Erleichterung über Urteil gegen die AfD
Der Verfassungsschutz darf die Partei weiter ins Visier nehmen. Trotzdem warnen Experten vor zu hohen Erwartungen.
Die Beweise genügten den Richtern des nordrheinwestfälischen Oberverwaltungsgerichts: Der Verfassungsschutz darf die AfD auch künftig als extremistischen Verdachtsfall einstufen und beobachten. Es gebe „hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte“für Bestrebungen der AfD, „die gegen die Menschenwürde bestimmter Personengruppen sowie gegen das Demokratieprinzip gerichtet sind“, sagte Gerald Buck, Vorsitzender Richter des 5. Senats. In der AfD würden „in großem Umfang herabwürdigende Begriffe gegenüber Flüchtlingen und Muslimen verwendet“. Eine solche Abwertung sei laut Grundgesetz eine „unzulässige Diskriminierung“. Deshalb sei am Vorgehen der Verfassungsschützer nichts auszusetzen. Damit ist ein Schlussstrich unter einen Rechtsstreit gezogen – wenn auch nur vorläufig. Die Partei kündigte an, beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde einzulegen.
Trotzdem zeigten sich Vertreter der anderen Parteien erleichtert über das Urteil. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann bezeichnete es „als richtungsweisend und starkes Zeichen einer wehrhaften Demokratie und eines funktionierenden Rechtsstaats“. „Das Urteil bestätigt, dass die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern die extremistischen Strömungen innerhalb der AfD zu Recht genau im Blick haben“, sagte der CSU-Politiker unserer Redaktion. Die Entscheidung stärke somit auch die künftige Arbeit der Verfassungsschützer.
Nach dem Urteil darf der Verfassungsschutz die Partei weiterhin mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachten. Dazu zählen unter anderem die Observation und das Einholen von Auskünften über Informanten (V-Leute) aus der jeweiligen Szene. Normalerweise dauert eine Beobachtung zwei Jahre, dann muss das Amt offenlegen, ob es die AfD als gesichert rechtsextremistisch einstuft. Mehrere Landesverbände – darunter Thüringen und Sachsen – fallen bereits in diese Kategorie. Auswirkungen etwa auf die Teilnahme an Wahlen hat das nicht. Aber auf die Mitglieder: Für Staatsbedienstete im öffentlichen Dienst gilt das sogenannte Mäßigungsgebot, sie dürfen kein Mitglied extremistischer Organisationen sein. Die Hoffnung vieler AfD-Kritiker ist zudem, dass die behördliche Einstufung Folgen hat auf das Verhalten der Wählerinnen und Wähler.
Tatsächlich kommt das Urteil in einer für die AfD schwierigen Zeit. Zuletzt waren ihre Umfragewerte von 20 auf 16 bis 18 Prozent gesunken. Als Gründe vermuten Experten zum einen die politischen Skandale rund um die EU-Spitzenkandidaten Maximilian Krah und Petr Bystron. Beide waren im Zusammenhang mit ausländischer Spionage in die Schlagzeilen geraten. Aber auch die Neugründung der Wagenknecht-Partei dürfte Wähler von der AfD abziehen.
Ob die Beobachtung durch den Verfassungsschutz den Stimmenverlust beschleunigt, ist allerdings umstritten. „Das befördert den Abstieg“, glaubt der Berliner Autor und Politikwissenschaftler Hajo Funke. Anders sieht es Jürgen Falter. „Ich fürchte, die Gegner der AfD machen sich da zu große Hoffnungen – zumindest, wenn man die Auswirkungen auf die AfDKernanhängerschaft anschaut“, sagt der Mainzer Parteienforscher. Gerade die misstraue staatlichen Institutionen und Gerichten und dürfte sich in ihrer Haltung, dass die AfD verfolgt werde, noch bestätigt sehen. Auch vor einer erneuten Debatte über ein Verbotsverfahren gegen die AfD warnt Falter. „Das ist viel zu riskant“, sagt er. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass ein Verbotsverfahren scheitern würde. Das Bundesverfassungsgericht hat dafür sehr hohe Hürden aufgestellt.“
Herr Falter, die obersten Verwaltungsrichter in Münster ziehen einen Schlussstrich unter den jahrelangen Rechtsstreit zwischen der AfD und dem Verfassungsschutz. Die Partei darf als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft werden. Hat das Urteil das Zeug, die politische Landschaft zu verändern?
