Mittelschwaebische Nachrichten
Weckgläser sind richtig in
Warum sich mit Traditionsmarken heute gute Geschäfte machen lassen
Berlin Kaum eine Hochzeit kommt um Desserts in kleinen Einmachgläsern herum. In deutschen Großstädten baumeln Leica-Kameras an Hälsen von Hipstern und Touristen. Und Millionen Füße stecken in den soliden Werten der Vergangenheit – die Birkenstock-Sandale erlebt einen neuen Boom. Auf einmal sind Marken beliebt, die schon bei Eltern und Großeltern angesagt waren. Vier Gründe, weshalb deutsche Retro-Marken so erfolgreich sind.
Von bieder zu schick Lange war Birkenstock in Deutschland als Ökolatsche verpönt. Dies änderte sich spätestens, als CélineDesignerin Phoebe Philo dem deutschen Schuhhersteller international zu Glamour verhalf. Sie ließ Models in Birkenstock über den Laufsteg gehen – was global für Aufsehen sorgte: Seither haben sich die Google-Suchanfragen nach Birkenstock fast verdreifacht. Rund 17,4 Millionen Paare verkaufte das Unternehmen mit Sitz in Neustadt/Wied (Rheinland-Pfalz) 2015. Fast die Hälfte des Umsatzes wurde in Ländern außerhalb Europas gemacht. Der Umsatz stieg um 22 Prozent auf 333,5 Millionen Euro.
Der Wille zur Veränderung Der Erfolg von Birkenstock zeigt: „Retro“müsse einhergehen mit dem Willen zur Weiterentwicklung, sagt Anneke Neuhaus von der Frankfurt University of Applied Sciences. Das Vertrauen zu einer Marke könne dauerhaft nur gehalten werden, wenn Innovationen nicht vernachlässigt werden. Die Kehrtwende hatte Leica gerade noch geschafft. Vor zehn Jahren stand der Kamerahersteller aus Wetzlar (Hessen) mit dem Rücken zur Wand. Das Unternehmen hatte Ende der 90er Jahre den Einstieg in die Digitalfotografie verpasst.
Anfang der 2000er war Leica finanziell angezählt. Nach einer Kapitalerhöhung kam die Firma 2010 zurück in die Erfolgsspur: Sie schaffte mit der erfolgreichen M-Serie den Sprung ins digitale Zeitalter, entwickelte neue Kameramodelle, alle fanden reißenden Absatz. Im Februar verkündete das Unternehmen den nächsten wegweisenden Schritt: eine Kooperation mit dem chinesischen Handyhersteller Huawei.
Weniger ist mehr Wer mit Leica fotografiert, trägt ein Statussymbol um den Hals – mit dem Wert eines Kleinwagens. „Manche Leute kaufen wenige Produkte. Aber für diejenigen, die sie kaufen, sind sie bereit, viel Geld auszugeben, in der Hoffnung, dass die Produkte lange halten“, sagt Marketing-Experte Sascha Friesike.
Beim Weniger-ist-mehr spielt ein weiterer Punkt eine Rolle: „Vor allem Retro-Marken bestechen mit ihrer Einfachheit: Das Produkt scheint mir vertraut, auch ohne weitere Erklärungen“, sagt Anneke Neuhaus, Marketing-Professorin an der Frankfurt University of Applied Sciences.
Das Gefühl von Vertrautheit Beispiele hierfür reichen vom antiken MessingVentilator über die Digital-Kamera ohne Display bis zur eingelegten Gurke, bei der Vorfreude und Optik schöner sind als das fertige Resultat.
Heute werden Desserts und Slow Food in kleinen WeckGläschen serviert, damit die Gäste auch im Stehen miteinander ins Gespräch kommen können. Der Trend, der auch im Alltag zu beobachten ist, dass Snacks und Essen zum Mitnehmen immer beliebter werden, macht auch vor Buffets nicht Halt. Rund 40 Millionen Euro hat der Hersteller der Weck-Gläser mit Sitz in Wehr (Baden-Württemberg) 2015 umgesetzt. Den Großteil seiner Geschäfte macht Weck mit der Herstellung von Gefäßen für das Gewerbe und die Gastronomie. Nur zehn bis 20 Prozent werden mit Einmachgläsern umgesetzt – als traditionelles „Einwecken“wird es von vielen fast automatisch mit der Marke in Verbindung gebracht. Die Welt ist eben unübersichtlicher und unsicherer geworden. Je größer die Unsicherheiten, desto mehr orientieren sich Menschen an Vertrautem. Traditionsmarken geben Orientierung und Sicherheit. (dpa)