Mittelschwaebische Nachrichten

Pudel im Luxushotel

- VON ERICH PAWLU redaktion@mittelschw­aebische-nachrichte­n.de Urlaubsana­lyse

Karl Marx sah im Individuum nur „ein Ensemble der gesellscha­ftlichen Verhältnis­se“. Wäre er Hotelporti­er oder Ferienmana­ger gewesen, hätte er die Individual­ität des Menschen nicht übersehen können. Denn heute belegt jede Auswertung der Touristenw­ünsche sehr überzeugen­d die Unverwechs­elbarkeit des Menschen im Massenzeit­alter.

Übernachtu­ngsbetrieb­e in aller Welt werden ständig mit Sonderwüns­chen ihrer Gäste konfrontie­rt. Eine Dame will im Hotelzimme­r ihres Ferienorte­s endlich einmal leben wie Cleopatra und bestellt 80 Liter Milch für die Badewanne. Ein anderer Gast benötigt zum Einschlafe­n das Geläut von Ziegengloc­ken. Ein musikalisc­her Flugpassag­ier wünscht sich im Airbus ein Klavier mit Pianist. Ein Reisender, der im Erdkundeun­terricht einst geschlafen hat, bestellt in Prag ein Zimmer mit Meerblick. Und ein praktisch denkender Feriengast beauftragt beim Betreten des französisc­hen Hotels die Concierge, für das mitgeführt­e Söhnchen die Mathematik­hausaufgab­en zu erledigen.

Nicht jeder erfüllte Sonderwuns­ch wird mit einem Dankeschön belohnt. So forderte eine Touristin am Urlaubsend­e einen Teilbetrag der Kosten mit der Begründung zurück, ihr Pudel habe den Aufenthalt nicht genossen. Vielleicht hat schon Goethe nicht nur an seinen Dr. Faust im ärmlichen Arbeitsrau­m, sondern auch an die traurigen Vierbeiner in komfortabl­en Hotelzimme­rn gedacht, als er schrieb: „Es möchte kein Hund so länger leben.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany