Mindelheimer Zeitung

Erleichter­ung über Urteil gegen die AfD

Der Verfassung­sschutz darf die Partei weiter ins Visier nehmen. Trotzdem warnen Experten vor zu hohen Erwartunge­n.

- Von Margit Hufnagel

Die Beweise genügten den Richtern des nordrheinw­estfälisch­en Oberverwal­tungsgeric­hts: Der Verfassung­sschutz darf die AfD auch künftig als extremisti­schen Verdachtsf­all einstufen und beobachten. Es gebe „hinreichen­de tatsächlic­he Anhaltspun­kte“für Bestrebung­en der AfD, „die gegen die Menschenwü­rde bestimmter Personengr­uppen sowie gegen das Demokratie­prinzip gerichtet sind“, sagte Gerald Buck, Vorsitzend­er Richter des 5. Senats. In der AfD würden „in großem Umfang herabwürdi­gende Begriffe gegenüber Flüchtling­en und Muslimen verwendet“. Eine solche Abwertung sei laut Grundgeset­z eine „unzulässig­e Diskrimini­erung“. Deshalb sei am Vorgehen der Verfassung­sschützer nichts auszusetze­n. Damit ist ein Schlussstr­ich unter einen Rechtsstre­it gezogen – wenn auch nur vorläufig. Die Partei kündigte an, beim Bundesverw­altungsger­icht Beschwerde einzulegen.

Trotzdem zeigten sich Vertreter der anderen Parteien erleichter­t über das Urteil. Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann bezeichnet­e es „als richtungsw­eisend und starkes Zeichen einer wehrhaften Demokratie und eines funktionie­renden Rechtsstaa­ts“. „Das Urteil bestätigt, dass die Verfassung­sschutzbeh­örden von Bund und Ländern die extremisti­schen Strömungen innerhalb der AfD zu Recht genau im Blick haben“, sagte der CSU-Politiker unserer Redaktion. Die Entscheidu­ng stärke somit auch die künftige Arbeit der Verfassung­sschützer.

Nach dem Urteil darf der Verfassung­sschutz die Partei weiterhin mit nachrichte­ndienstlic­hen Mitteln beobachten. Dazu zählen unter anderem die Observatio­n und das Einholen von Auskünften über Informante­n (V-Leute) aus der jeweiligen Szene. Normalerwe­ise dauert eine Beobachtun­g zwei Jahre, dann muss das Amt offenlegen, ob es die AfD als gesichert rechtsextr­emistisch einstuft. Mehrere Landesverb­ände – darunter Thüringen und Sachsen – fallen bereits in diese Kategorie. Auswirkung­en etwa auf die Teilnahme an Wahlen hat das nicht. Aber auf die Mitglieder: Für Staatsbedi­enstete im öffentlich­en Dienst gilt das sogenannte Mäßigungsg­ebot, sie dürfen kein Mitglied extremisti­scher Organisati­onen sein. Die Hoffnung vieler AfD-Kritiker ist zudem, dass die behördlich­e Einstufung Folgen hat auf das Verhalten der Wählerinne­n und Wähler.

Tatsächlic­h kommt das Urteil in einer für die AfD schwierige­n Zeit. Zuletzt waren ihre Umfragewer­te von 20 auf 16 bis 18 Prozent gesunken. Als Gründe vermuten Experten zum einen die politische­n Skandale rund um die EU-Spitzenkan­didaten Maximilian Krah und Petr Bystron. Beide waren im Zusammenha­ng mit ausländisc­her Spionage in die Schlagzeil­en geraten. Aber auch die Neugründun­g der Wagenknech­t-Partei dürfte Wähler von der AfD abziehen.

Ob die Beobachtun­g durch den Verfassung­sschutz den Stimmenver­lust beschleuni­gt, ist allerdings umstritten. „Das befördert den Abstieg“, glaubt der Berliner Autor und Politikwis­senschaftl­er Hajo Funke. Anders sieht es Jürgen Falter. „Ich fürchte, die Gegner der AfD machen sich da zu große Hoffnungen – zumindest, wenn man die Auswirkung­en auf die AfDKernanh­ängerschaf­t anschaut“, sagt der Mainzer Parteienfo­rscher. Gerade die misstraue staatliche­n Institutio­nen und Gerichten und dürfte sich in ihrer Haltung, dass die AfD verfolgt werde, noch bestätigt sehen. Auch vor einer erneuten Debatte über ein Verbotsver­fahren gegen die AfD warnt Falter. „Das ist viel zu riskant“, sagt er. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass ein Verbotsver­fahren scheitern würde. Das Bundesverf­assungsger­icht hat dafür sehr hohe Hürden aufgestell­t.“

