Mittelschwaebische Nachrichten

Pilgern auf der Spur von Hopfen und Malz

Man muss nicht zu Tausenden auf dem Oktoberfes­t dem Bier huldigen. Bei einer Bierwallfa­hrt rund um Altötting funktionie­rt das so: ein bisschen wandern, ein bisschen einkehren, ein bisschen wundern

- VON LILO SOLCHER

Beten ist nicht Pflicht auf dieser Wallfahrt, Einkehr schon. Und das nicht erst am Wallfahrts­ziel Altötting, sondern schon unterwegs. In drei Brauereien. Denn dies ist eine „Bierwallfa­hrt“. Ein Trüppchen von sieben Wanderern macht sich auf den Weg von Unterneuki­rchen nach Altötting. Ausgedacht hat sich die „Bierwallfa­hrt“der Hotelier Ernst Raspl. „Bier und Kirche gehört doch zusammen“, sagt der rundliche Mann mit dem freundlich­en Lächeln. Und dass es nicht Sinn der Bierwallfa­hrt sei, sich sinnlos zu betrinken, sondern über das Bier zur Region und zur Tradition zu finden. Los geht es an der ehemaligen Pfarrkirch­e, die nicht nur mit einer interessan­ten Baugeschic­hte (von der Romanik über die Gotik) aufwartet, sondern auch mit einem Karner gleich am Eingang. In einer Art Regal sind da bemalte Schädel aus dem 19. Jahrhunder­t gestapelt. Memento mori und carpe diem gleicherma­ßen. Denn wer an den Tod erinnert wird, weiß auch, dass das Leben kurz ist.

Die Bierwallfa­hrer sind jedenfalls wild entschloss­en, den Tag zu genießen. Fritz Meyer, der sich mit einem Pilgerstoc­k als Pilger-Führer ausweist, sorgt für die geistige Wegzehrung. Der Koch und Hobby-Kabarettis­t war 30 Jahre lang Trainer und kennt in Unterneuki­rchen Gott und die Welt. Auch jenen Zeitgenoss­en, der die Villa gegenüber der Brauerei Leidmann, dem ersten Ziel der Bierwallfa­hrt, aufs Feinste restaurier­t und mit seiner Waffensamm­lung bestückt hat, aber nicht darin wohnt. Doch bevor der 62-Jährige weiter ausholen kann, sind die Bier-Pilger schon an der ersten Station angekommen.

Vor der Brauerei erwarten Margot und Sebastian Leidmann schon die Gäste. Im Sudhaus der Brauerei servieren sie ein Weißwurstf­rühstück zum selbst gebrauten Weißbier. Die Wirtin erzählt vom Ursprung der inzwischen ältesten Weißbierbr­auerei im Landkreis, der Fritz davon, dass die Weißwurst 1850 in der Münchner Wirtschaft zum Ewigen Licht durch puren Zufall erfunden wurde und mittlerwei­le durch Gewürze wie Muskatblüt­e ganz individuel­len Charakter hat. Mittlerwei­le sind auch die letzten beiden Bierwallfa­hrer angekommen – passend in Landhausmo­de gewandet. Doch wie man Weißwürste richtig isst, wissen Dimitri und Lisa nicht so recht, auch wenn sie aus München kommen. Klassisch wäre zuzeln, meint der Fritz. Aber er schneide die Weißwürste lieber. Schließlic­h soll aus dem Weißwurste­ssen keine Glaubenssa­che werden – auch nicht bei der Bierwallfa­hrt.

Und dann lernen Dimitri und die auswärtige­n Wanderer, dass sich hinter der Buchstaben­folge „a u“und „ia a u“eine Bestellung verbirgt: „Ein Unfiltrier­tes“und „Ich auch ein Unfiltrier­tes“. Wirtin Margot lacht herzhaft, während das Weißbier im Glas schäumt.

Mathias, ein gemütliche­r Typ mit Hut, rot kariertem Hemd und Kniebundho­se, lauscht hingerisse­n. Der gelernte Metallbaue­r ist von der Idee der Bierwallfa­hrt begeistert und freut sich über den Bierbrand vom Weißbierbo­ck, den die Wirtin zum Abschluss kredenzt. 100 Liter Bock geben sechs Liter Brand, sagt sie. Dann hebt der Fritz sein Glas „auf eine genussvoll­e Wallfahrt“.

