Mittelschwaebische Nachrichten
Größer als jemals zuvor
Noch nie nahmen so viele deutsche Athleten an den Paralympischen Spielen teil wie in Rio. Auch aus der Region reisen Sportler nach Brasilien und kämpfen dort um Medaillen
Rio de Janeiro Die Kartenverkäufe steigen, die Sportler sind zufrieden und das Wetter ist prächtig: Vor der Eröffnungsfeier im Maracanã-Stadion (ab 23 Uhr/live im ZDF) hat Brasilien die Paralympics in Rio de Janeiro offenbar doch noch ins Herz geschlossen. Unmittelbar vor den ersten Weltspielen der Behindertensportler in Südamerika belasten das Mega-Ereignis zumindest nach außen weder der Doping-Bann Russlands noch die zuvor riesigen Geldnöte oder das befürchtete Organisationschaos.
„Im Moment treffen praktisch jeden Tag positive Überraschungen ein“, sagte Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS), der mit einer 155 Sportler starken Mannschaft in Rio ist. Statt kommentieren zu müssen, was alles nicht klappt, sind die Organisatoren angesichts der plötzlichen Fortschritte auf allen Gebieten geradezu in Hochstimmung.
Veranstaltungssprecher Mario Andrada verkündete voller Stolz „den Meilenstein“von mehr als 1,5 Millionen verkaufter Eintrittskarten übertroffen zu haben. Und auch mit anderen Zahlen protzen die Gastgeber: 176 teilnehmende Nationen ein Flüchtlingsteam sind mehr als je zuvor.
Das deutsche Team, das durch den Ausschluss Russlands von 148 auf 155 Aktive angewachsen ist, ist mit beträchtlichen Erfolgsaussichten nach Rio gereist. Angeführt von den Leichtathletik-Stars Markus Rehm, der zur Eröffnungsfeier die deutsche Fahne trägt, Marianne Buggenhagen, Handbikerin Andrea Eskau oder den goldenen JudoZwillingen Ramona und Carmen Brussig peilt der DBS einen Spitzenplatz im Nationenranking an. „Rein sportlich gesehen bin ich mit breiter Brust nach Rio gekommen“, erklärte Verbandschef Beucher. Quer durch alle Sportarten habe man Welt- und Europameister im Aufgebot. In London war mit 66 Medaillen (18 Gold, 26 Silber, 22 Bronze) Platz acht herausgesprungen.
Auch Sportler aus der Region sollen helfen, das Medaillen-Ziel zu erreichen. So wie der Obergünzburger (Landkreis Ostallgäu) Max Weber. Für ihn gehört eine Eröffnungsfeier der Paralympics längst zur Routine. In Rio startet Weber zum fünften Mal bei Paralympischen Spielen. Bei der ersten Teilnahme 1996 in Atlanta gewann der Sportler, der seit einem Verkehrsunfall vor fast 30 Jahren querschnittsgelähmt ist, gleich mit dem Team die Goldmedaille über 4 x 100 m im Rennrollstuhl. Mittlerweile hat sich der 52-Jährige auf Radsport-Disziplinen spezialisiert. In Peking 2008 gewann er Silber im Straßenrennen über 48 Kilometer (Handbike), vor vier Jahren in London reichte es nur für Platz 6. In Rio wird er auch im Zeitfahren um eine Top-Platzierung mitmischen.
Aus Memmenhausen (Landkreis Günzburg) reist Schütze Bernhard Fendt nach Rio. In den Disziplinen Luftgewehr liegend und Kleinkaliber liegend hofft Fendt, der an einer durch einen Tumor bedingten Beinverkürzung leidet, das Finale zu erreichen. Mit etwas Glück sei dann sogar eine Medaille möglich, sagt der 46-Jährige. Bei den Paralympics 2004 in Athen belegte er den neunplus ten Platz im Liegendanschlag.Der Augsburger Judoka mit Sehbehinderung, Nikolai Kornhaß, geht für die Gundelfinger Turnerschaft bei Wettkämpfen an den Start. Bei der EM im vorigen Jahr reichte es für ihn in der Klasse bis 73 Kilogramm für Rang 3. Bei den Paralympics in Rio könnte auch für ihn eine Medaille drin sein.
Ob der vom Verband hoch angesetzten Messlatte ist der Druck, der auf den deutschen Sportlern lastet, größer als sonst. Denn auch wegen der Umstände vor den Spielen stehen die Paralympics mehr im Fokus als bei den 14 Auflagen zuvor. Insbesondere der Ausschluss Russlands als Konsequenz des staatlich geleiteten Doping-Systems hatte für Aufsehen gesorgt. Dass die Paralympics in Rio trotz der weiter vorhandenen Sparzwänge unter anderem beim Transportsystem und Serviceleistungen weitgehend reibungslos starten, hängt mit der Freigabe zuvor gesperrter Gelder zusammen. Im gemeinsamen Etat für Olympische und Paralympische Spiele hatte eine so riesige Lücke geklafft. Doch die Staatsregierung in Brasilia und die Stadt Rio haben die angekündigten 68 Millionen Euro wenigstens teilweise lockergemacht. (lare, dpa)