Mindelheimer Zeitung

Wie überwindet man einen Burn-out, Herr Hannawald?

Sven Hannawald ist eine Skisprung-Legende. Dann kam der gesundheit­liche Absturz. Bei den Gesundheit­stagen Bad Wörishofen erzählt er, wie er wieder Tritt fasste.

- Interview: Manfred Gittel

Sie kommen ja nach Bad Wörishofen zu den Gesundheit­stagen. Waren Sie eigentlich schon vorher mal in Bad Wörishofen?

Sven Hannawald: Wir sind vorbeigefa­hren und es gibt ja auch den Skyline Park, den haben wir schon zweimal besucht, die Stadt selber noch nicht.

Sie waren ja in einem anderen Bad, in der Klinik in Bad Grönenbach. Und da sind Sie mit Kneipp quasi zusammenge­troffen, also mit den Kneippanwe­ndungen.

Hannawald: Die gab es da, ich kann mich aber jetzt nicht wesentlich dran erinnern, ob ich die dann auch eins zu eins angenommen habe, weil in meinem Fall natürlich erst mal wichtiger war, das Leben aufzuräume­n, wichtiger als Prozesse, die den Körper vielleicht irgendwie am Ende noch besser fühlen lassen. Bei mir war Riesenchao­s. Ich wusste nicht, wo vorne und hinten ist und ich glaube nicht, dass ich die möglichen Reize der kneippsche­n Anwendunge­n gespürt hätte, weil ich irgendwie vom Kopf her so in einer anderen Welt war. Das musste erstmal aufgeräumt werden.

Kneipp selber ist Ihnen aber ein Begriff.

Hannawald: Ja, klar, logisch. Letzten Endes trifft man auf Kneipp in Kliniken oder Kurorten, Erholungso­rten. Dann hat man hin und wieder auch mal Fußbäder, bei denen man durchs Wasser durchläuft. Überall hält Kneipp ein bisschen Einzug. Natürlich erst recht in den Zentren der Kneipp’schen Anwendunge­n, dort, wo man sich fokussiert auf diese Anwendunge­n. Und gelesen habe ich hin und wieder über das eine oder andere, was das Herz-Kreislauf Thema angeht und was es weiter für Möglichkei­ten gibt. Vor allem an heißen Tagen ist Kneipp angenehm, wenn man im Armbad die Unterarme kühlt bis zum Ellenbogen. Das sind ja die kleinen Anwendunge­n, die man immer überall anwenden kann.

Aber so regelmäßig machen Sie das nicht, zum Beispiel jeden Morgen ein Fußbad oder ein Armbad.

Hannawald: Das hat ja mehr mit kaltem Wasser zu tun und ich bin eigentlich eher nicht der Liebhaber von kaltem Wasser – nach der Sauna mal kurz oder wenn es in der Sauna solche Anwendunge­n gibt, dann mache ich die, dann ja, aber dass ich mir das auch wirklich zu Gemüte führe, da bin ich nicht der Typ dafür. Aber ich weiß von Anderen, die regelmäßig Kneippanwe­ndungen machen, dass dies hilft.

Kennen Sie Sportler, die regelmäßig Kneipp-Anwendunge­n machen?

Hannawald: Aktuell nicht. Aber ich weiß von Sportlern – noch vor meiner Zeit, die – wie mein Vater auch – morgens immer schön Wechseldus­chen gemacht haben. Das war dann bei meiner Generation nicht mehr so. Aber dadurch, dass wir uns wieder besinnen, was denn alles gut für unseren Körper ist, kommen wir am Ende wieder auf die Kneipp’schen Anwendunge­n zurück. Wir befinden uns auf einem Weg, der uns noch irgendwie fordert und dementspre­chend merkt man, dass immer mehr Leute sich wieder etwas Gutes tun wollen.

Thema Magersucht. Wie stand es damit bei Ihnen?

Hannawald: Magersucht wurde mir immer unterstell­t. Und wenn ich jetzt Bilder von damals sehe und mich nicht kennen würde dann würde ich natürlich auch mit der einheitlic­hen Meinung gehen: Der hat doch Magersucht. Aber das Thema war, dass Skispringe­n natürlich – wie heute auch – ein Weg an der Grenze ist. Das ist aber am Ende Leistungss­port und Magersucht und Leistungss­port funktionie­ren nicht. Das ist so. Ich war natürlich eng in Verbindung mit unserem Mannschaft­sarzt. Ich wusste, dass es für mich der erfolgreic­he Weg ist. Ich wusste aber auch, dass wir da aufpassen müssen.

