Mittelschwaebische Nachrichten
Pudel im Luxushotel
Karl Marx sah im Individuum nur „ein Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse“. Wäre er Hotelportier oder Ferienmanager gewesen, hätte er die Individualität des Menschen nicht übersehen können. Denn heute belegt jede Auswertung der Touristenwünsche sehr überzeugend die Unverwechselbarkeit des Menschen im Massenzeitalter.
Übernachtungsbetriebe in aller Welt werden ständig mit Sonderwünschen ihrer Gäste konfrontiert. Eine Dame will im Hotelzimmer ihres Ferienortes endlich einmal leben wie Cleopatra und bestellt 80 Liter Milch für die Badewanne. Ein anderer Gast benötigt zum Einschlafen das Geläut von Ziegenglocken. Ein musikalischer Flugpassagier wünscht sich im Airbus ein Klavier mit Pianist. Ein Reisender, der im Erdkundeunterricht einst geschlafen hat, bestellt in Prag ein Zimmer mit Meerblick. Und ein praktisch denkender Feriengast beauftragt beim Betreten des französischen Hotels die Concierge, für das mitgeführte Söhnchen die Mathematikhausaufgaben zu erledigen.
Nicht jeder erfüllte Sonderwunsch wird mit einem Dankeschön belohnt. So forderte eine Touristin am Urlaubsende einen Teilbetrag der Kosten mit der Begründung zurück, ihr Pudel habe den Aufenthalt nicht genossen. Vielleicht hat schon Goethe nicht nur an seinen Dr. Faust im ärmlichen Arbeitsraum, sondern auch an die traurigen Vierbeiner in komfortablen Hotelzimmern gedacht, als er schrieb: „Es möchte kein Hund so länger leben.“