Scholz ruft zur Deeskalation in Nahost auf
Nach dem Vergeltungsschlag Israels auf den Iran wächst die Sorge vor einem Flächenbrand in der Region. Dagegen sprechen die verhaltenen Reaktionen aus beiden Ländern. Irans Atomanlagen wurden nicht getroffen.
Nach der israelischen Antwort auf die Angriffe aus dem Iran wächst in Deutschland die Sorge vor einem Flächenbrand im Nahen Osten. „Wir rufen alle dazu auf, in der Zukunft weiterhin zur Deeskalation beizutragen“, mahnte Bundeskanzler Olaf Scholz: „Die Deeskalation bleibt das Gebot der nächsten Zeit.“
Zuvor hatten amerikanische Offizielle gegenüber dem Sender CBS bestätigt, dass in den frühen Morgenstunden des Freitags eine israelische Rakete im Iran eingeschlagen ist. Israel bestätigt solche Militäraktionen routinemäßig nicht. Nach Informationen der Zeitung Jerusalem Post galt der Angriff
einer Luftwaffenbasis in Isfahan, unweit der iranischen Atomanlagen. Diese wurden nach Angaben der Internationalen Atomenergiebehörde aber nicht getroffen.
Iranische Staatsmedien berichteten lediglich von der Sichtung und dem Beschuss mehrerer kleinerer Flugobjekte über der Provinz Isfahan. Angaben zum Schaden und zu möglichen Verletzten oder gar Toten gab es zunächst nicht. Beobachter sehen die verhaltenen Reaktionen als Zeichen dafür, dass beide Länder die Aktion herunterspielen wollen, um eine weitere Eskalation zu vermeiden.
Dem Raketenangriff war in der Nacht zum vergangenen Sonntag ein beispielloser Angriff Irans auf Israel vorausgegangen. Hunderte Drohnen und Raketen wurden von den Revolutionsgarden abgefeuert, die meisten konnten abgefangen werden. Die Regierung in Teheran begründete ihr Vorgehen mit einem den Israelis zugeschriebenen Luftangriff auf seine diplomatische Vertretung in Damaskus. Dabei wurde unter anderem ein hochrangiger Kommandeur der Revolutionsgarden getötet.
Die Außenministerin Annalena Baerbock hatte bei ihrem Besuch in Israel am Mittwoch den iranischen Angriff scharf verurteilt und Israel erneut „die volle Solidarität“Deutschlands zugesichert. Gleichzeitig warnte die Grünen-Politikerin auch: „Aus dieser brandgefährlichen Lage darf kein regionaler Flächenbrand werden.“Beim Treffen der G7-Außenminister auf Capri riefen die Vertreterinnen und Vertreter der sieben großen westlichen Industrienationen in einer gemeinsamen Erklärung „alle Parteien in der Region und darüber hinaus“dazu auf, einen „positiven Beitrag“zur Deeskalation der Lage zu leisten. Italiens Außenminister Antonio Tajani sagte: „Die G7 unterstützt die Sicherheit Israels, aber wir rufen alle Parteien dazu auf, eine Eskalation zu vermeiden.“
Scholz hatte die Regierung von Premier Benjamin Netanjahu zuvor bereits um Zurückhaltung gebeten. „Für uns ist wichtig, dass dieser Moment jetzt auch für eine weitere Deeskalation genutzt wird und dass Israel diesen Erfolg auch nutzt, um gewissermaßen seine eigene Position in der ganzen Region zu stärken, und eben nicht mit einem eigenen massiven Angriff antwortet.“Regierungssprecher Steffen Hebestreit entgegnete auf die Frage, ob dem Iran ebenso ein Selbstverteidigungsrecht zustehe wie Israel: „Ich glaube, Iran hat Israel angegriffen.“Gleichzeitig trat er dem Eindruck entgegen, die Bundesregierung messe in dem Konflikt mit zweierlei Maß. Die Regierung habe sich „massiv an die israelische Seite gewandt“und auch dort vor einer Eskalation gewarnt. Das tue sie weiterhin.
Die EU hat erstmals Sanktionen gegen radikale israelische Siedler im Westjordanland verhängt. Die Mitgliedstaaten beschlossen unter anderem Strafmaßnahmen gegen vier Männer, denen Folter, Erniedrigungen oder Verstöße gegen das Eigentumsrecht vorgeworfen werden.
So nahe kommt der Terror der deutschen Politik selten. Vom Hotel Dan in Tel Aviv, in dem Joschka Fischer am 1. Juni 2001 abgestiegen ist, sind es nur 500 Meter zur Diskothek Pascha, vor der ein palästinensischer Selbstmordattentäter an diesem Abend 20 Israelis mit in den Tod reißt. Es ist einer der schwersten Anschläge seit Langem – und der deutsche Außenminister spürt schnell, dass er jetzt nicht einfach nach Hause fliegen kann. Um eine weitere Eskalation zu verhindern, fährt Fischer daher nach Ramallah, zu Palästinenserführer Yassir Arafat, und dann zurück nach Israel, zu Ministerpräsident Ariel Sharon. Arafat ringt er eine öffentliche Erklärung ab, die den Anschlag verurteilt, und Sharon die Zusage, Israelis und Palästinensern noch eine letzte Chance zu geben, nachdem sein Verteidigungsminister schon angedroht hatte, das Westjordanland „in Schutt und Asche“zu legen.
