Mittelschwaebische Nachrichten
Der Fahrer wird zum Passagier
Mobilität Automaes Fahren ist keine Science-Fiction mehr, sondern in Teilen schon erlebbar. Dabei könnten die modernen Assistenzsysteme eigentlich mehr, als es die Gesetzssen. Es stellen sich Fragen nach Haftung und Verantwortung. Und das Rennen zwischen
Augsburg Für Bertha ist die autom bile Zukunft schon wieder vorb Sie steht still im Mercedes-Be Museum in Stuttgart. Dort wird noch bis Ende September zu seh sein als das erste Auto der Welt, jemals selbstständig durch den n malen Stadt- und Überlandverk gefahren ist. Das war 2013. 500er S-Klasse legte die Route v Mannheim nach Pforzheim au nom zurück. Bertha gelang da eine Pionierleistung wie ihrer N mensgeberin 125 Jahre zuvor.
Während Bertha in Frieden ru ist „Sunny“fleißig unterwegs. Su ny, ebenfalls eine aufgerüstete M cedes S-Klasse, dreht im kalifor schen Silicon Valley ihre Rund Dort, wo Mobilität und Digitalis rung enger verschmelzen als irgen wo anders. Sunny kommt ganz all im Straßenverkehr zurecht. Zum dest auf ausgewählten und einp grammierten Strecken braucht Su ny keinen Fahrer mehr.
Lediglich auf dem Beifahrers sitzt ein Ingenieur mit einem No book und freut sich: Das Auto schleunigt, bremst und lenkt eig ständig. Es erkennt Ampelsign und Straßenschilder. Es biegt an der Kreuzung vorschriftsmäßig fädelt stets korrekt ein und nim zu jeder Zeit Rücksicht auf alle deren Verkehrsteilnehmer v Fußgänger bis zum Truck. Es ist kleines rollendes Wunder.
Viele derartige Experimente l fen in den USA, weil dort das Wet
und die Gesetzgebung erfinfreundlicher ist. Wer autonomes ren erleben möchte, muss aber ht nach Übersee reisen. Vor aldie deutschen Hersteller Audi, W und Mercedes zeigen hierzude, was bereits möglich ist – und glich wird in nicht allzu ferner kunft. Die Konzerne erwarten, s im Jahr 2020 das erste vollautome Fahrzeug auf deutschen Strarollen wird. Teilautonom sind te schon zigtausend unterwegs. derne Autos übernehmen sowohl Längsführung – also Gas geben Bremsen – als auch die Querrung, also das Lenken. ortugal, auf einer wenig befahen Autobahn nahe Estoril. „Man Sie einfach mal gar nichts“, t die Mercedes-Ingenieurin zu m Journalisten am Steuer. Dieser lt sich schnell überflüssig. Das to hat das Kommando. Ein ganHeer von Kameras, Radarsysten und Scannern tastet permanent Umgebung ab, erkennt Fahrnmarkierungen und Hindernisliest Verkehrsschilder und tart andere Verkehrsteilnehmer. toisch bleibt der Mercedes in ner Spur und hält die voreingelte Geschwindigkeit von 130 ndenkilometern sowie den korten Abstand zum Vordermann. pblinken links, und der Wagen ert auf die Überholspur. Tippken rechts, und er ordnet sich der rechts ein. Keine Frage: Der alte Autofah-Leitspruch „Hände ans Lenk“wird damit hinfällig. Doch mag es die Elektronik überhaupt nicht, wenn sich der Steuermann komplett abwendet. Nach wenigen Sekunden, in denen das Lenkrad keinerlei Berührung registriert, leuchten zwei knallrote Hände im Display auf. „Teufelshände“nennen sie Mercedes-Insider. Reagiert der Fahrer nicht, folgt eine ziemlich penetrante akustische Warnung. Passiert wieder nichts, bremst der Wagen behutsam bis zum Stillstand ab und schaltet die Warnblinkanlage an. Ob das mitten auf der Autobahn der Weisheit letzter Schluss ist, sei dahingestellt. Auf den Standstreifen will der Assistent nicht ausweichen, da er eine durchgezogene Linie missachten würde.
Bayern, Bundesstraße B300 zwischen Augsburg und Ingolstadt. Der Audi A4 denkt mit. Er weiß über jede erlaubte Höchstgeschwindigkeit Bescheid, und zwar lange bevor der betreffende Streckenabschnitt erreicht wird. 100 km/h regulär auf der Landstraße, 80 vor Kreuzungen, 40 in einer Baustelle. Der AudiAssistent stellt die Geschwindigkeit selbstständig ein und hält sie tapfer. Auf 84 Kilometern Streckenlänge muss der Mensch nicht einmal Gas oder Bremse betätigen – und lediglich die Hände auf das Lenkrad leser gen. Einerseits schützt nichts effektiver vor der Radarfalle. Andererseits hat der Rest der Welt, so die ersten Erfahrungen mit dem System, wenig Verständnis für Streber.
Im Gegenteil. Wer auf einer stark frequentierten, tempolimitierten zweispurigen Straße wie der B2 zwischen Augsburg und Donauwörth vorschriftsmäßig 120 Stundenkilometer fährt und sogar den korrekten Mindestabstand einhält, wird zum Opfer. Andere Verkehrsteilnehmer nehmen die Einladung gerne an und drängen sich permanent vor die Motorhaube. Oder Strich 50 in der Stadt: Da wird der „Autonome“von den „Nicht-Autonomen“links wie rechts geschnitten.
