Mittelschwaebische Nachrichten
Kerber über Silber enttäuscht
Weltranglisten-Zweite verliert Finale gegen Puig. Erst bei der Siegerehrung versagen der Außenseiterin die Nerven
Rio de Janeiro Mónica Puig beobachtet die Flugbahn des Balls. Als sie sieht, dass der Vorhandschlag von Angelique Kerber jenseits der Seitenlinie landet, erstarrt sie für einen kurzen Moment zur Salzsäule. Dann lässt sie ihren Schläger fallen und greift sich an den Kopf. Am Netz nimmt sie die kühlen Glückwünsche von Angelique Kerber entgegen und fällt auf der anderen Seite des Center Courts auf die Knie. Sie weint und schlägt die Hände vor das Gesicht. Die Nummer 34 der Welt hat soeben den größten Erfolg ihrer Tennis-Karriere errungen. Olympisches Gold. Das erste überhaupt für Puerto Rico. Erkämpft nach einer Spielzeit von 2:09 Stunden mit 6:4, 4:6, 6:1. „Sie hat das Spiel ihres Lebens gemacht“, sagt die Weltranglisten-Zweite Kerber mit eingefrorenem Lächeln, „aber ich habe dennoch geglaubt, dass ich das Ding noch herumdrehen kann. Ich habe mein Herz auf dem Platz gelassen.“
Die Favoritin hatte von Beginn an Probleme mit dem druckvollen Spiel der 22-Jährigen, die im USStaat Florida aufgewachsen ist. Nach dem ersten verlorenen Satz verschwindet Kerber in der Kabine. Ein Rückenmuskel zwickt und muss behandelt werden. Mit einem Tapeverband geht es weiter. „Das soll aber keine Entschuldigung dafür sein, dass ich das Spiel verloren habe. Monica hat verdient gewonnen, sie hat in dieser Woche einige Top-Spielerinnen besiegt.“
Von Partie zur Partie bekam Puig mehr Selbstvertrauen. Auch der verlorene zweite Satz gegen Kerber ändert daran nichts. Im dritten Satz findet sie zu alter Sicherheit zurück und verwandelt den vierten Matchball. „Ich habe zwar versucht, die Zuschauer auszublenden, aber sie haben mir das Gefühl gegeben, dass sie hinter mir stehen – egal, ob ich gewinne oder verliere. Sie schrien ,Yes you can!‘ und daran habe dann auch ich geglaubt.“
Als bei der Siegerehrung die Nationalhymne von Puerto Rico gespielt wird, will die Goldmedaillengewinnerin mitsingen. „Mein Vater hat mir den Text durchgegeben, aber ich habe vor Rührung fast nur geheult.“ Auf ihrer Heimatinsel ist sie Tagesgespräch. „Dort sind meine Wurzeln. Ich habe immer noch Familie da und sehe es als Rückzugsgebiet, wenn ich mich erholen will.“Das wird nun nicht mehr so einfach sein. Die Siegerin weiß, dass sich ihr Leben verändern wird. Seit ihrem Sieg am Samstag hat sie Heldenstatus in Puerto Rico. Angelique Kerber ist dagegen enttäuscht. „Das ist nicht die Medaille, die ich wollte. Deshalb bin ich traurig, aber auch stolz wie ich das alles hier gemeistert habe“, meint die Verliererin. „Ich konnte mein Land repräsentieren und habe Silber gewonnen“, sieht sie auch in Brasilien positive Aspekte in einer ohnehin sehr erfolgreichen Saison. Sie gewann das GrandSlam-Turnier im australischen Melbourne, erreichte das Finale in Wimbledon und hat nun auch noch eine Olympiamedaille im Gepäck.
„Ich habe viele neue Erfahrungen gemacht, die mir bei den nächsten Herausforderungen bestimmt helfen werden.“Mit den US Open steht noch ein Grand-Slam-Turnier aus. „Es ist ein schönes Gefühl, gutes Tennis zu spielen. Ich genieße alles, das, was war, und das, was kommt.“Zunächst geht es zum Turnier nach Cincinnati in den USA.