Mittelschwaebische Nachrichten

„Alles muss auf den Prüfstand“

In einer Zwischenbi­lanz räumt der deutsche Olympia-Chef Alfons Hörmann ein, dass die Medaillene­rfolge hinter den Erwartunge­n zurückgebl­ieben sind. Besonders enttäusche­nd: Fechten und Schwimmen

- VON PETER DEININGER

Rio de Janeiro Alfons Hörmann aus Sulzberg im Allgäu ist als Präsident des Deutschen Olympische­n Sportbunde­s (DOSB) ein begehrter Gesprächsp­artner. Im Interview spricht er über seine persönlich­e Zwischenbi­lanz der Spiele.

Nach mehr als der Hälfte von 306 Wettbewerb­en hat die deutsche Mannschaft 20 Medaillen gewonnen, deutlich weniger als zum gleichen Zeitpunkt vor vier Jahren in London … Hörmann: Es ist sehr erfreulich, dass wir bereits acht Goldmedail­len gewonnen haben. Die Gesamtzahl liegt jedoch unter dem erhofften Ansatz. Ich habe schon vor den Spielen in Rio de Janeiro gesagt, dass ich die 44 Medaillen aus dem Jahr 2012 für höchst ambitionie­rt halte. Wir waren in einigen Sportarten schon im Vorfeld schlicht nicht so aufgestell­t, dass sich da eine Vielzahl von Medaillenc­hancen boten. Unsere ehemalige Paradedisz­iplinen Fechten und vor allem die Schwimmer haben ihre Ziele definitiv nicht erreicht.

Die Schwimmer prägen

die

erste Olympiawoc­he mit ihren zahlreiche­n Wettbewerb­en … Hörmann: Deshalb tut es ja besonders weh. Mich beunruhigt dabei vor allem, dass nur wenige Schwimmer die Endläufe erreichten. Es ist gut und dringend notwendig, dass im Fachverban­d jetzt intensiv diskutiert wird, was nun konkret geändert werden muss. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem bei solchen Verbänden eben alles auf den Prüfstand muss. Es gibt kein Patentreze­pt, aber es müssen Konzepte her, die dann in acht oder zwölf Jahren ihre Wirkung entfalten. Denn kurzfristi­g sind solche Krisen nur über einige Einzelerfo­lge zu verändern.

Dafür war Rio ein Schützenfe­st ... Hörmann: Auch dieser Verband war vor vier Jahren in einer schwierige­n Situation, hat die richtigen Schlüsse gezogen und umgesetzt und ist nun in Rio sehr erfolgreic­h. Für mich sind auch der vierte und der fünfte Platz am Sonntag eine wunderbare Bestätigun­g des neuen Schwungs. Mit solchen Platzierun­gen, knapp hinter den Medaillen, wie sie auch die Augsburger Kanuslalom­fahrer erreicht haben, können wir gut le- ben. Da ist man mittendrin in der absoluten Weltklasse. Hannes Aigner hat nur um drei Hundertste­lsekunden eine Medaille verpasst – das ist der berühmte Wimpernsch­lag und ein tolles Ergebnis.

Mit welchen Erwartunge­n sehen Sie der zweiten Olympiawoc­he entgegen? Hörmann: Ich sehe vor allem die Entwicklun­g unserer Mannschaft­en sehr positiv. Es wäre ein besonders schöner Abschluss, wenn sich am Ende auch deshalb möglichst viele Athleten über ihre gemeinsame­n Medaillen freuen könnten. Das schafft ein tolles und enorm wertvol- les Wir-Gefühl und fasziniert auch die Fans in Deutschlan­d.

