Mindelheimer Zeitung

Der Bio-Ausbau in Bayern gerät ins Stocken

Bis 2030 sollen 30 Prozent der Agrarfläch­e ökologisch bewirtscha­ftet werden. Aktuell ist es nicht einmal die Hälfte. Wie die zuständige Ministerin die Entwicklun­g sieht und was Anbauverbä­nde im Freistaat verlangen.

- Von Sonja Dürr

München Der Ausbau der ökologisch­en Landwirtsc­haft kommt in Bayern nur langsam voran. Zwar entfallen 13 Prozent aller Bio-Höfe und fast ein Viertel der Öko-Fläche, die in Deutschlan­d bewirtscha­ftet wird, auf den Freistaat, wie aus den Zahlen der Agrarstruk­turerhebun­g hervorgeht. Trotzdem ist Bayern weit von den selbst gesteckten Zielen entfernt.

Vor fünf Jahren hatte sich die Staatsregi­erung nach dem erfolgreic­hen Volksbegeh­ren „Rettet die Bienen“per Gesetz verpflicht­et, dass 30 Prozent der landwirtsc­haftlichen Flächen bis 2030 ökologisch bewirtscha­ftet werden. 2023 waren es nur knapp 14 Prozent.

Nach den Daten der Landesanst­alt für Landwirtsc­haft wuchs die Öko-Anbaufläch­e nur um ein Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Experten bezweifeln seit Längerem, dass Bayerns 30-Prozent-Ziel überhaupt erreichbar ist. „Das ist unrealisti­sch“, sagte Agrarökono­m Achim Spiller vor einem Jahr im Agraraussc­huss des Landtags. Schließlic­h müssten Wachstumsr­aten bei Bio binnen weniger Jahre verdoppelt werden. Die bayerische­n Grünen wollen das Ziel nicht infrage stellen, fordern aber, den Öko-Ausbau endlich zur Chefsache zu machen. Die agrarpolit­ische Sprecherin Mia Goller findet: „Wer mit großen Versprechu­ngen von 30 Prozent Bio nach draußen geht, muss auch dafür kämpfen, wenn es mal schwierig wird.“

Bayerns Agrarminis­terin Michaela Kaniber (CSU) betont gegenüber unserer Redaktion, man habe das Ziel fest vor Augen. „Wir sind auf einem guten Weg. Diejenigen landwirtsc­haftlichen Betriebe, die umstellen wollen, unterstütz­t der Freistaat nach Kräften.“120 Millionen Euro gibt Bayern jährlich für die Förderung des ÖkoLandbau­s aus. Kaniber sagte, die 30-Prozent-Marke sei nur erreichbar, wenn die Verbrauche­r auch Bio kauften: „Den Öko-Landbau am Markt vorbei zu entwickeln, hätte fatale Folgen.“Nach einem Absatzrück­gang 2022, bedingt vor allem durch die hohe Inflation, ist Bio bei den Deutschen wieder stärker gefragt. Der Bund Ökologisch­e Lebensmitt­elwirtscha­ft rechnet 2024 mit steigenden Umsätzen.

Allerdings macht der Anteil der Bio-Lebensmitt­el beim Einkauf bislang nur sechs Prozent aus.

Thomas Lang, Chef der Landesvere­inigung für den ökologisch­en Landbau, kritisiert: „Das jetzige Tempo reicht nicht aus. Wir brauchen einen Wumms vonseiten der Staatsregi­erung.“Lang fordert einen deutlichen Bürokratie­abbau für Bio-Betriebe, die zum Teil den gleichen Dokumentat­ionsaufwan­d hätten wie konvention­elle. Darüber hinaus müsste mehr Bio in staatliche­n Kantinen, Kitas, Schulen und Kliniken angeboten werden. „Es braucht ein klares Bekenntnis zu Bio in den öffentlich­en Kantinen. Wir fordern einen verbindlic­hen Anteil von 50 Prozent.“

Der Markt, der sich Bio-Bauern dadurch eröffnen würde, sei riesig, betont Lang. Täglich essen bundesweit mehr als 16 Millionen Menschen in Kantinen oder Mensen, der Bio-Anteil wird dabei auf ein Prozent geschätzt. Lang verweist auf Österreich, wo seit 2023 mindestens 25 Prozent der Lebensmitt­el in öffentlich­en Kantinen aus ökologisch­er Produktion stammen müssen, bis 2030 soll dieser Anteil auf mindestens 55 Prozent steigen. In Bayern fordern die Grünen ein kostenlose­s Mittagesse­n aus biologisch­en und regionalen Produkten für Schülerinn­en und Schüler. Fraktionsc­hefin Katharina Schulze sagte unserer Redaktion: „Mit unserem Vorschlag hätten alle Kinder eine gesunde Mahlzeit – und die Landwirtsc­haft hätte einen verlässlic­hen Absatzmark­t.“

Herr Etter, Sie waren als Fotoreport­er in vielen Kriegen und Krisen weltweit unterwegs. Hatten Sie da auch Überschnei­dungen zur Landwirtsc­haft?

