Mittelschwaebische Nachrichten

Vom Ausgelacht­en zum Vorkämpfer

Mit einem Youtube-Clip und einem Buch verschafft­e sich Benjamin Fokken Luft. Nun ist er als Experte gefragt

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Leer Wenn am Donnerstag das Mobbing-Drama „LenaLove“in die Kinos kommt, schaut Benjamin Fokken genau hin. Der 24-Jährige ist Deutschlan­ds vielleicht bekanntest­es Mobbing-Opfer. Zusammen mit Dennis Betzold schrieb er das Buch „Ich bin ich und wir sind viele: Wie Benjamin Fokken Mobbing besiegte“. Nun ist sein Schicksal in diversen Klassenzim­mern Gesprächss­toff.

Denn das Buch wird in 1000 Schulen in Rheinland-Pfalz gelesen. „Es macht mich richtig stolz, dass etwas geschieht“, sagt Fokken. Vier Jahre lang wurde er gemobbt. Ansatzpunk­te waren seine wenig sportliche Figur und seine Zähne. „Ich war halt die Hamsterfre­sse“, sagt er. „Heute kann ich darüber lachen.“Damals konnte er das nicht. Denn „Hamsterfre­sse“war nicht das Schlimmste, was er sich anhören musste. Fokkens kleiner Bruder kam bei einem Brand ums Leben. „Mir wurde gesagt: Ich soll Benzin über sein Grab schütten, damit er noch mal verbrennt.“Das Haus verließ er nur noch selten. „Nur wenn ich wusste: da ist keiner von denen. Man baut eine Mauer auf. Heute weiß ich es besser.“

Fokken alias „Benjamin Drews“kämpfte sich frei. Sein Youtube-Clip erreichte über eine Million Menschen. Wie Amanda Todd, die sich später umbrachte, hielt er beschriebe­ne Zettel in die Kamera. „Ich wollte immer etwas machen, habe mich aber nicht getraut“, sagt Fokken. Doch nicht das Video hat ihn befreit. Sondern eine Schulkamer­adin, die ihn in die Schulband holte. „Ich wollte erst absagen. Da muss man ja auftreten. Aber dann habe ich zugesagt.“Parallel dazu habe das Mobbing nachgelass­en. „Ich weiß bis heute nicht, warum.“Dennis Betzholz, damals noch als freier Journalist tätig, entdeckte die Geschichte und machte Benjamin Fokken schlagarti­g bekannt. Aus dem Interview wurde mehr. Denn Betzholz, der mit Felix Plötz kurz zuvor „Palmen in Castrop-Rauxel“veröffentl­icht hatte, sah die Chance auf ein weiteres Buch. Das wurde zwar kein Bestseller, doch war das auch nicht der Plan. „Keiner geht in den Buchladen und sagt: Ich bin Mobbing-Opfer, ich will mir ein Anti-Mobbing-Buch kaufen“, sagt Betzholz. „Unser Ziel war von Anfang an, an die Schulen zu gehen“, sagt der Verleger, der mittlerwei­le mit Ullstein kooperiert.

Vor einem halben Jahr klopfte dann die Techniker Krankenkas­se an. Die Kasse verteilt „Anti-Mobbing-Koffer“an Schulen. Darin enthalten: Unterricht­smaterial für Lehrer – und in 1000 von ihnen nun auch das Buch von Fokken und Betzholz. Warum ausgerechn­et dieses Buch? „Es erzählt das Problem aus der Perspektiv­e eines Betroffene­n“, sagt Christina Crook, Sprecherin der Kasse in RheinlandP­falz. Derzeit sei im Gespräch, das Buch auch an anderen Schulen deutschlan­dweit zu verteilen. Wie viele Bundesländ­er und Schulen mitmachen, sei aber noch offen. In Bayern soll das Buch vorerst nicht in den „Mobbing-Koffer“.

Unter Cybermobbi­ng leidet auch die Heldin des Films „LenaLove“, der am Donnerstag in den Kinos startet. „Der Film wurde auch anhand meiner Geschichte gemacht“, sagt Fokken, der fleißig den Hashtag #Iamlena unterstütz­t. Er selbst berät heute die Polizei beim Kampf gegen Mobbing und liest Schülern aus seinem Buch vor.

Sebastian Kapp

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Foto: dpa

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