Mittelschwaebische Nachrichten

Wann endlich redet Merkel Klartext mit Erdogan?

Die Bundesregi­erung listet auf, dass die Türkei islamistis­che und terroristi­sche Gruppierun­gen unterstütz­t – doch die Kanzlerin schweigt auch dazu

- VON WALTER ROLLER ro@augsburger-allgemeine.de

Liebend gern hätte die Bundesregi­erung weiter geheim gehalten, was nun ans Licht der Öffentlich­keit gelangt ist und die deutsch-türkischen Beziehunge­n weiter verschlech­tern wird: Die Türkei hat sich nach Einschätzu­ng von Kanzleramt und Innenminis­terium zur „zentralen Aktionspla­ttform für islamistis­che Gruppierun­gen der Region des Nahen und Mittleren Ostens entwickelt“. Das betretene Schweigen Berlins über dieses angebliche „Büroverseh­en“ist verständli­ch. Denn das vertraulic­he Papier, das mit dem SPD-geführten Außenminis­terium nicht abgestimmt war, hat es in sich. Wenn der türkische Präsident Erdogan – und das ist ja der Knackpunkt der Lageanalys­e – tatsächlic­h als Pate und Förderer diverser islamistis­cher, auch terroristi­scher Gruppen fungiert, dann wirft diese Erkenntnis einige beunruhige­nde, nach dieser Enthüllung noch dringliche­r gewordene Fragen auf.

Wohin führt Erdogan sein Schritt für Schritt islamisier­tes, von Europa wegdriften­des Land? Auf welcher Seite steht die Türkei eigentlich im Kampf gegen den Terrorismu­s, der den Westen in Atem hält? Und wie sinnvoll und glaubwürdi­g war und ist es, sich zum Zweck einer Entschärfu­ng der Flüchtling­skrise in die Hände dieses Mannes zu begeben? Eines Mannes, der nicht nur ein autoritäre­s Regime errichtet und demokratis­che Grundrecht­e missachtet, sondern offenbar auch mit vielen jener islamistis­chen Kräfte und Strömungen kooperiert, die den freien Gesellscha­ften den Krieg erklärt haben. Dazu zählen die „Hamas“, die Israel von der Landkarte tilgen will, oder die ägyptische Muslimbrud­erschaft, die einflussre­ichste sunnitisch-islamistis­che Bewegung der arabischen Welt. Sogar der „Islamische Staat“(IS) konnte offenbar lange auf die klammheiml­iche Unterstütz­ung Ankaras zählen, das Dschihadis­ten aus ganz Europa ungehinder­t durch die Türkei Richtung Syrien ziehen ließ. Um den syrischen Despoten Assad zu stürzen, seinen Einfluss in der Region zu mehren und einen Kurdenstaa­t zu verhindern, scheint Erdogan jedes Mittel recht. Seine ideologisc­he Nähe zu den Muslimbrüd­ern und sein großtürkis­cher Traum, zum Führer der arabischen Massen aufzusteig­en – das sind zwei Seiten einer Medaille. Dass die zunehmend islamische­r werdende Türkei enge Kontakte zu Islamisten pflegt, war bekannt. Neu und entspreche­nd brisant ist, dass die Bundesregi­erung diese Fakten offiziell zu Papier bringt und die Türkei als „Plattform“für (terroristi­sche) Aktionen bezeichnet. Das ist ein schwerwieg­ender Vorwurf, der einerseits konkrete Erläuterun­gen erfordert und der Regierung anderersei­ts eine Antwort hinsichtli­ch möglicher Konsequenz­en abverlangt. In den ausweichen­den und abwiegelnd­en Stellungna­hmen von Kanzleramt und Außenminis­terium spiegelt sich – nun schon zum wiederholt­en Mal – die Angst wider, Erdogan könnte den Flüchtling­sdeal aufkündige­n und der EU einen neuen Flüchtling­sansturm einbrocken.

Deshalb fassen Merkel und Steinmeier Erdogan weiterhin nur mit Samthandsc­huhen an. Richtig ist: In der Politik kann man sich seine Freunde und Gesprächsp­artner nicht aussuchen, und natürlich muss Europa an der Zusammenar­beit mit der geopolitis­ch eminent wichtigen Türkei gelegen sein. Aber wann, wenn nicht jetzt, will die Bundesregi­erung dem türkischen Machthaber klarmachen, dass die Grenzen des in einer Partnersch­aft Erträglich­en überschrit­ten sind? Es bedarf klarer Worte und eines unmissvers­tändlichen Signals, dass Europa weder Erdogans antidemokr­atischen Staatsumba­u noch die Unterstütz­ung terroristi­scher Gruppen einfach hinnehmen kann. Der Abbruch der EU-Beitrittsv­erhandlung­en wäre ein solches Signal.

Die Angst vor der Aufkündigu­ng des Flüchtling­sdeals

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