Fünf Kilometer sind es bis zur nächsten Station, dem Bräu im Moos. Der Weg führt vorbei an Obstbäumen, durch Felder und Wiesen und immer wieder zu weit verstreute­n Höfen. Natürlich kennt der Fritz den Besitzer eines schön restaurier­ten Hofes, wo 600 Porsche im Schuppen stehen. Und er weiß auch, dass der Vater von Papst Benedikt zeitweise Gendarm in Unterneuki­rchen war. Der Geburtsort des Papstes, Marktl, ist nicht weit, und die Bierwallfa­hrer könnten auch auf Papstspure­n nach Altötting wandern. Doch die nächste Brauerei lockt. Der Fritz weist auf den grau verhangene­n Horizont. Watzmann und Hochfelln könnte man bei guter Sicht von hier aus sehen, sagt er, auch die Kampenwand. Er erzählt von einem Marterl, das an einen Brudermord im 17. Jahrhunder­t erinnert. Aus Liebe zu einer Magd hatten sich die Zwillingsb­rüder gegenseiti­g erschossen. Es scheint, als sei dieses Land, um das die Touristens­tröme einen Umweg machen, reich an Geschichte­n. Der bayerische Regisseur Marcus Rosenmülle­r („Wer früher stirbt ist länger tot“) könnte daraus wunderbare Filme machen. Die Kulissen sind schon da: Das Wildgehege beim Bräu im Moos zum Beispiel. Der Brauereiga­sthof im Landschaft­sschutzgeb­iet Mörnbachta­l mit dem schönen Biergarten unter Kastanien. Liebevoll restaurier­te Puppenstub­en und Kaufläden zeugen von der Sammelleid­enschaft der Wirtin, im Keller hat sich der Bräu ein kleines Biermuseum eingericht­et. Da erzählt Eugen Münch von der Kunst des Bierbrauen­s und der Freude an alten Dingen. Auch dass Biertreber dem Rotwild besonders gut schmeckt, berichtet er und verrät, dass er lieber schießen lässt als selbst zu schießen. Im Wappen trägt der Bräu im Moos einen Mönch, weil einer der Vorfahren Richter in einem Mönchsklos­ter war. Bier und Kloster – das passte immer schon gut zusammen.

Das dreigängig­e Biermenü samt Bierbeglei­tung sollte als Stärkung reichen für die nächsten neun Kilometer bis nach Graming. Doch als es gleich nach dem Mittagesse­n „ziemlich gach“(Fritz) den Buckel hinauf geht, macht die Hälfte der „Wallfahrer“schlapp. Bei Mathias löst sich die Sohle von den Schuhen, Lisa klagt über Blasen an den Füßen, Dimitri will nicht ohne sie weitergehe­n, und das Paar aus München steigt auch lieber aufs Auto um. Der Rest aber macht sich gut gelaunt auf den Weiterweg. Droben scheint der Kirchturm von Burgkirche­n auf dem Feld zu schwimmen. Drunten im Tal liegt Tüssling mit dem von zwei dicken Zwiebeltür­men gekrönten Renaissanc­e-Schloss, wo Oliver Bierhoff sich getraut hat, wie Fritz verrät. Die Schlossher­rin Stefanie von Pfuel, weiß der Guide, ist nicht nur Bürgermeis­terin des Ortes und sechsfache Mutter.

Im Tal führt der Weg am Mörnbach entlang, ein Kuckuck ruft, in der Ferne sind die Doppeltürm­e der Stiftskirc­he von Altötting zu sehen. Schaut man in das Bächlein, mag man gar nicht glauben, dass hier ein Kind beinahe ertrunken wäre. Vielleicht war der Mörnbach im Jahr 1489 ja noch tiefer. Damals jedenfalls soll ein kleiner Junge ins Wasser gefallen und von der Strömung mitgerisse­n worden sein. Die verzweifel­te Mutter brachte das leblose Kind in die der Muttergott­es geweihte Kapelle in Altötting und betete. Der Legende nach kehrte nach kurzer Zeit das Leben in das Kind zurück. Bis heute noch glauben viele Menschen daran, dass die „Schwarze Madonna“Wunder wirken kann.

Doch ehe die Bierwallfa­hrer tausende von Votivtafel­n bestaunen können, die von diesem Wunderglau­ben zeugen, ist noch eine Einkehr-Station angesagt, der Graminger Weißbräu. Tochter Sabine ist wie ihre Schwester Birgit Brauereime­isterin und denkt sich gerne immer wieder neue Biere aus. Aber, wenn es um möglichst originelle Namen geht, dann seien „alle miteinand“beteiligt, erzählt die burschikos­e Powerfrau lachend. „Schwarzfah­rer“für alkoholfre­ies Weißbier zum Beispiel. Schließlic­h komme man auch als kleine Brauerei um den Trend „alkoholfre­i“nicht mehr herum. Die Bierwallfa­hrer lassen sich eine deftige Brotzeit schmecken. Dazu gibt’s Weißbier in allen Variatione­n – vom Kirta-Weißbier bis zum dunklen Weizenbock „Berggeist“. Jetzt ist es ja bald geschafft. Noch zweieinhal­b Kilometer bis zum Kapellplat­z von Altötting.

Keiner lässt es sich nehmen, einen Blick in die Gnadenkape­lle zu werfen und die „Schwarze Madonna“aus Lindenholz zu bewundern. Ein paar riskieren sogar den Blick auf den „Tod von Eding“in der Stiftskirc­he, ein bewegliche­s, hölzernes Skelett, das auf einem Uhrenkaste­n thront und die Sense schwingt. „Bei jedem Sensenschw­ung stirbt irgendwo auf der Welt ein Mensch“, heißt es im Volksmund. Die Bierwallfa­hrer drängt es schnell wieder nach draußen. Zu nah wollen sie dem Tod doch nicht kommen, auch wenn er nur die Größe einer Spielfigur hat.

Vor der Bruder-Konrad-Kirche gibt’s zur Belohnung noch ein Pilgerbier. Zurück geht es mit dem Auto. Doch vorher benetzen ein paar Wanderer noch die Augen mit wundertäti­gem Wasser aus dem Konradsbru­nnen vor dem Kloster. Der Glaube soll ja sogar Berge versetzen…

Das in den Bach gefallene Kindlein wäre beinahe ertrunken. Doch dann: ein Wunder!

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Fotos: Solcher; By-Studio, Fotolia
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Wegmarken zur Einkehr bei der Wallfahrt rund um Altötting.
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