Mittelschwaebische Nachrichten
Unfallopfer greift zu Reizgas
Ein 30 Jahre alter Radfahrer wird von einem Auto erfasst und attackiert danach eine Passantin
Günzburg Szenen, die einem mittelmäßigen Actionfilm entstammen könnten, in der Krumbacher Bahnhofstraße: Ein 30-jähriger Radler wird von einem Auto gerammt. Der Mann rappelt sich hoch, rennt los, sprüht Reizgas, wird kurz darauf gestellt und ist mit zwei Messern bewaffnet. Wegen gefährlicher Körperverletzung und Urkundenfälschung stand der 30-Jährige jetzt vor Gericht.
Die Urkundenfälschung ist in diesem Fall ein besonderes Kuriosum. Vorgelegt wurde sie dem früheren Günzburger Amtsrichter Groß. Darin ließ sich der Angeklagte attestieren, dass er „voll zurechnungsfähig“sei. Ausgestellt von einem österreichischen Professor in Bregenz. Doch diesen Professor gibt es überhaupt nicht, wie ein ermittelnder Sachbearbeiter der Krumbacher Polizei in der Verhandlung sagte.
Und bei der angegebenen Anschrift handelt es sich um ein jetzt leer stehendes Lagerhaus. Verteidiger Günter Hasl (Vöhringen) erklärte für seinen Mandanten, der selbst nicht aussagte, dass die Urkunde nicht von ihm stamme, er wisse davon nichts. Die Körperverletzung werde eingeräumt.
Der Unfall, bei dem der Angeklagte leicht verletzt wurde, hat sich bereits im März vergangenen Jahres in Krumbach ereignet: Der Radler wird auf dem Gehsteig von einem abbiegenden Auto erfasst. Der 30-Jährige kommt schnell wieder auf die Beine und rennt davon. Dann zückt er eine Reizgasdose, sprüht in Richtung eines Mädchens und flüchtet. Bei der Polizei gehen fast zeitgleich Meldungen über den Unfall und über einen Unbekannten ein, der mit Pfefferspray durch die Stadt läuft, so ein Beamter vor Gericht. Der Gesuchte, ein jüngerer blonder Mann mit grüner Jacke, läuft ihnen an der Unfallstelle fast in die Arme.
Der Beamte spricht den Verdächtigen an, fordert ihn auf, die Hände aus den Hosentaschen zu nehmen. Dann geht alles ganz schnell: „Der Mann griff zum Revers“, sagte der Polizist. Er sieht einen dunklen Griff aus der Jacke ragen und schlägt aus Reflex auf die Hand. Zu zweit bringen die Beamten den Verdächtigen zu Boden. In der Jacke entdecken sie ein 30 Zentimeter langes Bowie-Messer, ein Einhand-Stilett und das Pfefferspray. Er sei „Waldläufer“, habe der 30-Jährige bei seiner ersten Vernehmung die Bewaffnung erklärt. Mit dem Spray habe er sich „den Weg nach Hause frei kämpfen müssen“. Wegen dieses Verhaltens wurde der Täter im Günzburger Bezirkskrankenhaus untergebracht. Als Zeugin bestätigte das 15-jährige Opfer den Vorfall. Der Täter sei schreiend auf sie zugerannt, habe in Richtung ihres Gesichts das Reizgas versprüht. Weil sie den Kopf noch rechtzeitig wegdrehen konnte, habe sie aber nur eine leichte Reizung im Lippenbereich gespürt.
Eine Sachverständige bestätigte in der Verhandlung eine schizophrene Psychose und eine verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt. Der 30-Jährige hat einen Berufsabschluss als Diplom-Kaufmann, ist aber derzeit auf Jobsuche und lebt von der Unterstützung seiner Eltern. Für den strafrechtlich bisher völlig unbescholtenen Angeklagten forderte die Staatsanwältin wegen verminderter Schuldfähigkeit eine Geldstrafe von 140 Tagessätzen zu 15 Euro, also 2100 Euro und eine dreijährige Bewährungszeit. Dagegen plädierte Rechtsanwalt Hasl auf Freispruch für seinen Mandanten. Nach dem Zusammenstoß mit dem Auto habe er einen Schock erlitten, sei davongerannt, weil er sich verfolgt fühlte. Mit dem Pfefferspray habe er niemanden verletzen wollen. Da stelle sich die Frage, ob die Schwelle zur Körperverletzung schon erreicht sei, so der Anwalt. Außerdem sei die seinem Mandanten vorgeworfene Urkundenfälschung nicht erwiesen. Der Angeklagte bat in seinem Schlusswort um Freispruch. Diesem Wunsch entsprach Richter Theurer aber nicht.
Er sah zumindest die gefährliche Körperverletzung als erwiesen an und verhängte dafür eine Geldstrafe in Höhe von 120 Tagessätzen zu zehn Euro, also 1200 Euro. Aufgrund der verminderten Schuldfähigkeit komme es zu einer Verschiebung des Strafrahmens, so Theurer. Er stufte die Körperverletzung als minderschweren Fall ein und hielt dem Angeklagten das Geständnis zugute.
So endete das Verfahren als Folge einer actionreichen Szenerie in Krumbach mit einem ziemlich unspektakulären Urteil.