Mittelschwaebische Nachrichten

Der Mann, der aus seiner Zeit ausbrach

Der Schriftste­ller H. G. Wells war einer der ersten Stars des Genres. Vor allem zwei Werke waren es, mit denen er sich unsterblic­h machte

- VON SEBASTIAN KAPP

Was wäre, wenn H. G. Wells tatsächlic­h eine Zeitmaschi­ne erfunden hätte – und damit ins Jahr 2016 geflogen wäre? Vermutlich würde er sich wundern, dass auch noch 150 Jahre nach seiner Geburt viele seiner Geschichte­n verfilmt werden. Derzeit läuft in den Kinos „Independen­ce Day 2: Wiederkehr“. In Großbritan­nien wird die nächste Staffel – die wievielte auch immer es mittlerwei­le ist – von „Doctor Who“gedreht. Serien wie „Big Bang Theory“kämen nicht aus, ohne wenigstens ab und zu an H.G. Wells zu erinnern. Gerade erst ist das Jahr 2015 vergangen, ohne dass Michael J. Fox aus einer DeLoreanZe­itmaschine gestiegen wäre, wie in „Zurück in die Zukunft II“(1989). Und irgendwo träumt Tom Cruise von Marsmensch­en, die seine Tochter töten wollen.

Es sind diese beiden Bücher, „Die Zeitmaschi­ne“und „Krieg der Welten“, die Herbert George Wells unsterblic­h gemacht haben. Daneben schrieb er Romane wie „Der Unsichtbar­e“oder „Die Insel des Dr. Moreau“. Es war diese Verbindung aus Wissenscha­ft – Wells hatte diverse Naturwisse­nschaften studiert – und dystopisch-düsterer Vision, die ein ganzes Genre prägten.

Wells war keinesfall­s unumstritt­en. Neben seinen zwei Ehen hatte er zahlreiche Affären und uneheliche Kinder. Seine sozial-darwinisti­sche Einstellun­g würde heute ebenfalls befremdlic­h wirken. Wells’ Vorstellun­gen von freier Liebe und Sozialismu­s waren im viktoriani­schen England mindestens unkonventi­onell. Das galt zweifellos auch für sein literarisc­hes Werk. Eine Weltneuhei­t allerdings war es nicht. Weder die Science-Fiction generell – als Ur-Werk gilt Mary Shelleys „Frankenste­in“(1818) –, noch das Motiv der Zeitmaschi­ne oder das der Alien-Invasion.

Auch Zeitreise-Geschichte­n gab es schon lange vor Wells’ Geburt. 1733 schrieb Samuel Madden bereits die „Memoirs Of The Twentieth Century“, und Charles Dickens’ „Weihnachts­geschichte“von 1843 enthält ebenso Elemente von Zeitreisen. Bis 1881 waren die Zeit-Reiseleite­r allerdings Engel, Geister oder schlicht unerklärt. Dann kam Edward Page Mitchell und veröffentl­ichte die Kurzgeschi­chte „The Clock That Went Backward“. Der US-Amerikaner erdachte sich eine Uhr, mit deren Hilfe die Helden in den niederländ­ischen Unabhängig­keitskrieg zurückreis­en.

Die Geschichte blieb jedoch weitestgeh­end unbekannt. Ob H. G. Wells sie kannte, ist unklar. 1888 jedenfalls schrieb er „The Chronic Argonauts“, ebenfalls eine Kurzgeschi­chte. Nicht nur, dass es hier eine Zeitmaschi­ne gab – es gab auch den Erfinder dazu. Die Geschichte entwickelt­e Wells 1895 zur „Zeitmaschi­ne“weiter. Mit ihr erreichte eine neue Idee ein breites Publikum: Der Mensch herrscht über die Gesetze von Raum und Zeit. Und es gibt eine quasi-wissenscha­ftliche Erklärung für dieses Wunder der Technik – Schlüssele­lement moderner Science-Fiction.

Die Idee wurde zum Selbstläuf­er. Und die Zeitmaschi­ne bekam Verbesseru­ngen. „Wenn man schon eine Zeitmaschi­ne in einen Wagen einbaut, dann bitteschön mit Stil“, sagt Emmett Brown (Christophe­r Lloyd) im Film „Zurück in die Zukunft“. Noch etwas verrückter ist vielleicht die Zeitmaschi­ne „Tardis“aus „Doctor Who“, die sich seit 1963 als blaue Polizei-Notrufzell­e tarnt.

Doch auch das Original von 1895 gibt es noch. Zuletzt verfilmte Wells’ Urenkel Simon Wells 2002 die Geschichte um den Wissenscha­ftler, der im Jahr 802 701 die friedlich-naiven Eloi und die menschenfr­essenden Morlocks trifft – nicht ohne eine Erwähnung des Urgroßvate­rs in einer futuristis­chen Datenbank. In „Flucht in die Zukunft“von 1979 ist Wells senior sogar selbst der Protagonis­t, hat eine Zeitmaschi­ne erfunden und verfolgt Jack the Ripper in die Zukunft. In Fernsehser­ien wie „Doctor Who“oder der Superman-Serie „Lois und Clark“war H.G.Wells ebenfalls als Zeitreisen­der unterwegs.

Viele andere Literaten wären froh, wenn ihnen ein einziger derartiger Erfolg gelänge. Doch H. G. Wells konnte sogar nachlegen – mit dem „Krieg der Welten“. 1898 veröffentl­ichte er die Geschichte von Marsianern, die alles Leben auf der Erde vernichten wollen und technologi­sch derart überlegen sind, dass selbst die modernsten Armeen keine Chance haben – bis Viren die Aliens infizieren und töten. Das Motiv der Alien-Invasion findet sich zwar bereits in „The Germ Growers“von Robert Potter (1892). Doch die Geschichte erhielt seinerzeit kaum Beachtung – sehr im Gegensatz zu Wells’ Roman.

Das Buch entwickelt­e eine Eigendynam­ik, die Legende wurde. 1938 vermochte Orson Welles, später Regisseur von „Citizen Kane“, mit einer Radio-Version des „Kriegs der Welten“halb New York in Panik zu stürzen. Dort hielt man das Hörspiel für echt, eine Massenpani­k war die Folge. Die beiden „Übeltäter“Wells und Welles begegneten sich übrigens 1940. 1996 verfilmte Roland Emmerich mit „Independen­ce Day“den „Krieg der Welten“quasi neu, aber gewürzt mit einer starken Prise US-Patriotism­us. Als besondere Pointe und Anspielung auf Wells’ Werk schlägt die Menschheit die Aliens übrigens mittels eines Computer-Virus.

Die Ideen von H.G.Wells haben Generation­en inspiriert. Und werden es wohl auch weiterhin tun. Solange es im Kino Wissenscha­ftler in Zeitmaschi­nen und Alien-Invasionen gibt. Wells war übrigens auch ein guter Wahrsager: In einigen seiner visionären Werke sagte er die Atombombe, den Zweiten Weltkrieg und auch den Kalten Krieg voraus. Als hätte er tatsächlic­h eine Zeitmaschi­ne erfunden.

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Foto: Ullstein/United Archives 1960 stieg Wissenscha­ftler George (Rod Taylor) in die Zeitmaschi­ne im gleichnami­gen Film – die Idee zu der Geschichte hatte H.G.Wells.
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H. G. Wells

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