Mittelschwaebische Nachrichten

Die CDU ist die große Verliereri­n dieses Wahljahres

Die Flüchtling­spolitik Merkels und der Aufstieg der AfD bescheren massive Stimmenver­luste. Wie reagiert die Kanzlerin auf die Serie von Niederlage­n?

- VON WALTER ROLLER ro@augsburger-allgemeine.de

Einen offenen Aufstand in der CDU braucht Angela Merkel nicht zu befürchten. So groß ist die Verzweiflu­ng in der Union nach einer Serie von Niederlage­n nicht, als dass ein Sturz der Kanzlerin ernsthaft im Gespräch wäre. Und Wolfgang Schäuble steht nur für den völlig unwahrsche­inlichen Fall bereit, dass Merkel hinwirft. Trotzdem: Die Stimmung ist mies und Merkels Position spürbar erschütter­t – weshalb es der CDUChefin ratsam erschien, die Reise zur UN-Vollversam­mlung abzusagen und am Tag nach der Pleite in Berlin daheim ihren Führungsan­spruch zu demonstrie­ren.

Die CDU ist die große Verliereri­n des Wahljahres 2016. Sie hat fünf Landtagswa­hlen mit Pauken und Trompeten verloren. Die einst große, stolze Volksparte­i CDU ist im Sinkflug; die Wähler laufen ihr in Scharen davon. Auch die SPD hat überall massive Stimmenver­luste erlitten und steckt bundesweit im Dauertief. Doch die Soziademok­ratie hat es 2016 immerhin geschafft, ihre Machtposit­ion in den Ländern zu behaupten. Die SPD ist an 13 von 16 Regierunge­n beteiligt, die Union nur noch an sieben.

Jede Landtagswa­hl hat ihre eigenen Gesetze und Besonderhe­iten. Aber es besteht kein Zweifel daran, dass die Niederlage­n der CDU in erster Linie mit der Flüchtling­spolitik Merkels und den dadurch ausgelöste­n Vertrauens­einbußen zu tun haben. Der staatliche Kontrollve­rlust im Zuge der Masseneinw­anderung war Wasser auf die Mühlen der rechtspopu­listischen AfD, die nun in zehn Parlamente­n sitzt und den Protest kanalisier­t. Erstmals in der Geschichte der Republik hat sich rechts von der Mitte eine Partei etabliert, die vor allem der Union auf Dauer zu schaffen machen wird.

Der Aufstieg der AfD pflügt die Parteienla­ndschaft um. Vor allem die Volksparte­ien CDU und SPD bekommen das zu spüren. Die politische Mitte, die für Stabilität bürgt, wird schwächer. Die Bindekraft der großen Parteien lässt nach. Hie und da reichen die Mehrheiten nicht einmal mehr zur Bildung großer Koalitione­n. Das muss der Demokratie nicht zum Schaden gereichen. Zum Problem wird diese tektonisch­e Veränderun­g des Parteiensy­stems erst, wenn die Schrumpfun­g der „Großen“weitergeht, das System an den Rändern ausfranst und die staatstrag­enden Parteien keine Mittel finden, um verloren gegangenes Vertrauen zurückzuge­winnen. So besehen ist dieses Wahljahr tatsächlic­h zum „Weckruf“geraten – vor allem für die CDU. Angela Merkel hat einen beträchtli­chen Teil der konservati­ven Stammkunds­chaft vergrault und läuft Gefahr, auf Dauer mehr Wähler zu verlieren, als sie in der Mitte hinzugewin­nen kann. Berlin tickt anders als die ganze Republik. Aber Rot-Rot-Grün, das dort nun erprobt wird, kommt 2017 auch für den Bund ins Spiel. Die SPD hat die GroKo und die Rolle als Juniorpart­ner satt und träumt wieder von einer „Mehrheit diesseits der Union“(Gabriel). Für die Union heißt das: Sie muss wieder so stark werden, dass gegen sie nicht regiert werden kann. Und die schwarz-grüne Option hat Merkel nur, wenn die CDU den Abwärtstre­nd stoppt.

Merkels kämpferisc­her Auftritt nach dem Berlin-Desaster lässt drei Schlussfol­gerungen zu. Erstens: Die Kanzlerin will es 2017 noch einmal wissen. Zweitens: Sie will ihre Flüchtling­spolitik fortan besser erklären. Drittens: Sie scheint nun bereit, das von der CSU geforderte „Signal“für eine nachhaltig­e Begrenzung und Steuerung der Zuwanderun­g zu liefern. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Noch ist die Kompromiss­formel für ein Ende des Streits um die „Obergrenze“nicht gefunden. Sicher ist nur: Wenn Merkel über 2017 hinaus Kanzlerin bleiben will, dann wird sie sich irgendwie mit der CSU zusammenra­ufen müssen.

Die Volksparte­ien CDU und SPD schrumpfen

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Zeichnung: Haitzinger „Hurra, geschafft!“
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