„Fertig werde ich nie“
Hans Kleinschmidt baut seit 20 Jahren die Ziegelei in Erkheim um. Denn er hat eine Vision – und von der kann ihn niemand abbringen.
Es war eine harte Nacht. Mal wieder. Hans Kleinschmidt hat sie in luftiger Höhe verbracht. In der Dunkelheit schuftete er auf dem Dach. Im grellen Schein der Stirnlampe erneuerte er Ziegelstein um Ziegelstein. Eine Sisyphusarbeit. Hans Kleinschmidt weiß, dass er nie fertig werden wird. Seit 20 Jahren renoviert, restauriert und schützt er ein besonderes historisches Gebäude: eine alte Ziegelei von bemerkenswerter Dimension nahe der Gemeinde Erkheim. Sie ist sein und alles.
„Meine Kathedrale der Arbeit“, sagt der 44-jährige Bildhauer schmunzelnd über den fürs Allgäu ungewöhnlichen Fachwerkbacksteinbau. Das dreistöckige Hauptgebäude ist 50 Meter lang, daran schließt sich wie in L-Form ein weiterer Trakt mit 30 Metern Länge an. Allein in den vergangenen Monaten hat Kleinschmidt 600 Quadratmeter Dachfläche erneuert. Meistens nachts.
„Dann herrscht hier absolute Ruhe“, erzählt er. Die Arbeit im kleinen Lichtkegel biete einen unschätzbaren Vorteil: „Ich sehe nur, was ich direkt bearbeite. Und nicht das große Ganze, also die Riesen-Arbeit die noch wartet.“ Sonst würde er vermutlich ins Zweifeln kommen. So aber genießt er jede Stunde: „Nachts spüre ich die Energie am intensivsten, die von diesem Ort ausgeht.“Sie habe ihn schon bei seinem ersten Besuch auf dem Gelände ergriffen.
Damals war er noch ein Bub. Mit seinem Bruder streunte er durch die verfallenen Hallen und Gebäude. Fasziniert blickte er zum Schornstein hoch, der 40 Meter in den Himmel ragte – wie ein stummer Gigant einer längst vergangenen Zeit.
In Betrieb war die Ziegelei etwa von 1900 bis 1971. Danach wurde sie aufgegeben und verlassen. Drei Jahrzehnte schlang sich die Natur um die Gebäude. Bäume wuchsen auf dem Dach, Moos und Flechten in den Räumen. Schnee und Regen stieben durch kaputte Fenster und das undichte Dach. Die verlassene Ruine steuerte auf den endgültigen Zusammenbruch zu.
Doch dann kam eines Tages Hans Kleinschmidt zufällig zurück an den mysteriösen Ort seiner Kindheit. Er hatte Besuch von einem Kumpel, dem er die alte Ziegelei zeigen wollte. Und er kam genau zur richtigen Zeit an den richtigen Ort. Im Gespräch mit einer Nachbarin erfuhr er erstaunliches. Die Frau hatte 2003 das Haus gekauft und mit ihm ein sieben Hektar großes Grundstück. Was ihr erst später bewusst wurde: Auch die Ziegelei gehört dazu. Doch was sollte sie damit?
Und jetzt stand da dieser damals 24 Jahre alt Mann vor ihr, der auf der Suche nach einem Atelier für seine Skulpturen war, sich für den verfallenen Ort begeisterte und ganz offensichtlich über großes handwerkliches Geschick verfügte. Kleinschmidt wuchs auf einem Bauernhof bei Ottobeuren auf. „Da gab’s immer etwas zum Bauen und Schrauben.“
Die Nachbarin ließ ihn unentgeltlich eine Werkstatt einrichten. Später verkaufte sie ihm das Areal. „Für einen Apfel und ein Ei. Dafür bin ich hier bis heute dankbar“, sagt Kleinschmidt. Seither dreht sich sein Leben einzig und allein um das historische Bauwerk. „Wenn nicht irgendeiner anfängt, wird es nichts“, fasst er seine damaligen Gedanken zusammen. „Anfangs hab ich in der LKW-Garage gehaust“, erzählt er.
Mittlerweile hat er sich eine helle Wohnung mit Dielenboden und Dachbalken über der ehemaligen Trockenkammer gezimmert. Doch damit ist noch lange nicht Schluss. Sein Traum: eine Begegnungsstätte für Kunst- und Kulturinteressierte in den früheren Produktionshallen. Eine erste Ausstellung hat im Sommer 2022 bereits stattgefunden. Über 7000 Besucher kamen. Für 2025 ist ein mittelalterlicher Markt geplant. „Es geht voran in kleinen Schritten“, sagt Kleinschmidt. Er hofft darauf, Unterstützer zu finden, um die alte Ziegelei weiter sanieren und schützen zu können.
Bislang hat er alles in Eigenregie gestemmt. Sein Motto: „Verzicht, Fleiß und Vertrauen, dass es klappt.“Maschinen, wie Bagger und Kräne, hat er vor dem Schrottplatz bewahrt und wieder in Schwung gebracht. Material, wie Rohre, Glas oder Holz trug er zusammen, wenn irgendwo ein Haus abgerissen wurde. Er kennt immer einen, der einen kennt, der einen kennt ...
„Man muss halt schwätze mit der Leut’“, zitiert er eine Allgäuer Weisheit. Bekannt ist der „Mann von der Ziegelei“weit über die Grenzen von Erkheim hinaus. Ältere Semester bezeichnen ihn als Eigenbrötler, jüngere als Freak. Ein Tausendsassa ist er in jedem Fall. Und ein Philosoph im Arbeitshäs. „Ich weiß, dass ich nie fertig werde“, sagt er. „Aber fertig wird man doch nie im Leben. Fertig ist man erst, wenn das letzte Stündlein geschlagen hat.“