Mittelschwaebische Nachrichten
Der Rollfilm und Bilderfluten
Der alte Rollfilm bewahrte mit seiner beschränkten Bilderzahl den Urlauber einst vor unkontrolliertem Knipsen. Heute heben High-Speed-Technik und Speicherkarten alle ehemaligen Begrenzungen auf. Aber ein neues Problem trübt heute die Laune des fotografierenden Touristen. Bei der Rückkehr in die Heimat verlangt der exotische Reiz der mitgebrachten Bilderfluten nach einer ausgiebigen Vorführung vor Freunden und Nachbarn. Allerdings sehnt sich nicht jeder reizüberflutete Mensch nach der Konfrontation mit immer weiteren Bildern. Schon die Einladung zu einem „gemütlichen Foto- und Videoabend“löst Vorahnungen von der zeitlichen Unbegrenztheit solcher Darbietungen aus. Die Versicherung des Veranstalters, sein Urlaub sei „absolut unvergleichlich“gewesen, steigert die Befürchtungen. So ist es verständlich, dass einige Teilnehmer beim aufgezwungenen Konsum der Bildsequenzen ihre Aufmerksamkeit nicht auf die großartigen Tadsch-Mahal-Fotos, sondern auf die bereitgestellten Salzstangen und Bierflaschen lenken. Wenn dann endlich alles vorbei ist, wird sich der Abschied der Gäste wohl so abspielen, wie es Willibald Alexis 1852 in seinem Roman „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“geschildert hat: „Embrassements, nachgewinkte Küsse, Beteuerungen, daß sie seit lange keinen so vergnügten Abend verlebt. Und wenn sie auf der Straße sind, kaum in den Wagen gestiegen, gähnen sie: Gott sei Dank, daß der langweilige Abend vorüber ist.“