Mittelschwaebische Nachrichten
„Alles muss auf den Prüfstand“
In einer Zwischenbilanz räumt der deutsche Olympia-Chef Alfons Hörmann ein, dass die Medaillenerfolge hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind. Besonders enttäuschend: Fechten und Schwimmen
Rio de Janeiro Alfons Hörmann aus Sulzberg im Allgäu ist als Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) ein begehrter Gesprächspartner. Im Interview spricht er über seine persönliche Zwischenbilanz der Spiele.
Nach mehr als der Hälfte von 306 Wettbewerben hat die deutsche Mannschaft 20 Medaillen gewonnen, deutlich weniger als zum gleichen Zeitpunkt vor vier Jahren in London … Hörmann: Es ist sehr erfreulich, dass wir bereits acht Goldmedaillen gewonnen haben. Die Gesamtzahl liegt jedoch unter dem erhofften Ansatz. Ich habe schon vor den Spielen in Rio de Janeiro gesagt, dass ich die 44 Medaillen aus dem Jahr 2012 für höchst ambitioniert halte. Wir waren in einigen Sportarten schon im Vorfeld schlicht nicht so aufgestellt, dass sich da eine Vielzahl von Medaillenchancen boten. Unsere ehemalige Paradedisziplinen Fechten und vor allem die Schwimmer haben ihre Ziele definitiv nicht erreicht.
Die Schwimmer prägen
die
erste Olympiawoche mit ihren zahlreichen Wettbewerben … Hörmann: Deshalb tut es ja besonders weh. Mich beunruhigt dabei vor allem, dass nur wenige Schwimmer die Endläufe erreichten. Es ist gut und dringend notwendig, dass im Fachverband jetzt intensiv diskutiert wird, was nun konkret geändert werden muss. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem bei solchen Verbänden eben alles auf den Prüfstand muss. Es gibt kein Patentrezept, aber es müssen Konzepte her, die dann in acht oder zwölf Jahren ihre Wirkung entfalten. Denn kurzfristig sind solche Krisen nur über einige Einzelerfolge zu verändern.
Dafür war Rio ein Schützenfest ... Hörmann: Auch dieser Verband war vor vier Jahren in einer schwierigen Situation, hat die richtigen Schlüsse gezogen und umgesetzt und ist nun in Rio sehr erfolgreich. Für mich sind auch der vierte und der fünfte Platz am Sonntag eine wunderbare Bestätigung des neuen Schwungs. Mit solchen Platzierungen, knapp hinter den Medaillen, wie sie auch die Augsburger Kanuslalomfahrer erreicht haben, können wir gut le- ben. Da ist man mittendrin in der absoluten Weltklasse. Hannes Aigner hat nur um drei Hundertstelsekunden eine Medaille verpasst – das ist der berühmte Wimpernschlag und ein tolles Ergebnis.
Mit welchen Erwartungen sehen Sie der zweiten Olympiawoche entgegen? Hörmann: Ich sehe vor allem die Entwicklung unserer Mannschaften sehr positiv. Es wäre ein besonders schöner Abschluss, wenn sich am Ende auch deshalb möglichst viele Athleten über ihre gemeinsamen Medaillen freuen könnten. Das schafft ein tolles und enorm wertvol- les Wir-Gefühl und fasziniert auch die Fans in Deutschland.
Sie haben vor den Spielen gefordert, in Brasilien nicht alles durch die deutsche Brille zu sehen. Wie sind Sie mit der Organisation in Rio zufrieden? Hörmann: Ich warte hier gerade im Olympic Parc auf meinen Transport. Es heißt seit geraumer Zeit, der Fahrer kommt gleich. Die Brasilianer haben eben einfach eine andere Vorstellung von Perfektion. Was nicht auf Anhieb gelingt, gleichen sie aber durch ihre große Herzlichkeit aus. Salopp gesagt: Man kann ihnen einfach nicht böse sein. Sie finden immer Lösungen.
Es gibt aber auch immer wieder Klagen von Athleten ... Hörmann: Wenn ich mit den Sportlern spreche, sagen sie mir, dass sie an den Wettkampfstätten perfekte Voraussetzungen vorfinden. In der Unterkunft sollte man damit leben können, wenn die Wäsche auf dem Boden liegt. Es hat auch noch keinem von uns geschadet, wenn er das Bad mal selbst putzt. Von den Golfern sind sogar Topstars vom Hotel ins olympische Dorf gezogen, um die einmalige Atmosphäre genießen zu können. Das sagt alles. Olympia muss man leben und erleben.
Golfer können viel Geld verdienen, andere Sportler nicht. Der frühere Spitzenschwimmer Markus Deibler moniert, dass ein Olympiasieger in Deutschland 20 000 Euro bekommt, der Dschungelkönig dagegen 150 000... Hörmann: Es ließe sich trefflich darüber diskutieren, wie hoch denn eine richtige Siegprämie sein muss. Am Ende wissen wir alle, dass ein Olympiasieg das Leben nicht unwesentlich verändern kann. Es liegt an jedem Einzelnen, was er daraus macht. Von ein paar tausend Euro mehr oder weniger hängt das nicht ab – bei Olympia steht die besondere Ehre des weltgrößten Sportfestes mit einer großen Idee dahinter. Das ist mit Geld weder aufzuwiegen noch zu bezahlen. Im Übrigen ist unser Ansatz, dass Förderung kontinuierlich und nachhaltig sein muss. Wir legen größeren Wert auf die Zukunftssicherung in Form einer noch weiteren Optimierung der Verbindung von Studium, Ausbildung und Beruf mit dem Sport, nicht auf singuläre Maximalprämien. Trauma von London abgehakt und sind zu großer Form aufgelaufen. Auch auf die Reiter und Ruderer ist bei Olympia ebenso traditionell Verlass wie auf die Rennkanuten. Sie haben zwar gerade erst begonnen, aber es ist kein Hellseher nötig, um Medaillen im halben Dutzend vorherzusagen.
Die Bilanz von London, in der die 44 (elf Gold, 19 Silber, 14 Bronze) schon keine deutsche Glückszahl war, könnte dennoch zur unerreichbaren Marke werden, haben Vesper und Co. bereits mitgeteilt und damit die Diskussionen um Veränderungen neu entfacht.
Aus der Sicht vieler Sportler ist die Lösung einfach. Sie erwecken den Anschein, dass mit einem finanziellen Befreiungsschlag alles besser wird. Allein mit dem Ruf danach wird sich das Bundesinnenministerium als Hauptgeldgeber nicht davon überzeugen lassen, seine Mittel aufzustocken. Nach einem schlechten Gesamtergebnis in Rio muss auch innerhalb des Sports die Bereitschaft wachsen, sich von lieb gewonnenen Strukturen zu verabschieden.
Das klingt vernünftig, ist aber vor Ort häufig nicht zu vermitteln. Wenn ein Bundesstützpunkt geschlossen werden soll, um die Kräfte andernorts zu bündeln, wird die geballte Lokalmacht aktiviert, um den Status quo zu wahren. Das Prinzip des heiligen St. Florian hat auch im Sport seine Gültigkeit.