Mittelschwaebische Nachrichten
Lektion in Sachen Liebe
Als Brecht das Libretto für die Oper „Mahagonny“bei dem Verleger Hertzka einreichte, hatte dieser daran auszusetzen, dass in dem Operntext doch arg viel von „Boxkampf, Mord, Totschlag, Trunkenheit und dergl.“die Rede sei, weshalb er zum Ausgleich „eine Dosis positiver und menschlicher Eigenschaften“empfahl. Das reizte Brecht, und so schrieb er das Gedicht „Die Liebenden“, das dann auch Aufnahme in die endgültige Fassung von „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“fand, allerdings mit drei weiteren Versen. Mit eben dieser Ergänzung wurde das Gedicht 1931 erstmals gedruckt unter dem Titel „Terzinen über die Liebe“, was bis heute für Verwirrung sorgt, da es eben auch – verkürzt – als „Die Liebenden“in Umlauf ist.
Das Gedicht ist im überwiegenden Teil im Reimschema der Terzinen verfasst, für die es ein berühmtes Vorbild gibt: Dantes „Göttliche Komödie“. Bei Terzinen sind die dreizeiligen Strophen dadurch miteinander verknüpft, dass der umarmende Reim einen Mittelvers umschließt, der in der Folgestrophe dann selbst den umarmenden Reim bildet und so fort – eine bildhaftformale Lösung für ein Gedicht, welches die Liebe zum Thema hat. Bei Dante, in der Paolo-und-Francesca-Szene des „Inferno“, tauchen auch bereits Kraniche auf als Verweis auf ein ewig, wenngleich tragisch verbundenes Liebespaar.
Bei Brecht sind die Kraniche jedoch nicht, wie die Schlusszeile des Gedichts vermuten lässt, „die Liebenden“. Der Hinweis („Sieh“) auf die ziehenden Vögel und die sie begleitenden Wolken zeigt vielmehr auf ein Bild für die Liebe. Dieses besitzt eine ebenso ruhevolle wie hochgradig suggestive Intensität, die sich in Metaphern des Fliegens und des Zeitenthobenseins entfaltet, einem klassischen und von Brecht hier virtuos gehandhabten Beschreibungsinventar für den Transzendenzdrang des Liebesgefühls. Dann aber setzt Ernüchterung ein, was sich auch formal niederschlägt, denn die Terzinen lösen sich auf und die Betrachtung weicht einem Dialog, der sich am Ende ins Lehrhafte wendet. Nun ist die Rede von baldiger Trennung, die zuvor wirkmächtig hergestellte Vorstellung ewiger Liebe wird als Illusion demaskiert. Freilich setzt Brecht mit den auseinanderfallenden Schlussversen nicht die ersten sechs Strophen seines Gedichts außer Kraft. Vielmehr weist er auf den Doppelcharakter der Liebe hin: Es gibt sie – aber eben nur in endlicher Form. Die Schlusszeile ist denn auch mit Akzent auf dem ersten Wort zu lesen: So verstanden, also ohne Ewigkeitsillusion, „ist die Liebe Liebenden ein Halt“.
Derart also kam Brecht der Forderung nach einer Dosis „menschlicher Eigenschaften“nach. Vermutlich nicht so, wie der Stichwortgeber sich das erwartet hatte.