Mittelschwaebische Nachrichten
„Da ist etwas in mir gestorben“
Der Angeklagte erklärt, wie es zu der Messerstecherei in Ellzee kam. Das Opfer erklärt seine Sicht auf die Beziehung
Memmingen Am zweiten Tag des Prozesses um die Messerstecherei von Ellzee vor dem Memminger Landgericht sind gestern zwei wichtige Komplexe besprochen worden: Der Angeklagte schilderte, wie er seine Schwiegermutter in deren Haus angegriffen und mit sieben Messerstichen schwer verletzt hatte. Und das 55 Jahre alte Opfer schilderte seine Sicht der Dinge zur Beziehung zwischen dem Angeklagten und der Tochter.
Der 29-Jährige sagte, er wollte seine beiden Töchter sehen, nachdem seine Frau mit ihnen die gemeinsame Wohnung verlassen und zu ihrer Mutter gegangen war. Am Telefon drängte er seine Frau, ihm die Adresse zu nennen und fuhr zu dem Haus in Ellzee. Die beiden Frauen erwarteten ihn im Hausflur mit den Kindern. „Ich habe zu meinen Töchtern gesagt: Papa bringt Euch jetzt nach Hause“, sagte der Angeklagte. Doch die Schwiegermutter habe das ältere Mädchen weggezogen und gesagt, dass die Kinder bei ihr bleiben würden. Diese Worte waren der Auslöser für die Tat: „Sie hat kein Recht über meine Kinder zu bestimmen. Da ist alles in mir hochgekommen. Dass die mir verbietet, meine Kinder mitzunehmen, meine Prinzessin von mir wegzieht – da ist etwas in mir gestorben“, sagte der Angeklagte.
In diesem Moment zog der Mann das mitgebrachte Klappmesser aus der Hosentasche. Er stach mit der acht Zentimeter langen Klinge auf die ihm verhasste Schwiegermutter ein, traf sie im Schulterbereich. Die Frau flüchtete in die Wohnung. Der Angeklagte folgte ihr, stach noch sechs Mal auf sie ein und ließ erst ab, als sie an einer Wand zusammensackte. „Da hat sie mir leidgetan, ich wollte gar nicht wahrhaben, dass ich so auf sie eingestochen habe“, sagte der Angeklagte. Er ließ das Messer fallen, ging vors Haus und rief die Polizei. Im Gerichtssaal entschuldigte er sich für die Tat.
Das Opfer bestätigte die Geschichte im Wesentlichen. Die Frau sagte, dass sowohl sie als auch ihre Tochter dem Angeklagten gesagt hätten, dass sie ihm die Kinder nicht wegnehmen wollten. Als sie gesagt habe, dass die Mädchen bei ihr bleiben würden, hätte sie nur diesen Tag gemeint, versicherte die Schwiegermutter. An den Angriff erinnerte sie sich bruchstückhaft. Schmerzen habe sie erst gespürt, als sie auf dem Boden zusammensackte und die Blutlache um sich herum sah. Der Angeklagte sei vor ihr gestanden und habe gesagt: „Jetzt siehst Du, was Du davon hast.“Die Frau trug bei dem Angriff schwere Verletzungen davon: Die Leber war verletzt, ebenso die Lunge, der Blutverlust war immens. Um sie am Leben zu erhalten, mussten ihr die Ärzte, während sie bewusstlos war, mehrere Blutkonserven verabreichen – was Zeugen Jehovas aus religiösen Gründen eigentlich ablehnen. Außerdem wurde ihre Gallenblase entfernt. Eine Nachbarin hatte Erste Hilfe geleistet und die Blutung gebremst, bis der Notarzt eintraf. Der bestätigte vor Gericht: Die Verletzungen waren lebensbedrohlich. Heute bereiten der Frau die Narben Probleme und eine Lähmung in ihrem linken Arm. Um das Geschehen zu verarbeiten ist sie ebenso in Therapie wie ihre Tochter und die ältere Enkelin, die den Angriff mit ansehen mussten. In ihr Haus ist sie aber zurückgekehrt: „Das wollte ich sofort. Ich fühle mich dort sicher.“Dass ihr Schwiegersohn derart auf sie losgehen könnte, hätte sie nie erwartet, sagte sie. Auf Vorwürfe und einen verbalen Streit sei sie vorbereitet gewesen. Das Verhältnis zwischen ihr und dem Schwiegersohn war über Jahre schwer belastet. Er warf ihr vor, sich massiv in die Ehe eingemischt zu haben. Zeitweilig wechselten er und seine Frau die Handynummer, um vor den ständigen Nachrichten Ruhe zu haben. Die Schwiegermutter beteuerte, sie habe immer nur ein gutes Verhältnis zu ihrer Tochter haben und sich nicht einmischen wollen. Ihre Tochter habe ihr nie wirklich gesagt, dass sie keinen Kontakt wolle. Daher hielt sie sich nie lange an Absprachen. Selbst ein deutlicher Hinweis aus der Gemeinde der Zeugen Jehovas, die Ehe ihrer Tochter und des Schwiegersohns zu akzeptieren, wirkte nicht lange. Immer wieder schrieb sie Nachrichten oder Briefe, sagte sich teilweise sogar von der Tochter los, um sich dann wieder zu melden. Erst eine Anzeige wegen Hausfriedenbruchs wirkte, diese hatten beide Ehepartner unterschrieben. Der Angeklagte wollte nicht, dass seine Kinder mit der Großmutter Kontakt haben, kontrollierte auch das Handy seiner Frau. Als es in der Ehe aufgrund von Affären des Mannes kriselte, wandte sich die Tochter aber selbst an ihre Mutter. Am Tattag sah die Frau ihre jüngste Enkelin zum ersten Mal.
„Sie hat kein Recht, über meine Kinder zu bestimmen. Da ist alles in mir hochgekommen.“