Jürgen Falter: Ich fürchte, die Gegner der AfD machen sich da zu große Hoffnungen – zumindest, wenn man die Auswirkungen auf die AfD-Kernanhängerschaft anschaut. Gerade innerhalb der Kernklientel der AfD herrscht große Skepsis gegenüber den Institutionen, auch gegenüber den Gerichten. Die Wähler werden sich eher noch darin bestätigt fühlen, dass der Staat einen weiteren Schritt geht bei der „Verfolgung“und Ausgrenzung der Partei.
Das heißt, die AfD könnte von dem Märtyrer-Mythos sogar profitieren?
Falter: Die AfD pflegt ihre Festungsmentalität. Viele Anhänger, vor allem aber die Mitglieder fühlen sich bedrängt und ausgegrenzt. Dieses Gefühl schweißt sie zusammen. Die AfD dürfte bestenfalls bei ihren Randwählern Probleme bekommen, also bei jenen, die sie eher aus Protest als aus Überzeugung wählen.
Wie wichtig sind die Randwähler noch für die AfD? Ist die Kernwählerschaft nicht inzwischen so gefestigt, dass Wechselwähler nicht weiter ins Gewicht fallen?
Falter: Verzichten kann die AfD auf diese Wähler nicht, sie bringen zusätzliche Stimmen und damit zusätzliche Macht. Aber die Stammwählerschaft ist inzwischen tatsächlich so groß, dass sie die AfD deutlich in zweistellige Bereiche bei Wahlen trägt. Man kann sich das vorstellen wie eine Zwiebel: Da gibt es einen harten Kern, bei dem einen die Augen tränen, und außen herum gibt es eine Lage nach der anderen, die immer weniger an die Partei gebunden ist.
Hat das Urteil nicht zumindest die Kraft, die AfD zu entzaubern? Immerhin hat ein Gericht dargelegt, dass sie rechtsextremistische Tendenzen verfolgt.
Falter: Das Urteil entzaubert die AfD nur für deren Gegner und vielleicht noch für jene, die der AfD skeptisch gegenüberstehen. Aber letztlich ist selbst für diese Gruppe das Urteil nur eine Bestätigung dessen, was sie ohnehin schon lange denken. Für die AfD-Anhänger gilt, dass das, was das Gericht moniert – den völkisch-ethnischen Volksbegriff – weitgehend deren Überzeugung entspricht, sie halten das für richtig.
Das heißt, die Erzählung, AfDWähler seien zu großen Teilen Protestwähler, die die rechten Tendenzen nur in Kauf nehmen, stimmt so nicht?
Falter: Diese Protestwähler gibt es, und es sind auch nicht wenige. Doch selbst die werden sich von dem Urteil nicht abschrecken lassen. Die AfD macht kein Geheimnis daraus, dass signifikante Teile der Partei in diese Richtung denken. Der Flügel, den es zwar offiziell nicht mehr gibt, dessen Vertreter aber nach wie vor große Bedeutung haben, hat genau das in der Partei verankert.
War es nicht dennoch wichtig, dass der Rechtsstaat mit dem Urteil ein Zeichen setzt?
Falter: Natürlich ist es gut, wenn ein unabhängiges Gericht – auch, wenn genau das von manchen AfD-Anhänger angezweifelt wird – das bestätigt, was der AfD schon länger vorgeworfen wird und was auch die Wissenschaft herausgearbeitet hat. Ich erwarte, dass die Partei den juristischen Weg weiter beschreiten und vor das Bundesverwaltungsgericht und irgendwann vor das Bundesverfassungsgericht ziehen wird.