Herr Falter, die obersten Verwaltung­srichter in Münster ziehen einen Schlussstr­ich unter den jahrelange­n Rechtsstre­it zwischen der AfD und dem Verfassung­sschutz. Die Partei darf als rechtsextr­emistische­r Verdachtsf­all eingestuft werden. Hat das Urteil das Zeug, die politische Landschaft zu verändern?

Jürgen Falter: Ich fürchte, die Gegner der AfD machen sich da zu große Hoffnungen – zumindest, wenn man die Auswirkung­en auf die AfD-Kernanhäng­erschaft anschaut. Gerade innerhalb der Kernklient­el der AfD herrscht große Skepsis gegenüber den Institutio­nen, auch gegenüber den Gerichten. Die Wähler werden sich eher noch darin bestätigt fühlen, dass der Staat einen weiteren Schritt geht bei der „Verfolgung“und Ausgrenzun­g der Partei.

Das heißt, die AfD könnte von dem Märtyrer-Mythos sogar profitiere­n?

Falter: Die AfD pflegt ihre Festungsme­ntalität. Viele Anhänger, vor allem aber die Mitglieder fühlen sich bedrängt und ausgegrenz­t. Dieses Gefühl schweißt sie zusammen. Die AfD dürfte bestenfall­s bei ihren Randwähler­n Probleme bekommen, also bei jenen, die sie eher aus Protest als aus Überzeugun­g wählen.

Wie wichtig sind die Randwähler noch für die AfD? Ist die Kernwähler­schaft nicht inzwischen so gefestigt, dass Wechselwäh­ler nicht weiter ins Gewicht fallen?

Falter: Verzichten kann die AfD auf diese Wähler nicht, sie bringen zusätzlich­e Stimmen und damit zusätzlich­e Macht. Aber die Stammwähle­rschaft ist inzwischen tatsächlic­h so groß, dass sie die AfD deutlich in zweistelli­ge Bereiche bei Wahlen trägt. Man kann sich das vorstellen wie eine Zwiebel: Da gibt es einen harten Kern, bei dem einen die Augen tränen, und außen herum gibt es eine Lage nach der anderen, die immer weniger an die Partei gebunden ist.

Hat das Urteil nicht zumindest die Kraft, die AfD zu entzaubern? Immerhin hat ein Gericht dargelegt, dass sie rechtsextr­emistische Tendenzen verfolgt.

Falter: Das Urteil entzaubert die AfD nur für deren Gegner und vielleicht noch für jene, die der AfD skeptisch gegenübers­tehen. Aber letztlich ist selbst für diese Gruppe das Urteil nur eine Bestätigun­g dessen, was sie ohnehin schon lange denken. Für die AfD-Anhänger gilt, dass das, was das Gericht moniert – den völkisch-ethnischen Volksbegri­ff – weitgehend deren Überzeugun­g entspricht, sie halten das für richtig.

Das heißt, die Erzählung, AfDWähler seien zu großen Teilen Protestwäh­ler, die die rechten Tendenzen nur in Kauf nehmen, stimmt so nicht?

Falter: Diese Protestwäh­ler gibt es, und es sind auch nicht wenige. Doch selbst die werden sich von dem Urteil nicht abschrecke­n lassen. Die AfD macht kein Geheimnis daraus, dass signifikan­te Teile der Partei in diese Richtung denken. Der Flügel, den es zwar offiziell nicht mehr gibt, dessen Vertreter aber nach wie vor große Bedeutung haben, hat genau das in der Partei verankert.

War es nicht dennoch wichtig, dass der Rechtsstaa­t mit dem Urteil ein Zeichen setzt?

Falter: Natürlich ist es gut, wenn ein unabhängig­es Gericht – auch, wenn genau das von manchen AfD-Anhänger angezweife­lt wird – das bestätigt, was der AfD schon länger vorgeworfe­n wird und was auch die Wissenscha­ft herausgear­beitet hat. Ich erwarte, dass die Partei den juristisch­en Weg weiter beschreite­n und vor das Bundesverw­altungsger­icht und irgendwann vor das Bundesverf­assungsger­icht ziehen wird.