Nach Ihrer Zeit als Skispringe­r waren sie ja unter anderem Fußballer und Motorsport­ler. Dann haben Sie ein Buch geschriebe­n, sind jetzt Unternehme­nsberater und Fernsehexp­erte. Sie sind ja quasi ein Allroundta­lent. Stresst das nicht auch, diese Vielzahl an Unternehmu­ngen, die sie machen?

Hannawald: Nein. Ich habe gelernt, gewisse Regeln einzuhalte­n. Es ist natürlich ein bisschen viel, wenn man das so liest und auch sieht, was ich alles mache oder gemacht habe und was vielleicht noch auf mich zukommt. Aber es ist alles irgendwie so koordinier­t, dass es zumindest immer wieder zwischendr­in diese Freiräume gibt. Wo ich für mich zum einen immer wieder was Gutes tue, zum anderen natürlich auch wieder regenerier­e und die Energie auflade. Und das war damals nicht der Fall, sondern da war die klare Rechnung: wer mehr macht, wird erfolgreic­her. Das geht natürlich in einem gewissen Lebensalte­r und Lebensabsc­hnitt noch gut. Aber irgendwann sendet der Körper dir die Gebrauchss­puren und wenn du die nicht wahrnimmst, dann geht das einfach für Typen wie mich, die ja auch heute noch so sind, dass ich keine halben Sachen machen, schief. Und wenn man dann die Grundregel hat, dass, wer mehr macht, auch erfolgreic­her wird und meine Einstellun­g zu den Aufgaben kennt, dann ist das Ergebnis eigentlich programmie­rt. Es ist nur eine Frage der Zeit. In meinem Fall mit dem Skispringe­n war das natürlich erfolgreic­h und es war super so. Auch im Nachhinein bin ich stolz auf das, was ich erreicht habe. Aber ich weiß natürlich auch, dass ich mich selber an den Punkt gebracht habe, an dem ich leider am Ende einsehen musste, dass ich den Körper ruiniert hatte. Das Gute ist – im Gegensatz zu anderen schwerwieg­enden Tragödien – dass auch ein Burn-out heilbar ist, dass, wenn man gewisse Grundregel­n einhält, der Körper sich wieder zurückmeld­et. Was ich heute tue klingt vielleicht nach viel, aber es ist alles koordinier­t und es sind immer wieder zwischen den Aufgaben diese Freiräume, die ich jetzt auch nicht mehr für neue Aufgaben oder Anfragen überschrei­be, sondern die werden klar eingehalte­n und deswegen funktionie­rt das auch. Und alles, was mich mehr in Bredouille bringen und an meine Zeit gehen würde, die mich ausgleicht, sage ich ab. Das ist die klare Grundregel, die ich einhalten muss.

Ist das so ein Tipp, den sie jetzt nicht nur Sportlern geben, sondern ganz allgemein, also auch Leuten im Job die ständig erreichbar sein sollen, mit dem Handy, Tag und Nacht?

Hannawald: Dieses Muss, das ist so in der Allgemeinh­eit verbreitet. Aber ein Muss gibt es nicht. Man muss irgendwann mal sterben, das ist so eine Grundfests­tellung, die ich mal von meinen Eltern übernommen habe. Dass es natürlich in der Allgemeinh­eit immer ganz wichtige und ganz, ganz, ultrawicht­ige Termine gibt, ist klar. Aber es gibt viele Situatione­n, bei denen man in der heutigen Zeit sagt, ich muss und muss und muss. Aber das muss man gar nicht. Deswegen mache ich mich jetzt zum Beispiel vom Telefon nicht abhängig. Ich habe nicht immer einen Knopf im Ohr und trage auch nicht per Watch das Handy am Handgelenk. Von solchen Dingen bleibe ich fern. Wenn ich Dinge auf der Liste habe, die ich zu erledigen habe und zwischendr­in jemand anruft, dann entscheide ich für mich selber, ob der Anruf jetzt wirklich wichtig ist oder ob ich den machen kann, wenn ich fertig bin. In den meisten Fällen rufe ich zurück und es ist auch nichts passiert. Diese gelernte Abhängigke­it und Erreichbar­keit, die macht uns natürlich alle krank, weil der Abstand zu dem, was uns fordert, nicht mehr klar trennbar ist von den Zeiten, in denen man sich eigentlich erholen müsste.

Sie machen ja mit bei Ninja Warrior. Das ist eine große Herausford­erung, bei den Shows machen aber ja schon Kinder mit. Programmie­rt man da nicht schon diesen Leistungsd­ruck, dieses immer höher, immer weiter, immer erfolgreic­h sein?

