Mittelschwaebische Nachrichten
„Abseits vom Geschehen – manchmal ist es gut so“
Kommen Fremde nach Hinterschellenbach, so sind es zumeist Jakobuspilger. In der Stromproduktion ist der Weiler autark
Ziemetshausen/Hinterschellenbach Kommt eine vorher angemeldete Pilgergruppe nach Hinterschellenbach, so läutet bei ihrem Einmarsch zum Gruß die kleine Glocke auf dem spitzen Turm der Jakobus-Kapelle. Sie ist ein beliebtes Tagesziel für Wallfahrer, auch wenn nur wenige den Endpunkt des durchgehend mit der Jakobsmuschel markierten Wanderwegs im 2525 Kilometer entfernten spanischen Santiago erreichen. Trotzdem freuen sie sich über die freundliche Begrüßung, die ihnen die langjährige Mesnerin Betty Rieger-Kast zuteilwerden lässt. Bei ihr gibt es auch den vielfach begehrten Wallfahrer-Stempel.
Die aus dem Jahre 1789 stammende St. Jakobus-Kapelle ist nicht nur kunsthistorisch der bedeutendste Bau in dem Weiler mit seinen 62 Einwohnern. Er ist auch dörflicher Mittelpunkt und wird alljährlich am Patrozinium Ende Juli zum Treffpunkt Hunderter Besucher, die sich nach dem Feldgottesdienst in der großen Scheune des Landwirts Peter Aigster bei Speis und Trank zur frohen Unterhaltung treffen. Die Hinterschellenbacher sind stolz darauf, dass die seit Jahrhunderten gepflegte Tradition noch immer so viel Anklang findet.
Ansonsten aber ist es ruhig in dem 62 Einwohner zählenden Dorf, das heute Ortsteil des Marktes Ziemetshausen ist, jedoch bis zur Gebietsreform zusammen mit dem zwei Kilometer entfernten Vorderschellenbach eine selbstständige Gemeinde mit eigenem Bürgermeister war. Inzwischen sind die damit verbundenen wenigen Reibereien überwunden, man fühlt sich wohl als Ziemetshauser, hat keine Sorgen und kaum Wünsche, ist mit Bürgermeister Anton Birle „sehr zufrieden“und kommt zu dem Fazit: „Es funktioniert recht ordentlich.“Der als engagierter Hinterschellenbacher und Jagdvorstand bekannte Peter Aigster bringt die Wünsche auf einen Nenner: Da sind einmal die Behebung der Schäden an den Feldwegen, verursacht durch die Starkregen in letzter Zeit und zum anderen der moderne Internet-Anschluss, der zwar den Dorfrand, bisher aber nicht die insgesamt 17 Häuser erreiche.
Stolz sind die Schellenbacher auch über ihren einzigen Verein, die Feuerwehr. Es gibt keinerlei Zwistigkeiten zwischen den Aktiven aus Hinter- und Vorderschellenbach sowie dem angrenzenden Ortsteil Maria Vesperbild, obwohl Wilhelm Bittracher als Vorsitzender aus dem größeren Vorderschellenbach kommt und sich dort auch das Gerätehaus befindet. Die Wehr will weiterhin selbstständig bleiben. Und wie ist das Gesamtverhältnis untereinander? Der für beide Ortsteile zuständige Gemeinderat Franz Mayer antwortet diplomatisch und doch mit einem Lächeln: „Es war schon schlechter!“
Mustergültig ist Hinterschellenbach, was die Energieversorgung betrifft. Peter Aigster besitzt den noch einzigen landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetrieb. Seine Wiesen und Ackerflächen bilden die Grundlage für den Kuhbestand. Deren Gülle, aber auch Gras und Mais dienen als „Futter“für die direkt neben dem Hof stehende Biogasanlage, die wiederum über ein Nahwärmenetz fast den gesamten Ort mit heißem Wasser versorgt, das im Winter auch die Wärme in den Wohnungen sicher stellt. Lediglich ein halbes Dutzend Gebäude sind noch nicht angeschlossen, da sie über keine Zentralheizungen verfügen. Rechnet man die recht üppig auf den großen Dachflächen verlegten Fotovoltaik-Anlagen hinzu, so kommt Aigster zum Ergebnis: „Wir produzieren in Hinterschellenbach mehr Strom als wir verbrauchen; sind also energiemäßig autark.“Die Hinterschellenbacher fühlen sich wohl in ihrem Weiler, auch wenn sie, wie es die Mesnerin Rieger-Kast sagt „etwas abseits vom Geschehen wohnen“, was andererseits nicht nur für sie „manchmal auch gut ist“. Man ist mit sich und den Nachbarn im Reinen und so kommt sie zu dem Fazit: „Ich brauch nicht in Urlaub fahren, mei Ruah hab ich daheim auch.“Selbst Bürgermeister Anton Birle sieht keine Notwendigkeit zum sofortigen Handeln. Die Schellenbacher haben vor wenigen Jahren eine zweite Zufahrtsstraße vom Ziemetshauser Gewerbegebiet aus erhalten und sind damit nicht mehr auf den kleinen Umweg über Vesperbild und Vorderschellenbach angewiesen.
Und auch die Jugend zeigt sich zufrieden. Eine Gymnasiastin arrangierte vor zwei Jahren eine Unterschriftensammlung für ein Buswartehäuschen am westlichen Ortsrand. Dieses steht längst und so ist das Dutzend Schüler ein bisschen stolz, dass die Großgemeinde ihren Wunsch so rasch erfüllte. Klar, dass auch der Flexibus die Haltestelle bei der Kapelle nach Bedarf anfährt und so die Anbindung an die „große Welt“gewährleistet. Mit Blick auf die Jakobspilger sind die Hinterschellenbacher „Fremde“gewöhnt, auch wenn diese, wie vor Jahrzehnten, hier keine Einkehr finden. Das Vogt-Haus als Sitz des ehemaligen Landvogts der Augsburger Jakobspfründe besitzt noch heute an der Südostecke seiner Fassade ein kleines Reliefwappen mit der Zirbelnuss. Vor geraumer Zeit war es mal Gerichtshaus und später ein Gasthof. Die Zeiten haben sich also auch in Hinterschellenbach gewandelt.