„Aber Sie müssen doch miteinander reden“
Der Nachbarschaftsstreit zwischen den Ettringer Großunternehmen Papierfabrik Lang/UPM und Aviretta findet auch vor dem Verwaltungsgericht Augsburg kein Ende – vorerst zumindest.
Wenn Nachbarn streiten, geht es manchmal um lärmende Kinder, wucherndes Unkraut und andere Kleinigkeiten. Und doch müssen selbst solche Streitigkeiten häufig von einem deutschen Gericht geschlichtet werden – auch wenn Außenstehende darüber nur verwundert den Kopf schütteln. Im Streit der beiden Ettringer Großunternehmen Papierfabrik Lang/UPM und Aviretta geht es weder um Lärm noch um Unkraut – es klingt erst mal viel komplizierter, wenn sich die 9. Kammer des Augsburger Verwaltungsgerichts unter Vorsitz von Richterin Verena Hueck um die immissionsschutzrechtliche Genehmigung einer neuen Dampfkesselanlage der Firma Aviretta bemüht.
Und doch scheint es sich auch in diesem Fall ganz einfach um das inzwischen zerrüttete Verhältnis unter zänkischen Nachbarn zu handeln, das aus unerklärlichen Gründen eskaliert zu sein scheint. Wie vor dem Verwaltungsgericht deutlich wurde, kommunizieren die beiden Nachbarunternehmen offenbar nur noch über Rechtsanwälte und Gerichte miteinander, mehrere Verfahren seien anhängig, unter anderem auch Zivilklagen beim Landgericht Augsburg. Warum? Das sagte auch die Verwaltungsrichterin nicht. Sie gab den Firmenvertretern aber einen gut gemeinten Rat mit auf den Heimweg.
Der Nachbar von Aviretta, das Traditionsunternehmen Papierfabrik Lang/UPM, hat gegen einen entsprechenden Genehmigungsbescheid des Landratsamtes geklagt und will damit verhindern, dass Aviretta seine geplante neue Anlage zur Dampferzeugung erst mal sechs Monate lang im Probebetrieb testen kann. Denn laut Papierfabrik Lang/UPM drohen der firmeneigenen Dampfanlage schwere und teure Schäden, wenn der Aviretta-Probebetrieb wie geplant durchgeführt wird.
Das klingt nicht nur kompliziert – das ist es auch. Begriffe wie „Dampfspezifikation“oder „Probebetriebszyklus“sind selbst für hart gesottene Verwaltungsexperten wie die Richter der 9. Kammer des Augsburger Verwaltungsgerichts alles andere als Alltag. Zudem befinde sich Aviretta ja mitten auf dem Betriebsgelände von Lang/UPM, also „mitten auf feindlichem Gebiet“, wie es Richterin Verena Hueck scherzhaft bezeichnete. Dementsprechend dauerte es mehr als eine halbe Stunde, in der die Richterin händeringend versuchte, die schwierige Sachlage einigermaßen allgemeinverständlich aufzudröseln.
Demzufolge stemmt sich die Papierfabrik Lang/UPM mit allen juristischen Mittel gegen den geplanten Probebetrieb der neuen, mit extra leichtem Heizöl betriebenen Dampfkesselanlage von Aviretta. Beide Firmen haben tiefe gemeinsame Wurzeln und gingen aus der früheren Papierfabrik Lang hervor. Aviretta-Geschäftsführer Carl Pawlowsky kaufte vor mehreren Jahren eine der Papiermaschinen aus dem Stammunternehmen heraus. Bei Aviretta werden seither auf der Papiermaschine 4 rund 150.000 Tonnen „braunes Papier“hergestellt. Die Papierfabrik Lang ist Teil des finnischen UPM-Konzerns und produziert am Standort Ettringen jährlich bis zu 300.000 Tonnen grafische Papiere. Weil beide Unternehmen aus der im Jahr 1897 gegründeten Holzstoff-Fabrik der Gebrüder Lang hervorgingen, verbindet sie nicht nur eine gemeinsame Historie – auch manche Produktionsabläufe sind aufs Engste miteinander verwoben, nicht zuletzt bei der bislang gemeinsamen Energieerzeugung.
