. „Bei uns an der Schule erhält jede und jeder dasselbe Equipment“, erklärt Nicolas Schergun. Der 36-Jährige ist seit September 2022 in der Kneippstadt tätig und unterrichtet Informatik in allen Jahrgangsstufen. Unter anderem für das Pilotprojekt ist der informationstechnische Berater für 14 Unterrichtseinheiten freigestellt. Gleiches gilt für seinen Sparringspartner Sebastian Münsch. Der medienpädagogische Berater für digitale Bildung unterrichtet an der Amendinger Mittelschule, die gemeinsam mit der Mittelschule in Bad Grönenbach im Herbst 2022 als Erste im Landkreis Tabletklassen eingeführt hat.
Sowohl Münsch als auch Schergun stehen voller Überzeugung hinter dem Konzept. Die Art der Wissensvermittlung verändere sich, selbstständiges, eigenverantwortliches und aktives Lernen werde individuell gefördert. „Jeder Jugendliche kann sich im eigenen Tempo den Lernstoff erarbeiten“, meint Schergun. Da jeder sein eigenes Gerät hat, sei das Tablet – ob zu Hause oder in der Schule – ständig verfügbar. In Erklärvideos, die die Lehrkräfte teils selbst aufzeichnen, werden Lerninhalte anschaulich und verständlich dargestellt.
Das ersetzt jedoch nicht gut ausgebildete, motivierte Lehrerinnen und Lehrer. „Sie bleiben unersetzlich, denn sie lehren nicht nur, sondern bieten all das, was nur ein echter Mensch kann: Empathie, Zuwendung und Wertevermittlung“, unterstrich unlängst Florian Herrmann, Leiter der Bayerischen Staatskanzlei.
Wurde vor der Pandemie wenig Geld in die Digitalisierung bayerischer Schulen gesteckt, so investiert der Freistaat nun verstärkt Millionen. „Bayern ist Bildungsland Nummer 1 – gerade auch in puncto Digitalisierung. Mehr als jeder dritte Euro aus dem Staatshaushalt fließt in Bildung“, sagte Bayerns Kultusministerin Anna Stolz. Bis Ende 2025 sind im Freistaat schulartübergreifend 216 Millionen Euro für die Bezuschussung von rund 700.000 Endgeräten vorgesehen. Die Kritik, eine vermehrte Bildschirmzeit schade den Heranwachsenden, können Münsch und Schergun nicht nachvollziehen.
Aktuelle Studien bewiesen, dass die Stunden, die Jugendliche tagtäglich vor Fernseher, Handy und Tablets verbringen, leicht rückläufig sind. Ebenfalls auf Unverständnis stößt der Vorwurf des Bayerischen Philologenverbands, in den unteren Jahrgängen ziehe die Nutzung von Tablets viel Aufmerksamkeit vom Unterricht ab. „Jeder Lehrkraft ist es selbst überlassen, wann und wie er oder sie das Tablet gewinnbringend einsetzt. Da sind wir alle noch in einem Lernprozess“, gibt Schergun zu. Der Unterricht werde sukzessive weiterentwickelt und die digitale Expertise gestärkt.
Auch sei die Verwendung der mobilen Endgeräte nicht überall sinnvoll. Gut eignet sich das Lernen für naturwissenschaftliche Fächer, bei Fremdsprachen, in der Mathematik oder wenn bei Schülern eine Lese-RechtschreibSchwäche nachgewiesen wurde. Im praktischen Sportunterricht, beim Arbeiten mit dem Zirkel oder in Ethik/Religion, wenn Diskussionsbeiträge erforderlich sind, komme die Digitalisierung noch an ihren Grenzen. Einen weiteren Vorteil hat Sebastian Münsch aber bereits festgestellt: Mithilfe des Tablet-Stifts schreiben die Jugendlichen schöner und können ihre Notizen später besser lesen. Ein wesentlicher Vorteil des differenzierten, digitalen Lernens sehen die beiden Berater in der Kollaboration sowie der vernetzten Kommunikation zwischen Lehrern und Schülern beziehungsweise den Jugendlichen untereinander.
Um als „Digitale Schule der Zukunft“gefördert zu werden, müssen vom Kultusministerium festgelegte Mindestkriterien erfüllt werden. Die Schule muss kooperativ und weitgehend digital organisiert sein. Mit Unterstützung des Sachaufwandsträgers wie beispielsweise der Stadt Bad Wörishofen wird die IT-Infrastruktur optimiert. So ist beispielsweise auf dem Schulareal ein leistungsstarkes WLAN-Netz vorzuhalten.
Im Pilotversuch, der vermutlich diesen Sommer endet, werden unter anderem die Erfahrungen und Entwicklungen von Nicolas Schergun und Sebastian Münsch systematisiert und evaluiert. Ob und wann alle staatlichen Förder-, Mittel-, Real- und Wirtschaftsschulen sowie Gymnasien in Bayern Tabletklassen anbieten, ist offen. Schließlich müssen neben finanziellen Mitteln auch die Lehrkräfte entsprechend aus- und weitergebildet werden. Für viele Schulen ist das jedoch eine Chance, ihr Profil im Wettbewerb um stabile Schülerzahlen und damit einhergehende Lehrerstellen zu schärfen.