Mittelschwaebische Nachrichten
Trauriger Abgang
Mit Marco Koch enttäuscht auch die größte deutsche Medaillenhoffnung. Die Stimmung im deutschen Lager ist denkbar schlecht. Der Bundestrainer hinterfragt seine Arbeit, will das „sinkende Schiff“aber nicht verlassen
Rio de Janeiro Aus der ständigen Olympia-Tristesse der leidgeplagten deutschen Schwimmer gibt es nur einen Ausweg. „Das System muss sich ändern, sonst sind wir im Leistungssport nicht mehr existent“, warnte Chefbundestrainer Henning Lambertz. Nach Weltrekordler Paul Biedermann und Europameisterin Franziska Hentke stach auch der höchste Trumpf nicht. Statt der angepeilten Medaille ging Weltmeister Marco Koch als Siebter über 200 Meter Brust leer aus.
Wie vor vier Jahren steuern die deutschen Beckenschwimmer auf eine Bilanz ohne Medaille zu. Die Spiele von Peking 2008 waren noch von Britta Steffens Doppelgold überstrahlt. Danach wurde es finster. „Am meisten tun mir die Fans leid, die nachts um drei aufstehen, um sich so was anzuschauen“, sagte Lambertz.
Immerhin schraubten Rückenschwimmer Christian Diener und Lagenschwimmer Philip Heintz die Zahl der Finalplätze in Rio auf fünf. Aber das tröstete nicht über die 2:08,00 Minuten von Koch beim Olympiasieg des Kasachen Dimitri Balandin hinweg. „Das Einzige, was mich traurig macht, ist, dass ich dieses Jahr zwei- oder dreimal schneller war. Es ärgert mich, dass ich hier nicht mein Bestes zeigen konnte“, sagte Koch und dachte bereits auf dem Weg aus der Halle schon an die Spiele 2020: „In vier Jahren ist Tokio. Ich fange morgen mit dem Training an – so ungefähr.“
Bis dahin ist auch die Arbeit von Lambertz ausgelegt. „Ich denke nicht darüber nach, das sinkende Schiff zu verlassen“, betonte der 45-Jährige. „Aber auch ich muss mich ja hinterfragen und will auf keinen Fall Schuld von mir weisen.“
Er will die deutschen Schwimmer bis 2020 zurück an die Weltspitze führen. Nach den tränenreichen Wettkampftagen im Olympic Aquatics Stadium fällt es schwer, an einen Erfolg des ambitionierten Projekts zu glauben. „Es ist Zeit, einen massiven Kurswechsel einzuleiten. Wir reden schon seit vielen Jahren von einem Kurswechsel“, sagte ARDExpertin Franziska van Almsick. Zwar gab es ehrbare Erfolge bei EM und WM, aber Olympia sei eben noch einmal eine andere Liga.
Eine erste Veränderung ist eingeleitet: Ein Eliteteam, wie es Biedermann, Europameisterin Franziska Hentke und Koch bildeten, wird es wohl nicht mehr geben. Aufgrund ihrer Erfolge durften sich die Leistungsträger weitgehend nach eigenen Wünschen und Vorstellungen vorbereiten. Ohne olympischen Erfolg. „Auf dem Silbertablett wird uns die Medaille präsentiert, aber wir wollen sie nicht. Wir nehmen die Finger wieder weg und greifen nicht zu“, haderte Lambertz.
In der Nachwuchsarbeit wurden in den vergangenen Jahren – etwa mit der Bildung eines Perspektivteams – Änderungen angestoßen, die sich in Tokio dann aber auch auszahlen müssen. Insgesamt treffen den Schwimmsport mit einer gewaltigen internationalen Konkurrenzsituation die Schwächen des Leistungssportsystems in Deutschland besonders hart. Lambertz wünscht sich mehr Geld für seine Sportart. Aber auch neue Ideen und Lösungskonzepte müssen gefunden werden, sonst versinkt der deutsche Schwimmsport in der olympischen Bedeutungslosigkeit. (dpa)