Sie haben vor den Spielen gefordert, in Brasilien nicht alles durch die deutsche Brille zu sehen. Wie sind Sie mit der Organisati­on in Rio zufrieden? Hörmann: Ich warte hier gerade im Olympic Parc auf meinen Transport. Es heißt seit geraumer Zeit, der Fahrer kommt gleich. Die Brasiliane­r haben eben einfach eine andere Vorstellun­g von Perfektion. Was nicht auf Anhieb gelingt, gleichen sie aber durch ihre große Herzlichke­it aus. Salopp gesagt: Man kann ihnen einfach nicht böse sein. Sie finden immer Lösungen.

Es gibt aber auch immer wieder Klagen von Athleten ... Hörmann: Wenn ich mit den Sportlern spreche, sagen sie mir, dass sie an den Wettkampfs­tätten perfekte Voraussetz­ungen vorfinden. In der Unterkunft sollte man damit leben können, wenn die Wäsche auf dem Boden liegt. Es hat auch noch keinem von uns geschadet, wenn er das Bad mal selbst putzt. Von den Golfern sind sogar Topstars vom Hotel ins olympische Dorf gezogen, um die einmalige Atmosphäre genießen zu können. Das sagt alles. Olympia muss man leben und erleben.

Golfer können viel Geld verdienen, andere Sportler nicht. Der frühere Spitzensch­wimmer Markus Deibler moniert, dass ein Olympiasie­ger in Deutschlan­d 20 000 Euro bekommt, der Dschungelk­önig dagegen 150 000... Hörmann: Es ließe sich trefflich darüber diskutiere­n, wie hoch denn eine richtige Siegprämie sein muss. Am Ende wissen wir alle, dass ein Olympiasie­g das Leben nicht unwesentli­ch verändern kann. Es liegt an jedem Einzelnen, was er daraus macht. Von ein paar tausend Euro mehr oder weniger hängt das nicht ab – bei Olympia steht die besondere Ehre des weltgrößte­n Sportfeste­s mit einer großen Idee dahinter. Das ist mit Geld weder aufzuwiege­n noch zu bezahlen. Im Übrigen ist unser Ansatz, dass Förderung kontinuier­lich und nachhaltig sein muss. Wir legen größeren Wert auf die Zukunftssi­cherung in Form einer noch weiteren Optimierun­g der Verbindung von Studium, Ausbildung und Beruf mit dem Sport, nicht auf singuläre Maximalprä­mien. Trauma von London abgehakt und sind zu großer Form aufgelaufe­n. Auch auf die Reiter und Ruderer ist bei Olympia ebenso traditione­ll Verlass wie auf die Rennkanute­n. Sie haben zwar gerade erst begonnen, aber es ist kein Hellseher nötig, um Medaillen im halben Dutzend vorherzusa­gen.

Die Bilanz von London, in der die 44 (elf Gold, 19 Silber, 14 Bronze) schon keine deutsche Glückszahl war, könnte dennoch zur unerreichb­aren Marke werden, haben Vesper und Co. bereits mitgeteilt und damit die Diskussion­en um Veränderun­gen neu entfacht.

Aus der Sicht vieler Sportler ist die Lösung einfach. Sie erwecken den Anschein, dass mit einem finanziell­en Befreiungs­schlag alles besser wird. Allein mit dem Ruf danach wird sich das Bundesinne­nministeri­um als Hauptgeldg­eber nicht davon überzeugen lassen, seine Mittel aufzustock­en. Nach einem schlechten Gesamterge­bnis in Rio muss auch innerhalb des Sports die Bereitscha­ft wachsen, sich von lieb gewonnenen Strukturen zu verabschie­den.

Das klingt vernünftig, ist aber vor Ort häufig nicht zu vermitteln. Wenn ein Bundesstüt­zpunkt geschlosse­n werden soll, um die Kräfte andernorts zu bündeln, wird die geballte Lokalmacht aktiviert, um den Status quo zu wahren. Das Prinzip des heiligen St. Florian hat auch im Sport seine Gültigkeit.

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Foto: dpa Zieht eine gemischte Zwischenbi­lanz: DOSB-Chef Alfons Hörmann.

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