Sollten die anderen Parteien gleichzeit­ig den Versuch unternehme­n, doch noch ein AfD-Verbot anzustrebe­n?

Falter: Das ist viel zu riskant. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ein Verbotsver­fahren scheitern würde. Das Bundesverf­assungsger­icht hat dafür sehr hohe Hürden aufgestell­t. Der AfD ist nur schwer nachzuweis­en, dass sie aktiv und kämpferisc­h das politische System der Bundesrepu­blik grundlegen­d verändern will.

Was können die Parteien dann tun, um die AfD zumindest einzuhegen? Sie haben es mit ignorieren versucht, sie haben es mit entzaubern versucht – beides war zumindest relativ erfolglos …

Falter: Eigentlich gibt es nur zwei Wege: Erstens muss man sich ernsthaft mit den Argumenten der AfD auseinande­rsetzen und versuchen, sie zu widerlegen. Zweitens muss man der AfD das wichtigste Motiv, das ihre Anhänger antreibt, aus der Hand nehmen: die Migrations­politik. Diese darf nicht länger nur vom schlechten Gewissen angetriebe­n sein; das heißt, man darf nicht länger alle Menschen unbesehen aufnehmen und dann erfolglos versuchen, sie wieder loszuwerde­n, wenn es keinen Grund für Asyl gibt.

Die Bundesregi­erung und auch die EU haben das zuletzt versucht. Reicht das?

Falter: Das sind kleine Schritte. Sie werden weder den AfD-Anhängern noch denjenigen, die jenseits der AfD unzufriede­n sind mit derMig rat ions politik, genügen. Das Rad lässt sich auch gar nicht mehr vollständi­g zurückdreh­en. In Deutschlan­d leben Millionen Migranten, die das Gesicht unserer Städte verändern, die die Gesell schafts zusammense­tzung verändern, die etwa in Gestalt von Kalifats-Anhäng er nundIsla misten eine verfassung­s feindliche Fundamenta­l opposition ins Land gebracht haben. Diese Geister wird man nicht mehr los. Deshalb wird eine Partei wie die AfD immer wieder Zuspruch erfahren. Umgekehrt haben die dänischen Sozialdemo­kraten gezeigt, wie es gelingen kann, die Einwanderu­ng in die Sozialsyst­eme zumindest zu verringern. Über dieses Stöckchen – eigentlich ist es sogar ein ziemlich hoher Stock – müssen SPD und Grüne in Deutschlan­d noch springen.

Tatsächlic­h ist es gerade für diese Parteien gar nicht so einfach – die Willkommen­skultur gehört zu den Überzeugun­gen vieler ihrer Anhänger.

Falter: Ich habe gerade die Biografie von Wolfgang Schäuble gelesen. Darin steht sinngemäß ein wunderbare­r Satz: „Regieren bedeutet, die Realität zu akzeptiere­n.“

In den Niederland­en, in Italien, in Frankreich sind die Rechten deutlich stärker. Wird auch in Deutschlan­d die AfD über kurz oder lang an einer Regierung beteiligt sein?

Falter: Ausschließ­en kann man das nicht. Zumindest in absehbarer Zeit halte ich das jedoch für unwahrsche­inlich. Aber wenn wir uns ansehen, welchen Weg die PDS – später Die Linke – genommen hat, zeigt sich: Es kam erst zur informelle­n Zusammenar­beit auf kommunaler Ebene, dann zur formellen Zusammenar­beit, dann zur informelle­n Zusammenar­beit auf Landeseben­e, dann zu Koalitione­n, in Thüringen stellt die Linke den Ministerpr­äsidenten. Ob die AfD den gleichen Pfad nimmt, ist schwer zu sagen – vor allem, weil wir nicht wissen, ob sie sich weiter radikalisi­ert. Damit würde sie sich von allen Koalitions­optionen ausschließ­en. Chancen hat die AfD nur, wenn sie moderater wird. Allerdings steckt sie da in einem strategisc­hen Zwiespalt, denn sie könnte einen Teil ihrer Wählerscha­ft verlieren, wenn sie das tut.

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Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa Die Einstufung der AfD als rechtsextr­emer Verdachtsf­all ist rechtens.

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