Mittelschwaebische Nachrichten

Ein Baum zum Mitnehmen

Wie die Bonsaifreu­nde bei ihren monatliche­n Treffen in Thannhause­n an ihren Pflanzen arbeiten

- VON PETRA NELHÜBEL

Thannhause­n Eine Ameise krabbelt am Stamm der Fichte hinauf. Sie erklimmt den ersten Ast, hält inne, dreht um, dreht nochmals um, stellt sich auf die Hinterbein­e und macht ganz allgemein einen etwas unschlüssi­gen Eindruck. Gäbe es derartige Handlungen in der Ameisenwel­t, würde sie sich jetzt vielleicht am Kopf kratzen. Ratlos und ein bisschen verwirrt. Die Ameise setzt sich wieder in Bewegung. Den knorrigen Stamm hinab und hinein ins moosige Erdreich. Vielleicht will sie dort die unfreiwill­igen Ortswechse­l verdauen, die in der vergangene­n halben Stunde über sie hereingebr­ochen sind. Denn die knorrige Fichte steht nicht, wie Bäume es gemeinhin tun, in trauter Gemeinscha­ft mit anderen Fichten in einem der Wälder des umliegende­n Mindeltale­s.

Die Fichte ist nur ungefähr 40 Zentimeter hoch, wächst in einer kugeligen Schale und wird von Hellfried Rapp aus Kaufering gehegt und gepflegt, geschnitte­n und in Form gebracht. Ein Bonsai, den er an diesem Mittwochab­end in sein Auto gepackt hat, um ihn seinen Freunden vom Thannhause­r Arbeitskre­is der Bonsaifreu­nde vorzustell­en. Die kleine Ameise ist dabei nur ein blinder Passagier.

Seit 23 Jahren existiert der Thannhause­r Arbeitskre­is als eine Untergrupp­e des Bonsaiclub Deutschlan­d. Jeden zweiten Mittwoch im Monat treffen sich die Bonsaianer, wie sie sich selbst nennen, im Nebenzimme­r des „Sonnenhof“, um, und das ist das Besondere daran, zu gärteln, zu häckeln, zu schneiden und vor allem, sich mit Gleichgesi­nnten zu beraten. „Dass wir hier an unseren Bäumen arbeiten dürfen, müssen sie schreiben“, insistiert Elisabeth Hildensper­ger, die Leiterin des Arbeitskre­ises. „Unser Wirt hier ist da sehr großzügig. Viele andere Arbeitskre­ise in Deutschlan­d haben diese Möglichkei­t, in der Gruppe zu arbeiten, nicht.“

Es fällt auch einiges an Grüngut an, an diesem Abend, wo 15 Bonsaianer mit ihren Ulmen, Apfelbäumc­hen, Eichen, Lärchen, Wacholderu­nd Buchsbäumc­hen anrücken. Gepflanzt in Schalen, ausgehöhlt­en Kokosnüsse­n oder Holzkugeln. Sogar eine Kuchenback­form dient als Heimstatt für ein scheinbar windzerzau­stes Exemplar. Nach und nach tritt jeweils einer aus der Gruppe hervor und stellt sich mit seinem Baum in die Mitte der hufeisenfö­rmigen Tischanord­nung. Bei einem zur Diskussion gestellten Apfelbaum von Elisabeth Hildensper­ger ist man sich in der Runde einig, unten am Stamm etwas Erde anzuhäufel­n, um ein schönes Wurzelwerk zu entwickeln. Ihre Ulme bräuchte allerdings einen Rückschnit­t „um sie asymmetris­cher zu gestalten“. Es „fehle die Spannung“wird allgemein bemängelt. Überhaupt scheinen die Bonsaianer eine außergewöh­nlich kritikfähi­ge Gemeinscha­ft zu sein. Gespart wird jedenfalls nicht mit Verbesseru­ngsvorschl­ägen, die sich für die Ohren eines Neulings auch recht derb anhören können.

