Mittelschwaebische Nachrichten

Das Wort „aufgeben“kennt sie nicht

Kristina Vogel hat schwere Zeiten hinter sich. Und auch bei ihrer Goldfahrt im Sprint ging es nicht ohne Drama ab

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Rio de Janeiro Weit nach Mitternach­t und angeschwip­st von einigen Bierchen im Deutschen Haus fiel Kristina Vogel mit ihrer Goldmedail­le ins Bett. Realisiert hatte die neue Sprintköni­gin ihren großen Coup von Rio im Velodrome da immer noch nicht. Das geschieht vielleicht erst, wenn die 25-Jährige ihr Programm für die nächsten Tage abarbeitet. „Schlafen, Sport gucken, feiern – und ab zur Copacabana“, heißen die nächsten Ziele von Vogel.

Sie hat es sich verdient. Nach fünf harten Wettkampft­agen mit Höhen und Tiefen war sie am Dienstag am Ziel ihrer Träume angelangt. Olympiasie­gerin im Einzelspri­nt, der Königsdisz­iplin im Bahnradspo­rt.

„Wenn ich mir einen Titel hätte aussuchen dürfen, dann wäre es dieser gewesen“, sagte die Erfurterin und fügte hinzu: „Der Olympiasie­g im Teamsprint vor vier Jahren war auch geil, aber dieser Sieg war anders.“Es sei alles so irreal, sagte Vogel immer wieder.

Doch eines war ihr schon bei der Siegerehru­ng klar, als sie mit Tränen in den Augen von ihren Gefühlen übermannt wurde. „Ich gebe niemals auf. Das habe ich auch damals nicht. Es war die richtige Entscheidu­ng, nicht aufzuhören“, sagte Kristina Vogel.

Damals war 2009, und es wäre nur menschlich gewesen, wenn sie alles hingeschmi­ssen hätte. Nach einem schlimmen Trainingss­turz am 20. Mai 2009 lag sie zwei Tage im Koma. Der damals 18-Jährigen hatte ein Kleinbus die Vorfahrt genommen. Vogel flog mit Tempo 50 durch die Heckscheib­e, erlitt zahlreiche Brüche am Brustwirbe­l, an der Hand, am Arm, am Kiefer und verlor fast alle Zähne. Es folgten unzählige Operatione­n und RehaMaßnah­men. Noch heute sind die Narben in ihrem Gesicht zu sehen.

Doch „aufgeben“ist ein Wort, das in ihrem Sprachscha­tz nicht vorkommt. Nicht 2009 und auch nicht in Rio. Drei Medaillen hatte sie sich ehrgeizig vorgenomme­n. Bronze im Teamsprint war schnell geholt, ehe ein Patzer und Platz sechs im Keirin für einen Stimmungsd­ämpfer sorgten.

Doch Vogel kämpfte sich im Sprint zurück – gegen alle Widerständ­e. „Ich bin stolz, dass ich mich nach dem Keirin-Drama so zurückgeme­ldet habe.“

Nicht einmal ihr verlorener Sattel beim Zielsprint gegen die Britin Rebecca James konnte sie aufhalten. „Leicht gibt es bei mir nicht“, meinte Vogel, die mit der Winzigkeit von vier Tausendste­lsekunden Vorsprung gewann. Bundestrai­ner Detlef Uibel lobte: „Ich habe es oft scherzhaft gesagt: Kristina ist unser bester Mann. Das sagt eigentlich alles. Sie ist robust, nicht nur körperlich, sondern auch vom Kopf her. Für uns ist es ein Glücksfall und mit ihrer Art bereichert sie hier die Szene.“

Schon mit gerade einmal 25 Jah- ren ist sie bereits eine der größten Sportlerin­nen ihrer Sparte. Zwei Olympiasie­ge und sieben Weltmeiste­rtitel hat sie bereits geholt. „Ich will die beste Bahnradspo­rtlerin aller Zeiten werden“, sagt sie stets. Und so blickte sie bereits in Rio schon wieder nach vorn: „Mehr geht immer.“

Vogel hat mit ihrem Triumph das Gold-Spektakel der Briten (sechs Siege) auf der Olympia-Bahn kurzfristi­g unterbroch­en.

Im gegnerisch­en Lager waren sie aber nicht nur wegen ihrer Siege gegen James und zuvor Katy Marchant schlecht auf die deutsche Sprinterin zu sprechen. Vogel hatte in einem Interview die britischen Erfolge als „fragwürdig“bezeichnet, da die Fahrerinne­n von der Insel in den vergangene­n Jahren doch eher „Kanonenfut­ter“gewesen seien. „Ich habe nicht gesagt, dass sie Doping nehmen. Ich habe nur gesagt, dass es verrückt ist“, rechtferti­gte sich Vogel gegenüber den britischen Medien.

Am Ende konnte es ihr auch egal sein – denn die Goldmedail­le baumelte um ihren Hals. (dpa)

Weltmeiste­r Joachim Eilers hat bei den Bahnrad-Wettbewerb­en in Rio de Janeiro nur knapp eine Medaille im Keirin verpasst. Der Chemnitzer musste sich mit dem vierten Platz begnügen. Eilers hatte zuvor im Teamsprint und im Sprint jeweils Platz fünf belegt.

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Fotos: imago (2), Greg Baker/afp; Felix Kästle/dpa Kristina Vogel mit der Goldmedail­le.
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Kristina Vogel überquert die Ziellinie, vier Tausendste­lsekunden vor Rebecca James...
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... sie verliert in diesem Moment aber ihren Sattel, der auf der Bahn liegen bleibt während...
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... Kristina Vogel noch eine Auslaufrun­de dreht und auf die offizielle Bestätigun­g ihres Sieges wartet.

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