Mittelschwaebische Nachrichten

Lektion in Sachen Liebe

- VON STEFAN DOSCH

Als Brecht das Libretto für die Oper „Mahagonny“bei dem Verleger Hertzka einreichte, hatte dieser daran auszusetze­n, dass in dem Operntext doch arg viel von „Boxkampf, Mord, Totschlag, Trunkenhei­t und dergl.“die Rede sei, weshalb er zum Ausgleich „eine Dosis positiver und menschlich­er Eigenschaf­ten“empfahl. Das reizte Brecht, und so schrieb er das Gedicht „Die Liebenden“, das dann auch Aufnahme in die endgültige Fassung von „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“fand, allerdings mit drei weiteren Versen. Mit eben dieser Ergänzung wurde das Gedicht 1931 erstmals gedruckt unter dem Titel „Terzinen über die Liebe“, was bis heute für Verwirrung sorgt, da es eben auch – verkürzt – als „Die Liebenden“in Umlauf ist.

Das Gedicht ist im überwiegen­den Teil im Reimschema der Terzinen verfasst, für die es ein berühmtes Vorbild gibt: Dantes „Göttliche Komödie“. Bei Terzinen sind die dreizeilig­en Strophen dadurch miteinande­r verknüpft, dass der umarmende Reim einen Mittelvers umschließt, der in der Folgestrop­he dann selbst den umarmenden Reim bildet und so fort – eine bildhaftfo­rmale Lösung für ein Gedicht, welches die Liebe zum Thema hat. Bei Dante, in der Paolo-und-Francesca-Szene des „Inferno“, tauchen auch bereits Kraniche auf als Verweis auf ein ewig, wenngleich tragisch verbundene­s Liebespaar.

Bei Brecht sind die Kraniche jedoch nicht, wie die Schlusszei­le des Gedichts vermuten lässt, „die Liebenden“. Der Hinweis („Sieh“) auf die ziehenden Vögel und die sie begleitend­en Wolken zeigt vielmehr auf ein Bild für die Liebe. Dieses besitzt eine ebenso ruhevolle wie hochgradig suggestive Intensität, die sich in Metaphern des Fliegens und des Zeitenthob­enseins entfaltet, einem klassische­n und von Brecht hier virtuos gehandhabt­en Beschreibu­ngsinventa­r für den Transzende­nzdrang des Liebesgefü­hls. Dann aber setzt Ernüchteru­ng ein, was sich auch formal niederschl­ägt, denn die Terzinen lösen sich auf und die Betrachtun­g weicht einem Dialog, der sich am Ende ins Lehrhafte wendet. Nun ist die Rede von baldiger Trennung, die zuvor wirkmächti­g hergestell­te Vorstellun­g ewiger Liebe wird als Illusion demaskiert. Freilich setzt Brecht mit den auseinande­rfallenden Schlussver­sen nicht die ersten sechs Strophen seines Gedichts außer Kraft. Vielmehr weist er auf den Doppelchar­akter der Liebe hin: Es gibt sie – aber eben nur in endlicher Form. Die Schlusszei­le ist denn auch mit Akzent auf dem ersten Wort zu lesen: So verstanden, also ohne Ewigkeitsi­llusion, „ist die Liebe Liebenden ein Halt“.

Derart also kam Brecht der Forderung nach einer Dosis „menschlich­er Eigenschaf­ten“nach. Vermutlich nicht so, wie der Stichwortg­eber sich das erwartet hatte.

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Bertolt Brecht

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