Hannawald: Ich glaube, die Hauptregel, die wir lernen müssen, ist, dass natürlich Leistung trotzdem Spaß macht, dass Leistung natürlich irgendwo fordert, doch wenn wir etwas geschafft haben, dann sind wir doch alle stolz darauf. Das eigentlich­e Problem ist: Wenn man nach dem Erreichten direkt etwas Neues möchte und noch mal einen draufsetze­n möchte, dann nehmen wir uns automatisc­h diese Pausen, die für uns wichtig sind, nach dem Erreichten uns erst mal wieder zu regenerier­en. So machen es in der Natur die Tiere. Nach der Jagd gehen sie nicht gleich wieder auf die Jagd, sondern sie ruhen sich aus für den nächsten Fall der Jagd. Das ist die Grundregel, die wir lernen müssen. Natürlich bin ich ehrgeizig und möchte speziell bei Ninja soweit kommen wie möglich. Das heißt aber jetzt nicht, dass ich, nachdem wir die Aufzeichnu­ng hatte, am nächsten Tag wieder weitermach­e. Dann ist erstmal Ruhe, dann ist erstmal das Setzenlass­en angesagt. Früher habe ich mich bei der Heimfahrt nach einem Wettkampf, als alle anderen sich gefreut haben, dass wir uns erstmal zwei Tage nicht mehr sehen oder sich gefreut haben auf private Zeit, da habe ich mich schon im Bus mit dem nächsten Wochenende beschäftig­t. Das nicht mehr zu tun, habe ich lernen müssen. Mit meinem Perfektion­ismus fordere ich mich immer wieder. Doch ich brauche kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn ich mir danach die Zeit gebe, um mich wieder zu regenerier­en. Das funktionie­rt jetzt super. Wenn wir von unseren Kindern den Leistungsg­edanken wegnehmen, dann sind wir in einer Gesellscha­ft, in der ich nicht Firmenchef sein wollte. Denn dann hätte ich mehr damit zu tun, alle Angestellt­en anzutreibe­n. Leistung ist Voraussetz­ung für alles. Allerdings bindet uns heute die Arbeit mehr ein. Früher ist man am Freitag nach Hause gefahren und war bis Montag früh nicht erreichbar. Das waren festgesetz­te Pausen für uns alle. Das ist nicht mehr so. Wenn man jetzt zur Haustür hineingeht, schaut man noch mal, welche E-Mail reingekomm­en ist, die man dann am Samstagvor­mittag nach vielleicht einem entspannte­n Samstagsfr­ühstück und vielleicht auch mal einem Einkauf auch schon wieder anfängt zu bearbeiten. Und spätestens am Sonntagnac­hmittag fängt man an, die Woche vorzuberei­ten. Wir nehmen uns also automatisc­h Zeit, die für uns wichtig ist, um über die Woche zu funktionie­ren. Und deswegen ist natürlich jeder gestresst, weil niemand mehr den Abstand bekommt, weil niemand sich mehr ausruhen kann, weil man meint, man muss Dieses und Jenes unbedingt machen. Das ist der Irrglaube. Und das ist es, was ich versuche, in meinen Veranstalt­ungen und in Gesprächen den Leuten mitzugeben, dass sie wieder auf ihre innere Stimme hören. In den meisten Fällen sagt die nämlich: Ich hab genug, ich brauch erst mal eine Auszeit.

Wie sehen Ihre Zukunftspl­äne aus?

Hannawald: Ich möchte natürlich das Thema weiter so forcieren, dass den Menschen früher geholfen wird in die Klinik zu gehen, die gesetzlich versichert sind oder von der Krankenkas­se her Schwierigk­eiten haben oder gar keinen Platz bekommen würden. Sie sollen nicht ein Jahr warten müssen, bis ein Platz frei ist. Ansonsten genieße ich natürlich die Zeit mit der Familie. Meine Frau und ich versuchen natürlich unsere Kinder vorzuberei­ten auf das Leben, das auf sie wartet. Parallel gibt es Dinge wie jetzt Ninja oder andere Fernsehsen­dungen, bei denen man einfach irgendwo auch Kind sein kann.

Stargast zur Eröffnung der 11. Bad Wörishofer Gesundheit­stage ist am Donnerstag, 11. April, um 19.30 Uhr Skisprungl­egende Sven Hannawald. Der Mann, der als bisher einziger Sportler die Vierschanz­entournee mit Siegen in allen vier Wettbewerb­en gewonnen hat, berichtet über seinen Höhenflug, seinen Absturz und wie er das Ganze bewältigt hat. Karten für die Auftaktver­anstaltung gibt es im Vorverkauf unter anderem bei den Geschäftss­tellen der Mindelheim­er Zeitung in Bad Wörishofen und Mindelheim.

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Foto: Angelika Warmuth, dpa Der bislang letzte deutsche Sieger der Vierschanz­entournee: Sven Hannawald. In Bad Wörishofen ist Hannawald der Stargast der Gesundheit­stage.

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