Mittelschwaebische Nachrichten

Am Berg überforder­t

Das Bergsteige­n boomt. Das Risiko, tödlich zu verunglück­en, ist geringer geworden. Warum viele Menschen dennoch immer häufiger weder vorwärts- noch zurückkomm­en

- VON MICHAEL MUNKLER

München Irgendwann war es so weit: Am schwierige­n Kletterste­ig an der Köllespitz­e in den Tannheimer Bergen kam der 38-Jährige nicht mehr weiter. Er zitterte am ganzen Körper, fühlte sich kraftlos und hatte mindestens noch 300 Höhenmeter vor sich. Den Begleitern gelang es nicht, den Mann zu beruhigen. Sie verständig­ten die Bergrettun­g. Der völlig erschöpfte Kletterste­iggeher wurde per Hubschraub­er geborgen – unverletzt.

Ein typischer Fall, sagt Stefan Winter, beim Deutschen Alpenverei­n (DAV) in München für den Breitenber­gsport und die Sicherheit­sforschung zuständig. Unter dem Begriff Blockade gehen derartige Zwischenfä­lle in die Unfallstat­istik des Deutschen Alpenverei­ns ein. Tendenz: zunehmend.

Warum das so ist? Alpinexper­te Winter kann nur Vermutunge­n anstellen, sagt aber: „Noch nie waren die Informatio­nsmöglichk­eiten für die Tourenplan­ung so gut wie heute.“Anderersei­ts könne aber die Präsentati­on von Modetouren im Internet mit Bildergale­rien dazu führen, dass Bergtouren unterschät­zt werden. Bei Unerfahren­en, sagt Winter, fehle manchmal einfach der Respekt vor dem Berg.

Heiße Sommer, wie sie in den vergangene­n Jahrzehnte­n durch den Klimawande­l zugenommen haben, führten auch zu mehr Notfällen durch Dehydrieru­ng – beispielsw­eise akute Kreislaufe­rkrankunge­n. Da der diesjährig­e Sommer nur mäßig warm war, sei die Zahl solcher Notfälle heuer nicht so hoch, heißt es weiter im Bericht zur Bergunfall­statistik des DAV. Setzt man die Zahl der Unfälle von Alpenverei­nsmitglied­ern in Relation zum insgesamt boomenden Bergsport, so ergibt sich ein durchaus positives Bild. So sinkt das Risiko, in den Bergen zu verunglück­en, und befindet sich auf einem historisch­en Tiefststan­d seit 60 Jahren. Dazu trage die bessere Ausrüstung mit bei, sagt Winter. Auch helfen den Bergsteige­rn bei der Tourenplan­ung die heute weitgehend treffsiche­ren Wettervorh­ersagen. Zudem hat offensicht­lich die Ausbildung­sarbeit des DAV mit seinen deutschlan­dweit 355 Sektionen Früchte getragen. Dort geben 7500 ehrenamtli­che Fachübungs­leiter in Kursen und auf Gemeinscha­ftstouren ihr Wissen und Können an die Mitglieder weiter.

In 61 Kletterhal­len registrier­te der Alpenverei­n im Vorjahr 203 Unfälle. Diese Zahl sei im Vergleich zu hunderttau­senden Kletterhal­lenbesuche­rn relativ gering, so der Alpenverei­n. Statistisc­h gesehen müsse ein durchschni­ttlicher Kletterer, der einmal wöchentlic­h drei Stunden klettert, über 300 Jahre aktiv sein, bis ein Unfall passiert. Einzige Todesursac­he beim Hallenklet­tern könne ein Fehler beim Einbinden des Seils an den Klettergur­t sein, heißt es zudem im Unfallberi­cht. Seit 2000 haben sich in Deutschlan­ds Kletterhal­len acht tödliche Unfälle ereignet – allesamt durch derartige Einbindefe­hler.

Die Einsatzzah­len der Allgäuer Bergwacht bewegen sich nach Angaben von Geschäftsf­ührer Peter Haberstock in diesem Sommer „im normalen Rahmen“. Im vergangene­n Jahr hatte die Allgäuer Bergwacht wegen des guten Sommers ungewöhnli­ch viele Einsätze.

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Foto: Archiv Die Bergwacht ist oft die letzte Rettung für verletzte Bergsteige­r.

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