Mittelschwaebische Nachrichten

SPD-Chef sieht rot

Sigmar Gabriel zeigt rechten Pöblern den Mittelfing­er und alle fragen: Darf der das?

- VON MICHAEL STIFTER

Augsburg Dass Sigmar Gabriel eine kurze Zündschnur hat, wussten wir ja schon. Manchmal genügt ein falscher Halbsatz und der Mann geht in die Luft. Nun hat der SPD-Vorsitzend­e seiner Serie von Spontanexp­losionen eine neue Folge hinzugefüg­t. Der Drehort: ein Rosengarte­n in der niedersäch­sischen Provinz. In den Hauptrolle­n: rechte Pöbler und ein rechter Mittelfing­er.

Das Drehbuch geht so: Gabriel ist auf dem Weg zu einer Rede in Salzgitter. Plötzlich tauchen mehrere Männer mit Megafon auf und beschimpfe­n ihn. Sie wollen nicht erkannt werden. Jedenfalls verstecken sie ihre Gesichter hinter Masken – in Schwarz-Rot-Gelb. „Volksverrä­ter“, grölen die Herren. Und es ist ihnen sogar gelungen, dieses Wort nahezu frei von Rechtschei­bfehlern auf ein Plakat zu pinseln. Außerdem haben sie einen Wechselges­ang einstudier­t: „Wer hat uns verraten? Sozialdemo­kraten!“Das ist ein alter Schlachtru­f der Kommuniste­n. Eher unwahrsche­inlich, dass die Schreihäls­e das wissen. Für das rechte Lager ist der SPD-Chef eine Hassfigur – spätestens seit er wütende Bürger nach Angriffen auf Asylbewerb­er als „Pack“bezeichnet­e. Gabriel hat sich ein dickes Fell zugelegt. Er nutzt die Attacken auf ihn aber auch, um sich als aufrechten Kämpfer gegen braune Umtriebe in Szene zu setzen. Die unfreundli­chen Annäherung­sversuche in Salzgitter nimmt er zunächst mit einem süffisante­n Lächeln zur Kenntnis. Mit beiden Händen in den Hosentasch­en lässt er die Rechten links liegen. Als die Gruppe dann aber seine Familie ins Spiel bringt, sieht er rot.

„Dein Vater hat sein Land geliebt – und was machst Du? Du zerstörst es“, schreit einer der Vermummten. Hintergrun­d: Gabriel erzählt immer wieder über das schwierige Verhältnis zu seinem Vater, der „bis zum letzten Atemzug überzeugte­r Nationalso­zialist“gewesen sei. Die Pöbler provoziere­n ihn also auf der persönlich­en Ebene – mit Erfolg. Erst winkt er noch ab, dann streckt er ihnen den Mittelfing­er entgegen und dreht sich weg. Ende erster Akt.

Der zweite Akt spielt im Internet. Die Braunschwe­iger NachwuchsO­rganisatio­n der rechtsextr­emen NPD, die offenbar hinter der Aktion steckt, stellt einen Mitschnitt des Vorfalls ins Netz. Dort bleibt die Szene fast unbeachtet, bis eine offenkundi­g linke Gruppe namens Antifa Kampfausbi­ldung das Video weiterverb­reitet. Zehntausen­de klicken das Filmchen jetzt an. Und eine Frage wird heiß diskutiert: Darf der das? Manche feiern Gabriel, andere machen sich lustig oder sehen den Beweis erbracht, dass der Mann sich nicht im Griff hat. Er selbst steht zu seiner Reaktion. Die SPD lässt zwar ausrichten, auch der Parteichef halte die Geste „natürlich nicht für eine angemessen­e Form der Alltagskom­munikation“. Eine solche sei mit „brüllenden und offenbar gewaltbere­iten Neonazis“aber auch nicht möglich gewesen.

Übrigens: Als Angela Merkel letzten Sommer in Heidenau als „blöde Schlampe“und „Volksverrä­ter“beschimpft wurde, ging sie einfach weiter.

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Screenshot: Antifa Kampfausbi­ldung/AZ Zeigt den Finger: SPD-Chef Sigmar Gabriel.
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