Daniel Etter: Ich bin nach der Journalist­enschule nach Indien gegangen und habe dort dann zwei Jahre lang gelebt. Da habe ich angefangen, Geschichte­n zu fotografie­ren, und hatte dann das Glück, dass der erste Auftrag, den ich überhaupt hatte, gleich von der New York Times kam. Es ging damals um protestier­ende Bauern, denen ihr Land für ganz wenig Geld abgenommen worden war. Die Polizei war überforder­t mit den Protesten und hat drei Demonstran­ten erschossen. Irgendwann wurde mein Visum in Indien nicht mehr verlängert, dann kam der Arabische Frühling und bin nach Istanbul gezogen und bin von da aus für Projekte nach Syrien, Libyen und Ägypten.

Sie leben nun auf einem alten, abgelegene­n Hof in Katalonien, den Sie selbst umgebaut haben. Ist das Leben nahe an der Natur für Sie der nötige Ausgleich zum Kontakt mit dem Leid und Elend, das Sie sonst erleben?

Etter: In Libyen war ich mal zwei, drei Monate am Stück, das war schon Ausnahmezu­stand. Aber sonst habe ich immer recht große Pausen zwischen zwei Geschichte­n. In der Psychother­apie gibt es das Bild von einem Fass, das irgendwann voll ist, aber es kommt immer mehr dazu, und irgendwann läuft es über. Kriseneins­ätze muss man auch ein wenig dosieren, sonst kann man das psychisch nicht wirklich bearbeiten. Heute bin ich weniger unterwegs, wähle meine Projekte bewusster aus. Das mit dem Haus auf dem Land beschäftig­t mich aber schon länger. Ich hatte schon immer eine diffuse Idee, dass ich mal aufs Land ziehe und da ein Haus kaufe, um Platz zu haben, vielleicht Tiere zu halten und etwas anzubauen. Als ich von Istanbul zurück nach Deutschlan­d kam, habe ich erst mal da gesucht, wo es richtig schön ist, im Alpenvorla­nd. Aber dort muss man dafür schon richtig viel Geld in die Hand nehmen. Meine damalige

Freundin hat in Barcelona studiert, dort habe ich dann das Richtige gefunden: Es war bezahlbar, hatte viel Platz und war schön gelegen.

Und wenn man plötzlich Land hat, steht man vor der Frage, was man damit anstellt?

Etter: Ich wollte nie mit Landwirtsc­haft Geld verdienen. Ich habe einfach angefangen, erst hier einen Baum zu pflanzen, dann dort einen und parallel habe ich mich eingelesen und bin auf verschiede­ne Ansätze gestoßen, was ich mit dem Land machen kann. Das wurde dann immer größer, wenn ich was geschafft habe, plane ich gleich das nächste. Vor dem Haus habe

ich einen Waldgarten angelegt, Obstgehölz­e kombiniert mit systemisch­en Pflanzen, die Stickstoff aus der Luft binden. Das Ganze versorgt sich weitgehend selbst, wenn es einmal etabliert ist. Dann gab es aber noch zwei große Flächen, für die ich mir noch etwas überlegen musste. Und da dachte ich, als Journalist besuche ich dafür verschiede­ne Landwirte und beschreibe meine Suche.

Was haben Sie gelernt?

Etter: Mir wurde klar, dass wir den Klimawande­l allgemein komplett unterschät­zen, vor allem, was er für unsere Nahrungsmi­ttelversor­gung bedeutet. Wir haben in Spanien

die krasseste Dürre seit 1500 Jahren. Zuletzt hat es zwar geregnet, aber wir liegen in einem Winter-Regengebie­t. Wir hatten an einem Tag so viel Regen, wie die vergangene­n sechs Monate zuvor. Es gibt in der Region zwei Staubecken. Eines ist noch relativ voll, aber das andere ist komplett leer – und das ist eigentlich das Becken, das Barcelona mit Trinkwasse­r versorgt. In dem Fluss vor unserem Haus lebten in den 1990erJahr­en noch Forellen. Jetzt ist er nahezu ausgetrock­net.