Er sei damals eher zufällig in die Rolle des Mittlers geraten, sagt Fischer später. „Es passierte einfach, ich habe mich nicht danach gedrängt.“Annalena Baerbock, die amtierende Außenministerin, dagegen drängt es. In dieser Woche war sie bereits zum siebten Mal seit dem Massaker vom 7. Oktober in Israel, eine Handlungsreisende in Krisendiplomatie, wenngleich eine mit begrenzter Wirkung. Er schätze ihre Vorschläge und Ratschläge, sagt Regierungschef Benjamin Netanjahu zwar höflich. „Aber ich will ganz deutlich sein: Israel wird alles Nötige tun, um sich selbst zu verteidigen.“
Mit ihrem grünen Parteifreund Fischer gemeinsam ist Baerbock ein eher ambivalentes Verhältnis zum jeweiligen israelischen Ministerpräsidenten. Anders als er bei Sharon aber findet sie bei Netanjahu kaum Gehör. Fischers Wort dagegen hatte Gewicht in Israel. 2005 verlieh ihm der Zentralrat der Juden den renommierten Leo-BaeckPreis und würdigte so seinen Einsatz für ein Ende des Terrors, für Frieden im Nahen Osten und seine „kritische, aber uneingeschränkte Solidarität mit dem Staat Israel und seiner Bevölkerung.“
Auf Annalena Baerbock singt die jüdische Community keine solchen Hymnen, in Israel nicht und in Deutschland auch nicht. Dass sie Netanjahu schon vor dem Abflug nach Tel Aviv gewarnt hat, eine Vergeltungsaktion für die iranischen Angriffe sehe das Völkerrecht nicht vor, ist in Israel jedenfalls nicht gut angekommen: In der Sache wie im Stil ein grobes Foul.
Nach Informationen der BildZeitung und eines israelischen Fernsehsenders soll es bei ihrem Gespräch mit dem Regierungschef sogar zu einem Eklat gekommen sein, als Baerbock die Lage im Gazastreifen als „katastrophal“bezeichnet habe. Darauf hätten ihre israelischen Gegenüber ihr Bilder von Märkten in Gaza gezeigt, auf denen jede Menge Obst, Gemüse und andere Lebensmittel zu sehen gewesen seien, sowie Bilder von munter im Meer vor Gaza badenden Palästinensern. Auf Baerbocks Einwand, er solle diese Fotos lieber nicht herumzeigen, soll Netanjahu dann zornig entgegnet haben: „Wir sind nicht wie die Nazis.“Die nämlich hatten einst zu Propagandazwecken geschönte Bilder aus dem Warschauer Getto verbreitet.
Das Auswärtige Amt und die deutsche Botschaft in Tel Aviv weisen den Bericht zwar als irreführend und falsch zurück, mit jeder Reise aber wird die deutsche Außenministerin mehr zum Teil des Problems anstatt zum Teil der Lösung. Die Israelis unterstellen ihr, zu kritisch mit Israel zu sein und zu nachsichtig mit den Palästinensern. In pro-israelischen Chatgruppen im Internet machen gerade empörte Kommentare mit Bildern die Runde, auf denen sie Palästinenserführer Mahmud Abbas in Ramallah lächelnd die Hand schüttelt – einem Mann, der in seiner Doktorarbeit den Holocaust verharmloste, der heute an der Spitze einer korrupten Funktionärsclique
An Gaza scheiden sich die Geister.
steht und seinem Volk seit 15 Jahren Neuwahlen verweigert. „Ich war mal ein großer Fan von Ihnen“, schreibt die bekannte Journalistin Sahra Cohen-Fantl in einem offenen Brief an Baerbock. „Doch Sie sind zu einer der größten Enttäuschungen geworden – für die Menschen im Iran wie auch für die Menschen in Israel.“Und in der Jüdischen Allgemeinen empört sich der in Israel geborene Historiker Rafael Seligmann, dass die deutsche Außenpolitik in Gestalt ihrer Ministerin von Israel zwar regelmäßig Zurückhaltung einfordere, über das legitime Recht des Landes auf Selbstverteidigung dagegen kein Wort verliere.
Joschka Fischer, der in jungen Jahren selbst große Sympathien für die palästinensische Bewegung hatte, versteht die Israelis heute deutlich besser als seine Parteifreundin Baerbock mit ihren immer neuen Aufrufen zur Mäßigung. „Israel kann sich Schwäche nicht erlauben“, hat Fischer schon im Dezember gewarnt, lange vor dem Angriff des Iran. „Sonst wird es nicht mehr existieren.“