Angesichts der weltpolitischen Lage und des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine habe sich Aviretta dann nach einer Möglichkeit umgesehen, um vom Gas unabhängiger zu werden, nannte Richterin Hueck die Gründe. Das hätte dann auch zur Folge, dass
Aviretta nicht mehr für den Dampf aus dem UPM-Kraftwerk bezahlen müsste und somit auch von Lang/ UPM unabhängig sein werde. Ob genau dies der Knackpunkt sein könnte, der Auslöser für die Eskalation der Auseinandersetzung?
Warum der Streit unter den Nachbar eskaliert ist, blieb auch nach der gut dreistündigen mündlichen Verhandlung weitgehend im Ungefähren. Wie es um das Nebeneinander der Unternehmen aber tatsächlich bestellt ist, beschrieb ein leitender Mitarbeiter von Lang/UPM vor Gericht dann
doch ziemlich unmissverständlich: „Das Verhältnis ist nicht gut …“Dies habe zur Folge, dass – wenn überhaupt – nur verzögert oder eben gar nicht miteinander kommuniziert werde.
Und jetzt habe Lang/UPM eben Bedenken, dass schon der Probebetrieb der neuen Aviretta-Anlage und damit verbundene Schwankungen in der Menge des abgenommenen Dampfes die offenbar sehr in die Jahre gekommene Anlage von Lang/UPM so stark beeinträchtigen könnte, dass diese „irreversible Schäden“nehmen könnte,
wie es vor Gericht hieß. Die Anlage sei inzwischen so alt, dass kaum noch Ersatzteile zu bekommen seien – Schwankungen in der Produktion könnten daher teure Folgen für Lang/UPM haben.
Wie zerrüttet das Verhältnis der Unternehmensvertreter zu sein scheint, zeigte auch das Verhalten der beiden Parteien vor dem Verwaltungsgericht – kaum einer der anwesenden Geschäftsführer würdigte den anderen eines Blickes. Gelassener konnten es da die Vertreter des beklagten Freistaates Bayern nehmen, die das Landratsamt
Unterallgäu vertraten. Sehr schnell machte Verwaltungsrichterin Verena Hueck deutlich, dass ihre Kammer am Bescheid des Landratsamts im Grunde nichts auszusetzen habe. Schließlich gehe es zunächst ja erst mal nur darum, die neue Anlage bei Aviretta zu testen und in einem Probebetrieb mögliche Schwachstellen oder Verbesserungsmöglichkeiten zu suchen.
Das allein habe das immissionsschutzrechtliche Verfahren zu beurteilen – mögliche Schadensersatzforderungen spielten daher in ihrer Betrachtung keine Rolle, so Hueck: „Das müssen Sie schon untereinander klären“, schrieb die Richterin den anwesenden Unternehmensvertretern in die Akten. Die wirtschaftliche Situation und mögliche Folgen seien ja auch in einem Liefervertrag zwischen Lang/UPM und Aviretta festgeschrieben, wunderte sie sich. Gewundert habe sich das Gericht dann aber auch, als es kurzfristig davon erfuhr, dass Lang/UPM zum Ende dieses Jahres genau diesen Dampf-Liefervertrag mit Aviretta seinerseits aufgekündigt habe.
„Wieso reden Sie denn nicht miteinander?“, wurde die Richterin dann auch energisch und machte ein ums andere Mal deutlich, dass sie diese Eskalation dieses Nachbarschaftsstreits so gar nicht nachvollziehen könne: „Sie sind doch alles vernünftige Menschen, das müssen Sie doch gemeinsam klären können? Das kann man doch miteinander besprechen!“, so Hueck achselzuckend. Und spätestens jetzt fühlten sich die interessierten Zuhörer im Gerichtssaal doch an einen merkwürdigen Nachbarschaftszwist um lärmende Kinder oder wucherndes Unkraut erinnert …
Bis Ende April wird das Verwaltungsgericht dann alle Anträge noch prüfen und dann ohne weitere öffentliche Verhandlung seine Entscheidung bekannt geben. Wie es dann weitergehen wird? Das müssen wohl Gerichte entscheiden.