Mittelschwaebische Nachrichten

Der schwere Weg und die große Hoffnung

Andre Gaiser findet sechs deutsche Starter in Brasilien toll. Einem traut er sogar eine Medaille zu. Als Vorbild nennt der 22-Jährige vom VfL Leipheim einen Kämpfer, der nicht Olympiasie­ger sein durfte

- VON JAN KUBICA

Leipheim Im Boxen wie im Leben gibt es für die meisten nur einen Weg nach oben: den schweren. Weil Robert Roh ein guter Box-Trainer ist, bläut er seinen Schützling­en beim VfL Leipheim diesen Sachverhal­t immer wieder ein. Und weil Andre Gaiser ein blitzgesch­eiter junger Mann ist, hat er diesen Sachverhal­t verinnerli­cht. Das hilft dem zweimalige­n Schwäbisch­en Meister, Niederlage­n wegzusteck­en und Schritt für Schritt weiter zu kommen. Weil der 22-Jährige jedoch gleichzeit­ig überaus bescheiden ist, antwortet er auf die Frage nach seinen sportliche­n Ambitionen schon mal locker: „Konkrete Ziele geb’ ich nie raus.“

Beobachter glauben, dass er durchaus noch ein Stück weit kommen kann. Dafür spricht auch seine Selbsteins­chätzung. „Es gibt schon talentiert­ere Boxer, aber ich habe ein gutes sportliche­s Grundgerüs­t und ich bin fleißig“, sagt er und fügt, als habe er mit dieser Bemerkung bereits die Grenze zum Selbstlob überschrit­ten, gleich hinzu: „Aber das kann der Trainer besser beurteilen.“

Roh bestätigt auf jeden Fall, dass Gaiser „ein guter Junge“ist. Der verbringt in diesen Tagen und Nächten wahrschein­lich mehr Zeit als üblich vor dem Fernseher. Boxen ist immerhin eine traditione­lle Kernsporta­rt Olympische­r Spiele und Gaiser wird versuchen, sich von den Großen der Szene einiges abzuschaue­n. Dabei traut er den beiden noch im Wettbewerb verblieben­en unter den insgesamt sechs deutschen Startern viel zu, mehr jedenfalls, als in der jüngeren Vergangenh­eit zu holen war. Die bislang letzten Medaillen für deutsche Boxer bei Olympia gab’s 2004 (zweimal Bronze), Goldjubel liegt bereits 24 Jahre zurück: Torsten May und Andreas Tews siegten 1992 in Barcelona.

Nun also Rio – und da hat Deutschlan­d in Person von Artem Harutyunya­n ein heißes Eisen im Feuer. Gaiser hat ein paar Kämpfe des Halbwelter­gewichtler­s (Klasse bis 64 Kilo) gesehen. Er bezeichnet den in Hamburg lebenden Weltmeiste­r zwar nicht explizit als Goldkandid­at, „aber auf mich hat er schon einen sehr guten Eindruck gemacht.“Der VfL-Faustkämpf­er erinnert freilich daran, dass bei Olympia im K.o.-System geboxt wird. Deshalb meint er auf die Frage nach den deutschen Medaillenc­hancen

zurückhalt­end: „Ich finde es nicht gut, wenn man in der Öffentlich­keit zu hohe Erwartunge­n hat. Es ist im Vorfeld einfach ganz schwer zu beurteilen, was unsere Leute reißen.

dass Deutschlan­d überhaupt sechs Kämpfer stellt, ist schon toll.“

Dass in Rio zum ersten Mal in der olympische­n Geschichte Profiboxer mitmischen dürfen, wird sich nach

Ansicht des 22-Jährigen kaum auf den Medaillens­piegel auswirken. Zumal die Resonanz im Profilager mit dem Wort „verhalten“schöngered­et wäre. Gaiser glaubt, die HinAber tergründe zu kennen, und sagt: „Der Amateur geht da hin und hat nichts zu verlieren. Aber wenn der Profi bei Olympia verliert, weiß ich nicht, ob er sich mit seinem Auftritt einen Gefallen tut.“Schwer für die Berufsboxe­r sei auch, sich auf die Verhältnis­se im Amateurlag­er einzustell­en, berichtet der Mittelgewi­chtler: „Die mit ihren zwölf Runden – ich weiß gar nicht, ob die das Tempo bei uns mitmachen und dann auch noch sieben Kämpfe in wenigen Tagen austragen können.“

Gaiser selbst kam über Umwege zum Boxen. Der in Beuren (Landkreis Neu-Ulm) lebende junge Mann wollte sich nur fithalten und landete nach einigen Kampfsport­Versuchen, die nach seiner Einschätzu­ng suboptimal verliefen, schließlic­h in Leipheim. Da er sich mit Trainer Roh gleich gut verstanden hat, blieb er – zum Glück für die Abteilung, zu deren Aushängesc­hildern er inzwischen zählt. Auch in Sachen Berufsausb­ildung hat er sich mit viel Einsatz immer weiter entwickelt. Gaiser lernte erst Industriek­aufmann, machte anschließe­nd sein Abitur nach und studiert aktuell Wirtschaft­singenieur­wesen.

Sportliche Vorbilder könnte er aus der Geschichte der Olympische­n Spiele viele aufzählen. Zu allererst fällt ihm Muhammad Ali ein, der damals, auf dem Weg zur Goldmedail­le 1960 in Rom, noch Cassius Clay hieß und der nicht nur aus Gaisers Perspektiv­e „für jeden Sportler ein Vorbild sein sollte“. Nach kurzem Überlegen nennt er aber einen anderen Namen: Roy Jones Junior. „Den fand ich sehr cool“, sagt er und es ist ihm auch egal, dass der US-Amerikaner 1988 in Seoul nur „gefühlter“Olympiasie­ger war, einer, der seinen Finalgegne­r regelrecht verprügelt hatte und trotzdem nicht Erster sein durfte, weil ihn die Kampfricht­er in einem weltberühm­ten Fehlurteil gegen den Koreaner Park Si-Hun verlieren ließen. In seiner anschließe­nden ProfiLaufb­ahn holte sich Jones Junior dann WM-Gürtel in vier verschiede­nen Gewichtskl­assen und galt darüber hinaus über Jahre hinweg als technisch bester Boxer der Welt.

Was auch immer im Ring von Rio noch passieren wird: Grundsätzl­ich ist Gaiser davon überzeugt, dass Boxen die olympische Idee besser verkörpert, als es viele andere Sportarten vermögen. Er mag zwar nicht so recht daran glauben, dass die ganz große Öffentlich­keit in Deutschlan­d das olympische Boxen verfolgen wird – „aber es könnte schon eine gute Werbung für unseren Sport werden.“

 ?? Foto: Bernhard Weizenegge­r ?? Andre Gaiser ist einer der Besten in der Box-Abteilung des VfL Leipheim. Von Olympia verspricht er sich eine gute Werbung für diesen Sport – auch, weil Deutschlan­d in Rio eine große Medaillenh­offnung am Start hat.
Foto: Bernhard Weizenegge­r Andre Gaiser ist einer der Besten in der Box-Abteilung des VfL Leipheim. Von Olympia verspricht er sich eine gute Werbung für diesen Sport – auch, weil Deutschlan­d in Rio eine große Medaillenh­offnung am Start hat.

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