Man braucht also eine gewisse innere Ruhe – so wie ein fortschrittliches autonomes Fahrzeug sie ausstrahlt. Es scheint sich förmlich zu weigern, etwas falsch zu machen oder gar einen Unfall zu bauen. Es erkennt andere Verkehrsteilnehmer, die einem gerade die Vorfahrt nehmen wollen. Oder Radfahrer, die urplötzlich im toten Winkel auftauchen. Oder Fußgänger, die im Begriff sind, auf die Straße zu laufen. Oder ein Stauende vorab.
Je nachdem, welch mögliche Folgen in Echtzeit berechnet werden, stößt die Elektronik nur einen Warnton aus, korrigiert das Lenkrad oder bremst im Notfall auch hart bis zum Stillstand ab. Wichtig: Der Fahrer kann die Alarmkette jederzeit durch eigenes Aktivwerden außer Kraft setzen. So definieren die europäische Autobauer autonomes Fahren: Vernünftig, dosiert, sicherheitsorientiert. Oder einfach nur praktisch: BMWs neuer Siebener parkt mit Schwung selbst in die (enge) Garage ein – und zirkelt wieder heraus. Die Geländewagen von Land Rover scannen die Landschaft und wühlen sich von selbst durch schwierigstes Geläuf. Gut, Audi schickt schon mal einen RS 7 mit 240 km/h über den Hockenheimring – ohne Fahrer. Das ändert wenig an der konservativen Grundausrichtung. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.
Die Amerikaner sehen das anders. Tesla prescht voran. Zwar haben auch die Autos des InternetMilliardärs Elon Musk eine Händeans-Lenkrad-Warnung. Aber sie lassen mehr zu. Auf amerikanischen Highways gleitet der Tesla meilenweit ganz alleine. Da er zudem elektrisch angetrieben wird, ist der Tesla das Auto der Technik-Freaks.
Bis die Euphorie Anfang Juli einen schweren Dämpfer bekommt. Ein vom „Autopiloten“gesteuerter Tesla kracht in einen Lkw-Anhänger; der Fahrer stirbt. Der 40-Jährige ist das erste Verkehrsopfer des autonomen Zeitalters. Angeblich hatte er den Tesla-Autopiloten ein paar Stundenkilometer zu schnell eingestellt, heißt es in einer von dem Autobauer veröffentlichten Analyse. Zur Wahrheit gehört auch: 210 Millionen Testkilometer legten die Teslas zuvor ohne Probleme zurück. Von Menschen gesteuerte Autos schaffen nicht einmal die Hälfte, bis es rein statistisch zu einem tödlichen Crash kommt. Jährlich finden weltweit 1,25 Millionen Personen im Straßenverkehr den Tod. Hauptursache: menschliches Versagen.
Wie viele Unfälle Fahrassistenzsysteme schon verhindert haben, lässt sich nicht erheben. Viele Experten glauben, dass autonomes Fahren die Straßen unterm Strich sicherer macht. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) gehört dazu. Er sieht zudem ein großes wirtschaftliches Potenzial und will die Bundesrepublik in eine Vorreiterrolle bringen. „Mein Ziel ist, dass Deutschland Leitanbieter für automatisierte und vernetzte Fahrzeuge ist und zum Leitmarkt wird“, sagt der Minister.
Dobrindt fährt zweigleisig: Einerseits soll die Technologie vorangebracht werden, etwa durch 80 Millionen Euro Fördergeld für Forschungsprojekte. Gleichzeitig werden Testregionen für das autonome Fahren ausgewiesen, etwa die A 9 zwischen München und Nürnberg. Andererseits kümmert sich das Ministerium um die rechtlichen Rahmenbedingungen. Wenn Menschen nicht mehr allein das Steuer übernehmen, greift das alte Straßenverkehrsrecht kaum noch. Zunächst geht es darum, dass die Autokonzerne hoch automatisierte Modelle überhaupt zulassen dürfen. Dann muss geklärt werden, inwieweit der Fahrer die Kontrolle zeitweise abgeben darf – und was passiert beziehungsweise wer haftet, wenn es zu einem Unfall kommt. Hier ist denkbar, dass in allen Fahrzeugen eine Art Fahrtenschreiber verbaut sein muss.
Und nicht zuletzt fällt durch autonomes Fahren ein Berg an sensiblen Daten an, der den Datenschutzrichtlinen gemäß verarbeitet werden muss. Ein Auto erzeugt ja nicht nur Daten über sich selbst, sondern muss zum Beispiel auch Bewegungsprofile von Fußgängern oder anderen Verkehrsteilnehmern auswerten. Dobrindt lässt sich im Gesetzgebungsverfahren von einer eigens einberufenen Ethik-Kommission beraten. Das lässt die Tiefe der Aufgabe erahnen.
Die Technologie wird, da sind sich die meisten Experten einig, schon bald reif sein für das autonome Zeitalter. Aber die Gesellschaft? Sie steht dem Thema eher skeptisch gegenüber – und vor existenziellen Fragen. Teilen sich Mensch und Maschine brüderlich die Straße? Brauchen wir noch Ampeln? Oder Lenkräder? Wie kommunizieren analoge und digitale Verkehrsteilnehmer? Werden wir von Computern bevormundet? Welche Gewinner und Verlierer wird die Revolution produzieren? Nur eines scheint heute schon klar: Die Welt, in der autonomes Fahren selbstverständlich ist, wird eine andere sein.
„Machen Sie jetzt einfach mal gar nichts“, sagt die Ingenieurin zu dem Mann am Steuer Vernünftig, dosiert, sicherheitsorientiert - so sehen deutsche Autobauer autonomes Fahren