Mittelschwaebische Nachrichten
Ein Baum zum Mitnehmen
Wie die Bonsaifreunde bei ihren monatlichen Treffen in Thannhausen an ihren Pflanzen arbeiten
Thannhausen Eine Ameise krabbelt am Stamm der Fichte hinauf. Sie erklimmt den ersten Ast, hält inne, dreht um, dreht nochmals um, stellt sich auf die Hinterbeine und macht ganz allgemein einen etwas unschlüssigen Eindruck. Gäbe es derartige Handlungen in der Ameisenwelt, würde sie sich jetzt vielleicht am Kopf kratzen. Ratlos und ein bisschen verwirrt. Die Ameise setzt sich wieder in Bewegung. Den knorrigen Stamm hinab und hinein ins moosige Erdreich. Vielleicht will sie dort die unfreiwilligen Ortswechsel verdauen, die in der vergangenen halben Stunde über sie hereingebrochen sind. Denn die knorrige Fichte steht nicht, wie Bäume es gemeinhin tun, in trauter Gemeinschaft mit anderen Fichten in einem der Wälder des umliegenden Mindeltales.
Die Fichte ist nur ungefähr 40 Zentimeter hoch, wächst in einer kugeligen Schale und wird von Hellfried Rapp aus Kaufering gehegt und gepflegt, geschnitten und in Form gebracht. Ein Bonsai, den er an diesem Mittwochabend in sein Auto gepackt hat, um ihn seinen Freunden vom Thannhauser Arbeitskreis der Bonsaifreunde vorzustellen. Die kleine Ameise ist dabei nur ein blinder Passagier.
Seit 23 Jahren existiert der Thannhauser Arbeitskreis als eine Untergruppe des Bonsaiclub Deutschland. Jeden zweiten Mittwoch im Monat treffen sich die Bonsaianer, wie sie sich selbst nennen, im Nebenzimmer des „Sonnenhof“, um, und das ist das Besondere daran, zu gärteln, zu häckeln, zu schneiden und vor allem, sich mit Gleichgesinnten zu beraten. „Dass wir hier an unseren Bäumen arbeiten dürfen, müssen sie schreiben“, insistiert Elisabeth Hildensperger, die Leiterin des Arbeitskreises. „Unser Wirt hier ist da sehr großzügig. Viele andere Arbeitskreise in Deutschland haben diese Möglichkeit, in der Gruppe zu arbeiten, nicht.“
Es fällt auch einiges an Grüngut an, an diesem Abend, wo 15 Bonsaianer mit ihren Ulmen, Apfelbäumchen, Eichen, Lärchen, Wacholderund Buchsbäumchen anrücken. Gepflanzt in Schalen, ausgehöhlten Kokosnüssen oder Holzkugeln. Sogar eine Kuchenbackform dient als Heimstatt für ein scheinbar windzerzaustes Exemplar. Nach und nach tritt jeweils einer aus der Gruppe hervor und stellt sich mit seinem Baum in die Mitte der hufeisenförmigen Tischanordnung. Bei einem zur Diskussion gestellten Apfelbaum von Elisabeth Hildensperger ist man sich in der Runde einig, unten am Stamm etwas Erde anzuhäufeln, um ein schönes Wurzelwerk zu entwickeln. Ihre Ulme bräuchte allerdings einen Rückschnitt „um sie asymmetrischer zu gestalten“. Es „fehle die Spannung“wird allgemein bemängelt. Überhaupt scheinen die Bonsaianer eine außergewöhnlich kritikfähige Gemeinschaft zu sein. Gespart wird jedenfalls nicht mit Verbesserungsvorschlägen, die sich für die Ohren eines Neulings auch recht derb anhören können.
Auf die Frage eines Buchsbaumbesitzers, was er an seinem Bäumchen wegschneiden soll, wird ihm rigoros beschieden: „Alles.“Einer aus der Runde beschwichtigt zwar, aber auch beim nachfolgenden Buchsbäumchen, das nach Meinung seines Besitzers lediglich einen Formschnitt brauche, ist man sich im Kreis einig: „Die Hälfte muss weg.“
„Neulingen fällt das Ausschneiden oft sehr schwer“, sagt Hellfried Rapp, ein alter Hase unter den Bonsaianern. Er hat schon Medaillen bei den Meisterschaften in Leipzig errungen und weiß, dass man „anfangs an jedem Ästchen hängt“. Später würde man dann immer gewagter. Kaskaden- oder Literatenform? Ein Stück Rinde entfernen, um Totholz zu fabrizieren? Mittels Draht den Ast in eine Form bringen, die das Bäumchen sturmgepeitscht und wettergebeugt erscheinen lässt? Kalium- und Magnesiumgaben, um bei jungen, grünen Zweiglein das Verholzen zu fördern? All diese Fragen werden eingehend erörtert. Die Form ist wichtig. Dreidimensional soll sie sein. Das Bäumchen soll alt erscheinen.
Die eineinhalbjährige Lärche von Peter Zellhuber hat „lockige“Nadeln. Das ist so nicht in Ordnung und deutet auf den Befall durch die Lärchenlaus hin. Die Stieleiche von Rita Botzenhart leidet an Mehltau und ihre Buche plagt sich mit der Buchenschmierlaus. Maßnahmen werden erwogen. Gründliches Entfernen der befallenen Teile und eine
Spülmittellösung zum Besprühen angeraten.
Inzwischen sitzen alle Bonsaifreunde wieder an ihren Plätzen und arbeiten in kleinen Grüppchen oder allein an ihren Pflanzen. Winzige Rechen und Hacken liegen auf den Tischen zwischen Biergläsern und Tellern mit dampfenden Semmelknödeln. Erwin besteht darauf, dass die Zierkirsche, die er in einem großen Gartenfachgeschäft für sechs Euro erstanden hat, eine echte Rarität sei. Die Freunde witzeln, wer hier wohl die echte Rarität wäre – Erwin oder sein Bäumchen. Beppo ist immer noch nicht aufgetaucht und die Gruppe stellt Mutmaßungen an, ob er wohl keinen Ausgang bekommen hat. Das wäre schade, denn Beppo gilt als Kapazität unter den Bonsaizüchtern. Sein Rat wird von allen gesucht und geschätzt. Als er später am Abend doch noch auftaucht, wird er mit großem „Hallo“begrüßt und sofort von den anderen Männern in Beschlag genommen.
Bonsais züchten scheint ein echtes Männerhobby zu sein. Lediglich zwei Frauen bereichern den Kreis. Das ist europaweit so. Reiner Wolf bietet eine Erklärung dafür: „Ich denke, es liegt daran, dass Männer mehr daran interessiert sind, der Natur ihre Form aufzudrücken. Frauen freuen sich über alles, was wächst.“
Elisabeth Hildensperger sammelt unterdessen ihre Unterlagen über die Aktivitäten der Bonsaifreunde zusammen. Der Abend ist längst in den gemütlichen Teil übergegangen. Gut möglich, dass sich auch die kleine Ameise inzwischen mit ihrem Ausflug arrangiert hat. Zuhause wird sie den Kumpels ganz schön was zu erzählen haben.