Sollten die anderen Parteien gleichzeitig den Versuch unternehmen, doch noch ein AfD-Verbot anzustreben?
Falter: Das ist viel zu riskant. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ein Verbotsverfahren scheitern würde. Das Bundesverfassungsgericht hat dafür sehr hohe Hürden aufgestellt. Der AfD ist nur schwer nachzuweisen, dass sie aktiv und kämpferisch das politische System der Bundesrepublik grundlegend verändern will.
Was können die Parteien dann tun, um die AfD zumindest einzuhegen? Sie haben es mit ignorieren versucht, sie haben es mit entzaubern versucht – beides war zumindest relativ erfolglos …
Falter: Eigentlich gibt es nur zwei Wege: Erstens muss man sich ernsthaft mit den Argumenten der AfD auseinandersetzen und versuchen, sie zu widerlegen. Zweitens muss man der AfD das wichtigste Motiv, das ihre Anhänger antreibt, aus der Hand nehmen: die Migrationspolitik. Diese darf nicht länger nur vom schlechten Gewissen angetrieben sein; das heißt, man darf nicht länger alle Menschen unbesehen aufnehmen und dann erfolglos versuchen, sie wieder loszuwerden, wenn es keinen Grund für Asyl gibt.
Die Bundesregierung und auch die EU haben das zuletzt versucht. Reicht das?
Falter: Das sind kleine Schritte. Sie werden weder den AfD-Anhängern noch denjenigen, die jenseits der AfD unzufrieden sind mit derMig rat ions politik, genügen. Das Rad lässt sich auch gar nicht mehr vollständig zurückdrehen. In Deutschland leben Millionen Migranten, die das Gesicht unserer Städte verändern, die die Gesell schafts zusammensetzung verändern, die etwa in Gestalt von Kalifats-Anhäng er nundIsla misten eine verfassungs feindliche Fundamental opposition ins Land gebracht haben. Diese Geister wird man nicht mehr los. Deshalb wird eine Partei wie die AfD immer wieder Zuspruch erfahren. Umgekehrt haben die dänischen Sozialdemokraten gezeigt, wie es gelingen kann, die Einwanderung in die Sozialsysteme zumindest zu verringern. Über dieses Stöckchen – eigentlich ist es sogar ein ziemlich hoher Stock – müssen SPD und Grüne in Deutschland noch springen.
Tatsächlich ist es gerade für diese Parteien gar nicht so einfach – die Willkommenskultur gehört zu den Überzeugungen vieler ihrer Anhänger.
Falter: Ich habe gerade die Biografie von Wolfgang Schäuble gelesen. Darin steht sinngemäß ein wunderbarer Satz: „Regieren bedeutet, die Realität zu akzeptieren.“
In den Niederlanden, in Italien, in Frankreich sind die Rechten deutlich stärker. Wird auch in Deutschland die AfD über kurz oder lang an einer Regierung beteiligt sein?
Falter: Ausschließen kann man das nicht. Zumindest in absehbarer Zeit halte ich das jedoch für unwahrscheinlich. Aber wenn wir uns ansehen, welchen Weg die PDS – später Die Linke – genommen hat, zeigt sich: Es kam erst zur informellen Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene, dann zur formellen Zusammenarbeit, dann zur informellen Zusammenarbeit auf Landesebene, dann zu Koalitionen, in Thüringen stellt die Linke den Ministerpräsidenten. Ob die AfD den gleichen Pfad nimmt, ist schwer zu sagen – vor allem, weil wir nicht wissen, ob sie sich weiter radikalisiert. Damit würde sie sich von allen Koalitionsoptionen ausschließen. Chancen hat die AfD nur, wenn sie moderater wird. Allerdings steckt sie da in einem strategischen Zwiespalt, denn sie könnte einen Teil ihrer Wählerschaft verlieren, wenn sie das tut.