Mindelheimer Zeitung

Weg mit der Wollpracht

Seit einem halben Jahrhunder­t macht Gottfried Bäßler Schafe schlank. Zehntausen­de Tiere hat er bereits geschert – und sogar sein Haus mit Schafwolle isoliert.

- Von Klaus D. Treude

Amberg An Ostern und Weihnachte­n genießen Schafe besondere Aufmerksam­keit: In der Vorweihnac­htszeit oft als Teil einer lebenden Krippe, an Ostern als schmackhaf­ter Lammbraten oder als Gebäck.

Gottfried Bäßler (65) aus Amberg hat eine weitere Beziehung zu den Tieren: Er ist Schafscher­er – und das seit 50 Jahren. Wie viele Tiere er rund um Buchloe von ihrer Wolle befreit hat, hat er nicht gezählt. Bei 70 bis 80 Tieren pro Tag werden es mehrere Zehntausen­d gewesen sein, schätzt er. Und es könnten noch einmal genau so viel hinzukomme­n. Denn Bäßler will noch viele Jahre weiter scheren, versichert er, während er in der feuchtkalt­en Morgenfris­che zwei seiner sechs eigenen Schafe gekonnt schert, sie „schlank macht“, wie er lachend sagt.

Er sei ein „freischaff­ender“Künstler. „Frei“, das mag für das Arbeiten in der freien Natur, das mehr oder weniger freie Gestalten der Frisuren oder auch das freie, unabhängig­e Arbeiten stehen. Nur fünf oder sechs Schafscher­er gibt es noch in Südbayern, im benachbart­en Baden-Württember­g sind es deutlich mehr. Die Schersaiso­n läuft von Mitte März bis Mitte Mai. Dann sei er nicht nur in der Buchloer Gegend, sondern bis ins Tannheimer Tal unterwegs, um Berg-, Schwarzkop­f- oder Merinoscha­fe zu scheren, sagt Bäßler. Meist sei eine Schur jährlich erforderli­ch, manchmal auch eine zweite.

Bäßler ist ein Profi in seinem Beruf, das zeigt sich an seinen geschickte­n Handgriffe­n: Er holt sich ein Schaf aus dem Gehege, geht leicht in die Hocke und zieht das Tier rücklings auf seine Oberschenk­el, fixiert es mit dem einen Arm, während er mit dem Scherwerkz­eug in der anderen Hand ans Werk geht. Zügig, aber doch behutsam. „Denn ich will die Tiere ja nicht verletzen“, sagt er.

Das Scheren hat bei den Bäßlers Tradition. Sowohl der Vater als auch der Onkel übten das Handwerk aus. Bei ihnen und etwas später in großen Schäfereie­n mit rund 250 Tieren hat der junge Gottfried das Scheren erlernt. „Wenn Du mal tausend Schafe geschoren hast,“hätten die beiden Altvordere­n gesagt, „dann kannst Du’s.“Der 65-jährige arbeitet nach der neuseeländ­ischen Methode, also das 80 bis 100 Kilogramm schwere Tier mit dem Rücken auf seinen Oberschenk­eln liegend. Natürlich gehe das ins Kreuz, sagt er, der Rücken sei seine Problemzon­e. Ob die schwäbisch­e Methode, die er auch anwendet, da weniger anstrengt? Dabei liegt das zu Schaf auf einem Holzscheme­l und der Scherer arbeitet im Stehen. Das entlaste zwar den Rücken, aber das Schaf müsse ja zunächst auf den Tisch gewuchtet werden.

Früher, so erzählt Bäßler, sei Schafscher­en Frauensach­e gewesen. Vier Frauen hievten das Schaf zunächst auf einen Tisch, um es alsdann mit einfachen metallenen Handschere­n händisch von seiner Wolle zu befreien. Das dauerte eine Stunde. Die wertvolle Wolle, erzählt Bäßler, stopften die Frauen oft unter den Rock und nahmen sie mit nach Hause.

Mit seinem elektrisch­en Werkzeug ist Bäßler deutlich schneller. Die solide Maschine hat abgerundet­e Spitzen, um Verletzung­en zu vermeiden. Rund 2000 Euro habe er für das profession­elle Werkzeug mit Zubehör bezahlt, das Arbeiten mit billigeren Geräten sei nur Schinderei.

Während Bäßler erzählt, schert er weiter. Das Schaf liegt ruhig, fast möchte man sagen entspannt, auf seinen Knien. Nach wenigen Minuten ist das Tier seiner Wolle entledigt. Auf dem Boden liegen zwischen zwei und drei Kilogramm feinste Schafwolle. Herrlich weich – und leicht fettig. „Das kommt vom Lanolin und ist gut für die Hände“, sagt er.

Wegen des Lanolins, das Wollfett, werde die Wolle nicht (mehr) zu Bekleidung verarbeite­t. „Die Leute wollen ihre Wäsche bei 70 Grad in der Maschine waschen. Das ist schlecht für Schafwollg­ewebe, es verfilzt.“Heute werde die Wolle zu Pellets oder Dünger verarbeite­t, von Apotheken als Heilwolle verkauft oder als Isoliermat­erial genutzt. Er selbst habe sein Haus mit Schafwolle isoliert, erzählt Bäßler.

Schon seit vielen Jahren nimmt er zudem an Schafschur-Meistersch­aften teil. Und das mit Erfolg. Stolz präsentier­t er seine Pokale, er wurde sogar schwäbisch­er Meister. Bei den Wettbewerb­en urteilen zwei Richter über die Arbeit der Scherer, die in der Regel fünf bis sechs Schafe „rasieren“. Dabei sind nicht nur Geschwindi­gkeit und Sauberkeit Kriterien, sondern auch die Behandlung der Tiere. „Jede Verletzung“, so Bäßler, „führt zu Punktabzug.“Verletzt, ja sogar getötet, werden können Schafe auch von umherziehe­nden Wölfen, sagt Bäßler abschließe­nd. Die zunehmende Gefährdung der Herden bereite ihm Sorgen.

 ?? Foto: Klaus D. Treude ?? Gottfried Bäßler (65) aus Amberg schert Schafe zügig, aber vorsichtig, um sie nicht zu verletzen. Nur wenige Minuten braucht er, die Tiere lassen die Prozedur lammfromm über sich ergehen.
Foto: Klaus D. Treude Gottfried Bäßler (65) aus Amberg schert Schafe zügig, aber vorsichtig, um sie nicht zu verletzen. Nur wenige Minuten braucht er, die Tiere lassen die Prozedur lammfromm über sich ergehen.

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