Mittelschwaebische Nachrichten
Macht sie’s noch einmal?
Angela Merkel lässt offen, ob sie nächstes Jahr wieder als Kanzlerkandidatin antritt. Was hinter der Mauertaktik steckt und welche Rolle die CSU in diesem Poker spielt
Augsburg Dezember 2014. Horst Seehofer wirkt mit sich im Reinen. Die nächste Bundestagswahl ist noch weit weg. Aber der CSU-Chef wagt schon mal eine Prognose – und was für eine. Im Gespräch mit Redakteuren unserer Zeitung gibt er ein klares Ziel aus: „Wir haben die Chance, mit dieser Bundeskanzlerin 2017 die absolute Mehrheit zu holen.“Wie bitte? Die absolute Mehrheit? Auf unsere Frage, ob das wirklich sein Ernst sei, fragt Seehofer zurück: „Ja, was denn sonst?!“Er lässt keinen Zweifel daran, dass er Angela Merkel für die große Erfolgsgarantin der Union hält. Und heute? Heute ist nicht einmal mehr klar, ob sie überhaupt wieder antritt.
Die Kanzlerin selbst sagt, sie werde zu gegebener Zeit darüber entscheiden. Es ist eine typische Merkel-Aussage. Aber sie genügt, um die Gerüchteküche anzuheizen. Die erste Theorie geht so: Die mächtigste Frau der Welt wagt sich nicht aus der Deckung, solange sie nicht sicher sein kann, dass die CSU hinter ihr steht. Denn interessant ist das schon: Während sich einige prominente CDU-Leute wie die Ministerpräsidenten Annegret Kramp-Karrenbauer oder Volker Bouffier sofort demonstrativ für eine neuerliche Merkel-Kandidatur aussprechen, scheint bei der CSU drei Monate vor dem 1. Advent schon die „stade Zeit“angebrochen zu sein.
Nur hinter vorgehaltener Hand spricht man in Bayern über die Frau, die dem ein oder anderen mit ihrem „Wir schaffen das“gehörig auf den Geist geht. Ein offizielles Bekenntnis zu Merkel ist von den CSU-Schwergewichten kaum zu bekommen. Markus Söder zum Beispiel ist ja normalerweise nicht gerade kamera- oder mikrofonscheu. Angesichts der K-Frage wird aber selbst er ungewöhnlich wortkarg.
Der bayerische Finanzminister hat in der Flüchtlingspolitik immer wieder klar Stellung gegen den Kurs der Bundesregierung bezogen – anders als Manfred Weber. Der Europapolitiker ist einer von Söders Ri- valen im Kampf um das SeehoferErbe. Und einer der wenigen Merkel-Versteher, die es eineinhalb Jahre nach Seehofers Lobeshymne noch in der CSU gibt. „Sie ist unsere Kanzlerin und sie ist eine erfolgreiche Kanzlerin“, hat Weber erst vor ein paar Wochen im Interview mit unserer Zeitung betont. Momentan will er sich lieber nicht zu Merkel bekennen. Und CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer lässt ausrichten, man werde sich an der Diskussion nicht beteiligen. „Für uns bedeutet K-Frage Konzentration auf Inhalte und nicht Köpfe.“
Woher kommt diese kollektive Schweigsamkeit? Die Antwort liegt wohl – wie so oft – bei Horst Seehofer. Der alte Stratege lässt sich alle Optionen offen. Zuletzt wollte er nicht einmal ausschließen, dass die CSU mit einem eigenen Programm in den Wahlkampf zieht. Warum also nicht auch gleich mit einem eigenen Kanzlerkandidaten? Wahrscheinlich ist das nicht. Und in Wirklichkeit geht es vor allem darum, den Druck auf die CDU-Chefin in der Flüchtlingspolitik hochzu- halten. Würde sich die bayerische Schwester jetzt schon ohne Not auf Merkel festlegen, hätte Seehofer einen Trumpf weniger auf der Hand. Die aktuelle Debatte bezeichnete er gestern Abend als „dämlich“. Kein Wunder. Solange Merkel selbst ihre Zukunft nicht definiert hat, kann die CSU problemlos auf Zeit spielen.
Ende des Jahres könnte damit allerdings Schluss sein. Denn es gibt noch eine zweite Theorie zu Merkels Zurückhaltung in der K-Frage: Im Dezember trifft sich die zerrissene CDU in Essen zum Parteitag. Auf dem Programm steht die Wiederwahl der Chefin. In den vergangenen Jahren waren solche Termine stets Merkel-Festspiele mit honeckerhaften Mehrheiten gewesen. Diesmal droht der Vorsitzenden ein mächtiger Dämpfer. Um den zu verhindern, könnte sie diese Wahl zugleich zur Abstimmung über ihre Kanzlerkandidatur machen. Dann wird es sich der eine oder andere wohl zweimal überlegen, ob er Merkel wirklich die Gefolgschaft verweigert und damit die eigene Kandidatin öffentlich schwächt.