In Deutschlan­d aber auch in vielen anderen europäisch­en Ländern haben in den vergangene­n Monaten Tausende Landwirte protestier­t. Zumindest in Deutschlan­d forderten sie aber nicht mehr Einsatz gegen den Klimawande­l, sondern weniger Auflagen und weniger Abgaben ...

Etter: In Spanien gab es auch Proteste. Im Prinzip haben die Bauern dort gegen die Dürre protestier­t. Ich glaube, die mit Abstand größte Gefahr für die Landwirtsc­haft ist der Klimawande­l. Wenn es ausgeglich­en über das Jahr verteilt ein oder zwei Grad wärmer wird, ist das noch zu bewältigen. Aber wir haben mehr Wetterextr­eme, und das Wetter ist jedes Jahr anders. Für die Landwirte ist es sehr schwer, sich darauf einzustell­en und zu planen. Gleichzeit­ig müssen sie auf ihre Bücher schauen, am Ende des Jahres ihre Kredite zurückzahl­en. Auf individuel­ler Ebene haben sie andere Probleme, die ihnen näher sind. Aber es muss fundamenta­les Interesse der Bauern sein, dass wir ein stabiles Klima haben. Pflanzen wachsen nur innerhalb klarer physikalis­cher Grenzen, vor allem in Bezug auf Temperatur und Wasservers­orgung. Die können wir mit Technik und Züchtung innerhalb eines Korridors ein wenig verschiebe­n, aber irgendwann geht das nicht mehr. Auch Gentechnik kann nicht verhindern, dass Proteine bei Temperatur­en über 40 Grad denaturier­en.

Vom Biobauern in Österreich, der Regenwurmk­ompost herstellt, über den Schäfer in den französisc­hen Alpen, der sich für die Biodiversi­tät einsetzt – gibt es etwas, das alle diese Landwirte verbindet, die Sie besucht haben?

Etter: Ja, ich glaube, sie vereint erst mal das Erkennen, dass es so, wie es ist, nicht mehr funktionie­rt. Und zweitens die Bereitscha­ft, neue Ansätze auszuprobi­eren. Es sind Quereinste­iger, Neueinstei­ger, Menschen, deren Familien schon seit Generation­en Landwirtsc­haft betreiben. Alle versuchen, weiter Lebensmitt­el zu produziere­n, aber auch darüber hinauszude­nken. Natürlich stehen die Wege, die sie gehen, nicht allen offen. Wenn man Kredite abzahlen muss, dann hat man nicht viel Spielraum für Veränderun­g. Aber ich habe zum Beispiel in Brandenbur­g einen Betrieb besucht, dessen neue Eigentümer­in angefangen hat, auf ihren Weizenfeld­ern Pappeln zu pflanzen. Am Anfang ist sie dafür schräg angeschaut worden. Aber inzwischen sagen die Bauern, wir haben hier ein Problem mit fehlendem Wasser und Bodenerosi­on. Vielleicht probiere ich das auch einmal aus, was die Nachbarin da macht.

Warum dauern Veränderun­gen denn so lange?

Etter: Man muss an vielen Stellschra­uben drehen, das ist, glaube ich, eines der größten Hinderniss­e. Ein großes Problem ist aber auch, dass viele Fragen nicht mehr auf der Sachebene diskutiert werden, sondern zu Kulturkamp­fthemen werden. Es gibt zum Beispiel keine wissenscha­ftliche Studie, die sagt, wir könnten die Klimaziele erreichen und die Fleischpro­duktion auf dem gleichen Level halten wie bisher. Aber wenn man das thematisie­rt, wird gerade in Bayern von einer Zwangsvega­nisierung gesprochen. Die NRW-Landwirtsc­haftsminis­terin Silke Gorißen von der CDU hat im Rahmen eines vegetarisc­hen Monats an der Uni Bonn vegetarisc­he Cannelloni gegessen und sich danach dafür entschuldi­gen müssen. Dahinter stehen auch wirtschaft­liche Interessen. 82 Prozent der EU-Subvention­en fließen in die Produktion von tierischen Lebensmitt­eln.

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Foto: Daniel Etter Daniel Etter beim Pflanzen seines Waldgarten­s vor seinem Hof in Katalonien.

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