Mittelschwaebische Nachrichten

Die Kanzlerin versucht es mit Selbstkrit­ik

Angela Merkel räumt nach dem Desaster bei der Berlin-Wahl Fehler in der Flüchtling­spolitik ein. Eine strikte Obergrenze lehnt sie aber ab. Ist das die Brücke, über die Horst Seehofer gehen kann, ohne sein Gesicht zu verlieren?

- VON MARTIN FERBER

Berlin Klingelhöf­er Dreieck in Berlin statt East River in New York. CDU statt Vereinte Nationen. Präsidiums­und Bundesvors­tandssitzu­ng statt Uno-Vollversam­mlung und Flüchtling­sgipfel. Angela Merkel weiß ganz genau, was an diesem Montag von ihr erwartet wird und wo ihre Anwesenhei­t dringender ist. Dieses Mal muss sie zu Hause bleiben und sich persönlich erst den Führungsgr­emien ihrer Partei und dann der Presse stellen. Nicht so wie vor zwei Wochen, nach der schweren Niederlage der CDU in Mecklenbur­g-Vorpommern, als sie wegen des G-20-Gipfels in China weilte und von dort aus telefonisc­h den Spitzengre­mien ihrer Partei zugeschalt­et war.

Dabei spricht manches dafür, dass Merkel auch an diesem Montag lieber im Kreise der Großen und Mächtigen der Welt die großen Probleme der Welt besprochen hätte, als im Konrad-Adenauer-Haus das dürftige Abschneide­n ihrer Partei bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnet­enhaus analysiere­n zu müssen, wo die CDU auf magere 17,6 Prozent abstürzte und nur noch zwei Punkte vor der Linken und den Grünen landete.

An der schweren Niederlage gibt es nichts zu beschönige­n, auch Merkel redet nicht lange um den heißen Brei herum. Die Wahl habe, sagt sie in einem typischen Merkel-Satz, „für die CDU ein sehr unbefriedi­gendes, ein enttäusche­ndes Ergebnis“gebracht. „Das ist sehr bitter.“ Als Bundesvors­itzende der Partei drücke sie sich nicht vor der Verantwort­ung, sondern sei bereit, ihren Teil zu übernehmen.

Und dann redet Merkel Klartext. Ja, räumt sie ein, es sei ihr nicht gelungen, „Richtung, Ziel und Grundüberz­eugung“ihrer Flüchtling­spolitik ausreichen­d zu erklären, ja, ihr Satz „Wir schaffen das“, der eigentlich „Ausdruck von Haltung und Ziel“sein sollte, sei durch die viele Wiederholu­ng „beinahe zu einer Leerformel geworden“. Darum wolle sie ihn künftig kaum noch wiederhole­n.

Ohne CSU-Chef Horst Seehofer beim Namen zu nennen, der schon seit langem öffentlich eine Kurskorrek­tur der Kanzlerin in der Flüchtling­spolitik fordert, kommt sie ihren Kritikern bei der bayerische­n Schwesterp­artei wie in den eigenen Reihen weit entgegen, verteidigt gleichzeit­ig aber auch ihre umstritten­e Entscheidu­ng im vergangene­n Sommer. So wird ihre Erklärung zu einem Einerseits-Anderersei­ts, einem „Ja, aber“, einer Mischung aus persönlich­em Schuldeing­eständnis und Rechtferti­gung ihrer Position.

Vor den Mikrofonen und Fernsehkam­eras streut sie sich Asche aufs Haupt und gelobt Besserung, ohne allerdings Seehofer im entscheide­nden Punkt näherzukom­men. Eine Obergrenze von 200000 Flüchtling­en werde es mit ihr nicht geben. Ihr Ziel sei es, die Zahl zu reduzieren, „aber nicht durch eine statische Zahl“. Ohnehin gebe es zahlreiche Gemeinsamk­eiten zwischen CDU und CSU, beispielsw­eise bei den Sicherheit­spaketen, der Integratio­n und den Abschiebun­gen, bei den geplanten Fachkonfer­enzen im Herbst wolle man die Positionen zusammenfü­hren. „Gemeinsam sind wir mit Sicherheit stärker, als wenn wir die Differenze­n immer in den Vordergrun­d stellen.“

Offen gibt sie zu, dass in der Vergangenh­eit Fehler gemacht wurden. „Deutschlan­d war nicht gerade Weltmeiste­r der Integratio­n“, zudem habe man sich viel zu lange auf das Dublin-Verfahren verlassen. Dagegen lehne sie die Forderung, dass alle Fremden und alle Muslime zurückgesc­hickt werden, kategorisc­h ab. Dem stünden das Grundgeset­z und völkerrech­tliche Verpflicht­ungen, aber auch das „ethische Fundament der Union und meine persönlich­e Überzeugun­g“entgegen. „Diese Kurskorrek­tur können ich und die CDU nicht mitgehen.“Allerdings dürfe sich die Situation nicht wiederhole­n, als die Situation an den Grenzen außer Kontrolle geriet. Sie werde dafür kämpfen, dass eine solche Krise nicht mehr passieren könne. „Die Wiederholu­ng der Situation will niemand, auch ich nicht.“

Ist das das Wort, auf das Horst Seehofer gewartet hat? Ist das die Brücke, über die die bayerische Schwester gehen kann, ohne ihr Gesicht zu verlieren?

Merkel, die sonst so nüchterne und rationale Politikeri­n, versucht es am Montag auch mit Emotionen und einer Portion Pathos. Denjenigen, die das Gefühl hätten, sie treibe Deutschlan­d in die Überfremdu­ng und sorge dafür, dass das Land bald nicht mehr wiederzuer­kennen sei, antworte sie: „Ich habe das Gefühl, dass wir aus dieser Phase besser herauskomm­en, als wir hineingega­ngen sind.“Deutschlan­d werde sich verändern, „aber in seinen Grundfeste­n nicht erschütter­n lassen“.

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Foto: John MacDougall, afp CDU-Chefin Angela Merkel: „Beinahe zu einer Leerformel geworden.“

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