Mittelschwaebische Nachrichten
SPD-Chef sieht rot
Sigmar Gabriel zeigt rechten Pöblern den Mittelfinger und alle fragen: Darf der das?
Augsburg Dass Sigmar Gabriel eine kurze Zündschnur hat, wussten wir ja schon. Manchmal genügt ein falscher Halbsatz und der Mann geht in die Luft. Nun hat der SPD-Vorsitzende seiner Serie von Spontanexplosionen eine neue Folge hinzugefügt. Der Drehort: ein Rosengarten in der niedersächsischen Provinz. In den Hauptrollen: rechte Pöbler und ein rechter Mittelfinger.
Das Drehbuch geht so: Gabriel ist auf dem Weg zu einer Rede in Salzgitter. Plötzlich tauchen mehrere Männer mit Megafon auf und beschimpfen ihn. Sie wollen nicht erkannt werden. Jedenfalls verstecken sie ihre Gesichter hinter Masken – in Schwarz-Rot-Gelb. „Volksverräter“, grölen die Herren. Und es ist ihnen sogar gelungen, dieses Wort nahezu frei von Rechtscheibfehlern auf ein Plakat zu pinseln. Außerdem haben sie einen Wechselgesang einstudiert: „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“Das ist ein alter Schlachtruf der Kommunisten. Eher unwahrscheinlich, dass die Schreihälse das wissen. Für das rechte Lager ist der SPD-Chef eine Hassfigur – spätestens seit er wütende Bürger nach Angriffen auf Asylbewerber als „Pack“bezeichnete. Gabriel hat sich ein dickes Fell zugelegt. Er nutzt die Attacken auf ihn aber auch, um sich als aufrechten Kämpfer gegen braune Umtriebe in Szene zu setzen. Die unfreundlichen Annäherungsversuche in Salzgitter nimmt er zunächst mit einem süffisanten Lächeln zur Kenntnis. Mit beiden Händen in den Hosentaschen lässt er die Rechten links liegen. Als die Gruppe dann aber seine Familie ins Spiel bringt, sieht er rot.
„Dein Vater hat sein Land geliebt – und was machst Du? Du zerstörst es“, schreit einer der Vermummten. Hintergrund: Gabriel erzählt immer wieder über das schwierige Verhältnis zu seinem Vater, der „bis zum letzten Atemzug überzeugter Nationalsozialist“gewesen sei. Die Pöbler provozieren ihn also auf der persönlichen Ebene – mit Erfolg. Erst winkt er noch ab, dann streckt er ihnen den Mittelfinger entgegen und dreht sich weg. Ende erster Akt.
Der zweite Akt spielt im Internet. Die Braunschweiger NachwuchsOrganisation der rechtsextremen NPD, die offenbar hinter der Aktion steckt, stellt einen Mitschnitt des Vorfalls ins Netz. Dort bleibt die Szene fast unbeachtet, bis eine offenkundig linke Gruppe namens Antifa Kampfausbildung das Video weiterverbreitet. Zehntausende klicken das Filmchen jetzt an. Und eine Frage wird heiß diskutiert: Darf der das? Manche feiern Gabriel, andere machen sich lustig oder sehen den Beweis erbracht, dass der Mann sich nicht im Griff hat. Er selbst steht zu seiner Reaktion. Die SPD lässt zwar ausrichten, auch der Parteichef halte die Geste „natürlich nicht für eine angemessene Form der Alltagskommunikation“. Eine solche sei mit „brüllenden und offenbar gewaltbereiten Neonazis“aber auch nicht möglich gewesen.
Übrigens: Als Angela Merkel letzten Sommer in Heidenau als „blöde Schlampe“und „Volksverräter“beschimpft wurde, ging sie einfach weiter.