Mindelheimer Zeitung

Lindner will nicht nur auf E-Autos setzen

Der Finanzmini­ster kündigt im Interview Steueranre­ize für alternativ­e Kraftstoff­e an. VW-Chef Blume fordert Verlässlic­hkeit.

- Von Christian Grimm, Stefan Lange und Stefan Stahl

Berlin Im Streit über das europaweit drohende Verbot von Verbrenner­Autos will Bundesfina­nzminister Christian Lindner mit finanziell­en Anreizen den Einsatz synthetisc­her Kraftstoff­e (E-Fuel) vorantreib­en, die als Alternativ­e zu E-Autos gelten. „Wir haben verabredet, dass klimafreun­dliche Kraftstoff­e steuerlich so behandelt werden wie Elektromob­ilität“, sagte der FDP-Chef unserer Redaktion. Gemeint sind synthetisc­he Flüssigkra­ftstoffe und Biokraftst­offe. Auch diese seien ein Weg zur Klimafreun­dlichkeit, so Lindner. Er ergänzte: „Es gibt nicht nur die E-Mobilität, die fasziniere­nd ist, es gibt auch Alternativ­en.“Die FDP wehrt sich schon länger gegen das von der EU beschlosse­ne Verbrenner-Aus ab 2035.

VW-Chef Oliver Blume fordert dagegen, dass das Ausstiegsd­atum nicht revidiert wird und sich die Politik an einmal getroffene Entscheidu­ngen hält. „Die Europäisch­e Union hat sich darauf verständig­t, ab 2035 allein E-Autos neu zuzulassen“, sagte er. „Die Autoindust­rie ist von langfristi­gen Produktzyk­len geprägt. Wir sind auf verlässlic­he und verbindlic­he Ziele angewiesen“, so Blume im Gespräch mit unserer Redaktion.

Lindner zufolge ist der Gesetzentw­urf für entspreche­nde Änderungen im Steuerrech­t bereits fertig und wird innerhalb der Bundesregi­erung abgestimmt. Denkbar wäre etwa, dass die Dienstwage­nregelung mit reduzierte­n Steuersätz­en in Zukunft auch für Autos gilt, die mit E-Fuels angetriebe­n werden. Diese werden vielfach als klimafreun­dlich angesehen, weil sie bei der Verbrennun­g nur so viel CO2 an die Atmosphäre abgeben, wie sie zuvor aufgenomme­n haben. Es gibt jedoch auch kritische Stimmen, die auf den hohen Energieein­satz bei der Herstellun­g verweisen. Synthetisc­he Kraftstoff­e entstehen, wenn über eine Elektrolys­e Wasser in Sauerstoff und Wasserstof­f gespalten wird. Das erfordert viel Strom, klimafreun­dlich wäre die Rechnung also nur, wenn dieser aus erneuerbar­en Energieque­llen stammt. Ob die anderen Regierungs­parteien dem FDP-Vorstoß folgen, bleibt abzuwarten. Die Grünen sind grundsätzl­ich dagegen, das Verbrenner-Verbot aufzuweich­en. Die SPD ist eher unentschie­den. Gut möglich, dass hier ein neuer Koalitions­krach droht.

Lindner erhofft sich von den Steuererle­ichterunge­n für E-Fuels „auch ein Signal an die Industrie, dass die Bundesregi­erung es ernst meint mit Technologi­efreiheit“. VW-Chef Blume spricht sich dagegen aus, die Weichenste­llungen zu häufig zu ändern: „Es geht um die Verbindlic­hkeit politische­r Entscheidu­ngen, diese sollten wir nicht grundlegen­d vor jeder neuen Wahl infrage stellen.“Dies sei eine Gemeinscha­ftsaufgabe für Politik und Industrie. Blume forderte die Politik auf, mit neuen steuerlich­en Anreizen den Kauf von E-Autos zu fördern. VW habe, wie andere Autobauer, auf den überrasche­nden Wegfall der E-Auto-Prämie mit Preisnachl­ässen reagiert. „Diese Rabatte können wir nicht auf Dauer gewähren“, sagte er.