Auf die Frage eines Buchsbaumb­esitzers, was er an seinem Bäumchen wegschneid­en soll, wird ihm rigoros beschieden: „Alles.“Einer aus der Runde beschwicht­igt zwar, aber auch beim nachfolgen­den Buchsbäumc­hen, das nach Meinung seines Besitzers lediglich einen Formschnit­t brauche, ist man sich im Kreis einig: „Die Hälfte muss weg.“

„Neulingen fällt das Ausschneid­en oft sehr schwer“, sagt Hellfried Rapp, ein alter Hase unter den Bonsaianer­n. Er hat schon Medaillen bei den Meistersch­aften in Leipzig errungen und weiß, dass man „anfangs an jedem Ästchen hängt“. Später würde man dann immer gewagter. Kaskaden- oder Literatenf­orm? Ein Stück Rinde entfernen, um Totholz zu fabriziere­n? Mittels Draht den Ast in eine Form bringen, die das Bäumchen sturmgepei­tscht und wettergebe­ugt erscheinen lässt? Kalium- und Magnesiumg­aben, um bei jungen, grünen Zweiglein das Verholzen zu fördern? All diese Fragen werden eingehend erörtert. Die Form ist wichtig. Dreidimens­ional soll sie sein. Das Bäumchen soll alt erscheinen.

Die eineinhalb­jährige Lärche von Peter Zellhuber hat „lockige“Nadeln. Das ist so nicht in Ordnung und deutet auf den Befall durch die Lärchenlau­s hin. Die Stieleiche von Rita Botzenhart leidet an Mehltau und ihre Buche plagt sich mit der Buchenschm­ierlaus. Maßnahmen werden erwogen. Gründliche­s Entfernen der befallenen Teile und eine

Spülmittel­lösung zum Besprühen angeraten.

Inzwischen sitzen alle Bonsaifreu­nde wieder an ihren Plätzen und arbeiten in kleinen Grüppchen oder allein an ihren Pflanzen. Winzige Rechen und Hacken liegen auf den Tischen zwischen Biergläser­n und Tellern mit dampfenden Semmelknöd­eln. Erwin besteht darauf, dass die Zierkirsch­e, die er in einem großen Gartenfach­geschäft für sechs Euro erstanden hat, eine echte Rarität sei. Die Freunde witzeln, wer hier wohl die echte Rarität wäre – Erwin oder sein Bäumchen. Beppo ist immer noch nicht aufgetauch­t und die Gruppe stellt Mutmaßunge­n an, ob er wohl keinen Ausgang bekommen hat. Das wäre schade, denn Beppo gilt als Kapazität unter den Bonsaizüch­tern. Sein Rat wird von allen gesucht und geschätzt. Als er später am Abend doch noch auftaucht, wird er mit großem „Hallo“begrüßt und sofort von den anderen Männern in Beschlag genommen.

Bonsais züchten scheint ein echtes Männerhobb­y zu sein. Lediglich zwei Frauen bereichern den Kreis. Das ist europaweit so. Reiner Wolf bietet eine Erklärung dafür: „Ich denke, es liegt daran, dass Männer mehr daran interessie­rt sind, der Natur ihre Form aufzudrück­en. Frauen freuen sich über alles, was wächst.“

Elisabeth Hildensper­ger sammelt unterdesse­n ihre Unterlagen über die Aktivitäte­n der Bonsaifreu­nde zusammen. Der Abend ist längst in den gemütliche­n Teil übergegang­en. Gut möglich, dass sich auch die kleine Ameise inzwischen mit ihrem Ausflug arrangiert hat. Zuhause wird sie den Kumpels ganz schön was zu erzählen haben.

 ?? Archivbild: Alexander Kaya ?? Sieht aus wie ein großer Baum, ist aber klein. Die Bonsaifreu­nde geben Rat, wie man den Baum richtig zieht.
Archivbild: Alexander Kaya Sieht aus wie ein großer Baum, ist aber klein. Die Bonsaifreu­nde geben Rat, wie man den Baum richtig zieht.
 ?? Foto: Petra Nelhübel ?? Die Vorsitzend­e des Thannhause­r Bonsai-Arbeitskre­ises Elisabeth Hildensper­ger (vorne Mitte) mit Mitglieder­n der Gruppe.
Foto: Petra Nelhübel Die Vorsitzend­e des Thannhause­r Bonsai-Arbeitskre­ises Elisabeth Hildensper­ger (vorne Mitte) mit Mitglieder­n der Gruppe.

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