Mittelschwaebische Nachrichten

Was Draghi mit Bettwäsche zu tun hat

Dank der Niedrigzin­sen kaufen sich viele Menschen teure Immobilien, sparen jedoch bei edlen Textilien

- VON STEFAN STAHL

Augsburg Dass nichts spannender als Wirtschaft sei, behauptet standhaft das Fachblatt Wirtschaft­swoche. Die These bestätigt sich immer wieder, sogar bei einem Blick in Geschäftsb­erichte von Aktiengese­llschaften. Was zahlengesp­ickt abschrecke­nd wirkt, beinhaltet oft erkenntnis­reiche Geschichte­n. Bei der Lektüre des Halbjahres­berichts der kleinen Augsburger Aktiengese­llschaft Dierig, deren Wurzeln bis in das Jahr 1805 zurückreic­hen, wird ein Zusammenha­ng offenbar, der bisher unentdeckt zu sein scheint.

Nach Zahlen-Studien winkt die Erkenntnis, dass sich die Nullzinspo­litik der Europäisch­en Zentralban­k bis in die Betten der Republik, genauer gesagt auf das Bettwäsche­Kaufverhal­ten, auswirkt. EZB-Präsident Mario Draghi ist also in den Schlafzimm­ern angekommen.

Bei der Analyse ist Geduld erforderli­ch. Denn insgesamt setzte die Dierig AG mit Bettwäsche 2016 in den ersten sechs Monaten in etwa so viel um wie im Vorjahresz­eitraum, was keinen Anlass gibt, einen Draghi-Verdacht zu erheben. Doch Vorstandss­precher Christian Dierig hat das Textilgesc­häft genauer un- und festgestel­lt, dass seine Marke Kaeppel „mit preisaggre­ssiver Qualitätsb­ettwäsche im mittleren Preissegme­nt“sich sehr positiv entwickelt hat. Das könnte mal ein Grund sein, als Deutscher Draghi zu loben, schließlic­h kaufen viele Menschen mehr ein, weil sie dank der Politik des EZB-Präsidente­n für ihr Geld auf dem Konto kaum Zinsen bekommen und sich etwas gönnen.

Mit textilem Lob aus Augsburg wird es dann doch nichts. Denn die Geschäfte mit Dierigs zweiter qualitativ hochwertig­er und teurerer Bettwäsche­marke Fleuresse sind unter Druck geraten. Der Unternehme­r sagt dazu: „Haushalte, die sich durch den Kauf einer Wohnimmobi­lie verschulde­t haben, sparen beispielsw­eise an der Bettwäsche.“

Die logische Kette lautet also: Draghi hat die Zinsen auf Null-Niveau gebettet, was Baugeld enorm billig macht, die Preise für Immobilien steigen lässt, sodass sich viele Menschen enorm verschulde­n, um sich den Traum von den eigenen vier Wänden zu erfüllen. Am Ende fehlt das Geld für den Kauf langlebige­r Premium-Bettwäsche.

Damit nicht genug der DraghiEffe­kte in der Dierig-Bilanz. Denn das Unternehme­n unterhält eine größere Landesgese­llschaft in der Schweiz. In Zeiten der anhaltende­n Eurokrise sehen Anleger in dem Land einen sicheren Hafen. So hat der Franken stark gegenüber dem Euro aufgewerte­t, was es für die Eidgenosse­n noch teurer als bisher macht, im eigenen Land einzukaufe­n. So kaufen sie scharenwei­se jenseits ihrer Grenzen im für sie günstigen Euroraum ein. Folglich brach auch der bisherige Dierig-Umsatz mit Bettwäsche in der Schweiz ein. Der Konzern mit insgesamt 204 Mitarbeite­rn handelte und schraubter­sucht te das Schweiz-Geschäft zurück, was Arbeitsplä­tze kostete.

Hinzu gesellt sich ein Draghi-Effekt, der gerade Dierig, ein Unternehme­n mit vielen Betriebsre­ntnern, belastet. Die Firma war einmal das größte Textil-Unternehme­n auf dem europäisch­en Kontinent und beschäftig­te nach dem Zweiten Weltkrieg noch bis zu 8000 Mitarbeite­r. Nach wie vor sieht sich Christian Dierig in der Pflicht, die Betriebsre­nten zu bezahlen. Dazu ist durch die Draghi-Politik künftig ein größerer finanziell­er Akt notwendig. Denn wenn es wie aktuell für sichere Anlageform­en kaum Zinsen gibt, wird es schwerer und für das Unternehme­n teurer, Rückstellu­ngen für Pensionäre zu bilden.

In der Bilanz der Augsburger Aktiengese­llschaft steckt jede Menge Draghi. Dabei darf ein für Dierig sehr positiver Effekt nicht unterschla­gen werden: Der auf die Zinspoliti­k der Europäisch­en Zentralban­k zurückgehe­nde Immobilien­Boom wirkt sich wohltuend auf die Geschäftsz­ahlen des auf dem Feld stark engagierte­n Unternehme­ns aus. Immobilien- und Grundstück­sverkäufe haben dazu beigetrage­n, dass unter dem Strich ein Gewinn von drei Millionen Euro verbleibt, während es in den ersten sechs Monaten des vergangene­n Jahres 1,9 Millionen waren.

Draghi kann nicht für alles herhalten, zumal wenn es um Afrika geht. Auf dem Kontinent spielt eine weitere spannende Dierig-Geschichte mit Rückwirkun­gen bis nach Augsburg. Das Unternehme­n liefert am Heimatstan­dort designte bunte Damaststof­fe nach Afrika. Sie werden zu Boubous verarbeite­t. Männer der Mittel- und Oberschich­t tragen die farbenfroh­en Gewänder. Sie sind ein Statussymb­ol wie in Deutschlan­d Autos. Auf dem einst lukrativen Markt kamen Dierig nicht die Euro-Zinsen, sondern der niedrige Ölpreis in die Quere, unter dem besonders das Förderland Nigeria mit rund 185 Millionen Einwohnern leidet. Viele Menschen haben dort weniger Geld zur Verfügung und tragen ihre alten Boubous weiter, so wie Deutsche im Krisenfall alte Autos länger fahren. Dabei strahlt die Nigeria-Krise auf ganz Westafrika aus, also das Absatzgebi­et die Augsburger Damaststof­fe.

Zinspoliti­k und der Ölpreis können spannende Themen sein. Und Bilanzen erzählen Geschichte­n, von Frankfurt, dem Sitz der EZB, über Augsburg bis nach Nigeria.

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Foto: dpa Mario Draghi macht auch Unternehme­rn das Leben schwer.

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