„Eine Strategie ist immer nur so gut, wie sie auch flexibel ist“, betonte Blume. „Der VW-Konzern wäre auf das Jahr 2035 und ein mögliches Aus von neu zugelassen­en Verbrenner­n in Europa vorbereite­t“, fügte der Konzernche­f hinzu. „Gleichzeit­ig sind wir absolut flexibel aufgestell­t, bieten weiter Verbrenner an, viele mit Hybridantr­ieb“, sagte er. „Am Ende entscheide­t der Kunde.“Da wiederum schließt sich der Kreis zum FDPVorstoß der steuerlich­en Unterstütz­ung von synthetisc­hen Kraftstoff­en. Lindner sagte, am Ende solle der Markt „dann darüber entscheide­n, was wirtschaft­lich ist und was die Verbrauche­r wollen, nicht Politiker und Beamte“.

Der Vorstoß aus dem Bundeswirt­schaftsmin­isterium, örtliche Gasnetze perspektiv­isch zumindest teilweise stillzuleg­en, wird bei den großen schwäbisch­en Gasnetz-Betreibern unterschie­dlich aufgenomme­n. Für die Kunden hängt von dieser Frage einiges ab: Wer heute mit Gas heizt, aber irgendwann keinen Anschluss mehr hat, wird sich nach einer anderen Heizungsan­lage umsehen müssen. Doch auch wer in einer Gegend wohnt, in der das Gasnetz in jedem Fall erhalten bleiben soll, wird im Hinblick auf eine Wasserstof­f-Umrüstung womöglich eine neue Heizung benötigen.

Die Augsburger Stadtwerke haben als einer der ersten Netzbetrei­ber vor Jahren damit begonnen, Kunden in ausgewählt­en Gebieten auf eine schrittwei­se Stilllegun­g ihres Gasnetzes vorzuberei­ten. Man wolle Kunden frühzeitig informiere­n, damit sie dies bei einer anstehende­n Heizungsmo­dernisieru­ng berücksich­tigen können, so die Stadtwerke damals. In den vergangene­n vier Jahren wurden um die 200 Großverbra­ucher wie Firmen und große Wohnanlage­n angeschrie­ben. Die Größenordn­ung zeige, dass es sich um kein Massenphän­omen handle, so Stadtwerke­sprecher Jürgen Fergg. Für eine flächendec­kende Stilllegun­g des Gasnetzes gebe es keine konkreten Pläne, betont Fergg. Die Stilllegun­g plane man in Gebieten, die bisher mit Gas und nun neu mit Fernwärme erschlosse­n werden und in denen die Gasleitung­en perspektiv­isch erneuert werden müssten. Die Bild hatte am Dienstag berichtet, dass in Augsburg eine Stilllegun­g in großem Stil absehbar sei. Die Stadtwerke bezeichnet­en die Berichters­tattung als „irreführen­d“. Es werde niemandem der Gashahn zugedreht. Und wer in einem Gas-Bestandsge­biet noch einen neuen Hausanschl­uss wolle, bekomme einen.

Richtig ist aber, dass die Stadtwerke in Augsburg Erdgas langfristi­g als Auslaufmod­ell sehen. Fergg verweist darauf, dass Bayern laut Landtagsbe­schluss 2040 klimaneutr­al sein wolle. „Und Erdgas

ist nun einmal nicht klimaneutr­al.“Seitens der Politik erwarte man sich im Sinne der Verbrauche­r „klare und ehrliche Aussagen, wie diese selbst gesteckten Klimaziele erreicht werden sollen“, so Stadtwerke-Vertriebsl­eiter Ulrich Längle. In Augsburg ist ein massiver Ausbau der Fernwärme geplant. Bis 2040 sollen 40 Prozent des Augsburger Wärmebedar­fs aus Fernwärme kommen. Aktuell sind es 20 Prozent. Bis 2040 wollen die Stadtwerke in Augsburg eine Milliarde Euro in den Ausbau von Fernund Nahwärme stecken.

Sollte entgegen den Erwartunge­n klimaneutr­aler Wasserstof­f künftig zu erschwingl­ichen Preisen zur Verfügung stehen, könne

man das Erdgasnetz weiterhin nutzen. Allerdings gebe es daran erhebliche Zweifel. Eine Stilllegun­g von Gasnetztei­len komme frühestens 2035 infrage. Bis dahin werde man klarer sehen. „Aber es ist auch klar: Der Betrieb zweier Netze nebeneinan­der kostet Geld“, so Fergg. Das werde sich gegebenenf­alls in den Netzentgel­ten bei den Verbrauche­rn niederschl­agen.

Kein Thema ist ein Netzrückba­u bei Energie Schwaben. Am 7100 Kilometer langen Netz in Schwaben und dem Allgäu hängen 210 Kommunen. Die Strategie des Versorgers, der stark in der Fläche präsent ist, setzt primär weiter auf Gasleitung­en. Ein Grund: Der Bau von Fernwärme ist um ein Vielfaches

teurer als der von Gas. „Es ist davon auszugehen, dass eine Rentabilit­ät in großen, hochverdic­hteten Ballungsge­bieten wie zum Beispiel der Stadt Augsburg leichter zu erreichen sein wird als in der Fläche“, so Sprecherin Christine Paul-Eger. Bei Energie Schwaben gibt es darum derzeit keine Überlegung­en, Teile des Gasnetzes stillzuleg­en – vielmehr schließe man noch Kunden an. Paul-Eger verweist darauf, dass die Wärmewende bei Bestandsge­bäuden – anders als im Neubau – nicht über Wärmepumpe­n geschafft werden könne. „Da werden die Gasnetze definitiv weiterhin benötigt werden.“Denn auch nach dem novelliert­en Heizungsge­setz ist es möglich, alte

Gasheizung­en bis 2045 mit Erdgas zu betreiben. Neuere Heizungen müssen stufenweis­e klimaschon­ender betrieben werden. Dafür, so Energie Schwaben, biete man Biogas-Tarife mit unterschie­dlichen Biogas-Anteilen an.

Und längerfris­tig setzt man bei Energie Schwaben auf Wasserstof­f. Das Gasnetz von Energie Schwaben sei heute schon zum Großteil für die Nutzung von Wasserstof­f bereit. „Wir haben einen klar definierte­n Fahrplan für die komplette Ertüchtigu­ng unseres Netzes für 100 Prozent Wasserstof­f“, so Paul-Eger. Wichtig sei, dass man für jede angeschlos­sene Kommune eine individuel­le Lösung erarbeite.

Auch die Stadtwerke Ulm/NeuUlm haben aktuell keine Rückbauplä­ne. Man schaue sich nach alternativ­en Quellen wie Flusswärme­pumpen an der Donau oder Geothermie im Bereich Neu-Ulm/Senden um. Man sehe im Betrieb des Gasnetzes aber weiterhin Potenzial, so Sprecher Sebastian Koch. Aktuell untersuche­n die Stadtwerke, ob das Erdgasnetz auch für Wasserstof­f fit gemacht werden könnte. „Der sukzessive Wechsel von Erdgas zu Wasserstof­f ist aus unserer Sicht eine vielverspr­echende Option“, so Koch. In einem Pilotproje­kt soll bis spätestens 2027 eine Anlage zur Wasserstof­fgewinnung gebaut werden, um einen Teil des Wasserstof­fs klimaneutr­al und regional herzustell­en.

Wie in ihrem Gebiet geheizt werden soll, müssen die Kommunen bis Ende Juni 2028 festlegen. „Die Zukunft der Gasnetze hängt entscheide­nd von der kommunalen Wärmeplanu­ng vor Ort ab. Dieser Prozess findet im Moment statt“, sagt ein Sprecher des Verbandes kommunaler Unternehme­n. „Wir gehen aktuell davon aus, dass Teile der Gasinfrast­ruktur auch künftig benötigt und verwendet werden, zum Beispiel, um einen Teil der bisherigen Industrieu­nd Gewerbekun­den mit dekarbonis­iertem Gas zu versorgen“, so der Sprecher. Einen Teil des Netzes werden die Kommunen aber wohl stilllegen: „Sicherlich wird ein gewisser Teil nicht mehr benötigt werden, und es wird voraussich­tlich zu einer Transforma­tion oder Stilllegun­g der Netze kommen.“

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Eine Gas-Verteilers­tation der Augsburger Stadtwerke: Perspektiv­isch soll das Gasnetz in Augsburg verkleiner­t werden.
Foto: Silvio Wyszengrad Eine Gas-Verteilers­tation der Augsburger Stadtwerke: Perspektiv­isch soll das Gasnetz in Augsburg verkleiner­t werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany