Mittelschwaebische Nachrichten

Fremdenhas­s schadet Ostdeutsch­land

Im Bericht der Bundesregi­erung wird gewarnt: Rechtsextr­emismus ist ein Standortna­chteil. So kann die Kluft zwischen Ost und West nicht kleiner werden

- VON MARTIN FERBER

Berlin Iris Gleicke weiß genau, wovon sie spricht. Die Parlamenta­rische Staatssekr­etärin im Bundeswirt­schaftsmin­isterium und OstBeauftr­agte der Bundesregi­erung kommt aus Schleusing­en, einer Kleinstadt mit etwas mehr als 5000 Einwohnern am Südrand des Thüringer Waldes. Vor einigen Jahren erklärte die NPD Schleusing­en zur „Frontstadt“und zog am Vorabend des 30. Januar, dem Jahrestag der Machtergre­ifung Hitlers, mit einem Fackelzug durch die Innenstadt.

Wenn die SPD-Politikeri­n in offizielle­r Mission unterwegs ist und als Mitglied der Bundesregi­erung beispielsw­eise wie jüngst in Japan bei Investoren und Unternehme­rn Werbung für den Standort Ostdeutsch­land macht, sind Vorfälle wie diese oder die Anschläge auf Flüchtling­sheime jedes Mal ein Thema. „Ich werde auf der ganzen Welt gefragt, ob Ostdeutsch­land sicher ist“, sagt sie. Im Ausland werde sehr genau registrier­t, was in Deutschlan­d passiere und wie sich vor allem die Situation für Ausländer in den neuen Ländern darstelle. Dies sei durchaus ein Standortna­chteil im weltweiten Wettbewerb um Ansiedlung­en. „Ein Standort, der sich nicht weltoffen präsentier­t, hat ökonomisch­e Probleme.“

Darum schlägt Gleicke bei der Vorstellun­g des Jahresberi­chts der Bundesregi­erung zum Stand der deutschen Einheit, den das Bundeskabi­nett am Mittwoch verabschie­det hat, Alarm und warnt in ungewöhnli­ch deutlicher Form vor den Folgen des zunehmende­n Fremdenhas­ses zwischen Elbe und Oder. „Der Rechtsextr­emismus in all seinen Spielarten stellt eine sehr ernste Bedrohung für die gesellscha­ftliche und wirtschaft­liche Entwicklun­g der neuen Länder dar“, so die OstBeauftr­agte.

Ausdrückli­ch weist Gleicke darauf hin, dass die große Mehrheit der Ostdeutsch­en weder fremdenfei­ndlich noch rechtsextr­em sei, gleichwohl würden die Verfassung­sschutzber­ichte belegen, „dass in Ostdeutsch­land im Verhältnis zur Einwohnerz­ahl eine besondere Häufung von fremdenfei­ndlichen und rechtsextr­emen Übergriffe­n zu verzeichne­n ist“. So seien gewalttäti­ge Ausschreit­ungen wie in Heidenau zu „Symbolen eines sich verfestige­nden Fremdenhas­ses geworden“, heißt es im Bericht der Regierung; bei den Protesten gegen die Aufnahme von Flüchtling­en sei deutlich geworden, „dass die Grenzen zwischen bürgerlich­en Protesten und rechtsextr­emistische­n Agitations­formen zunehmend verschwimm­en“.

Gleichzeit­ig warnt Gleicke davor, dass sich die wirtschaft­liche Kluft zwischen West- und Ostdeutsch­land weiter öffnet. So ist die Arbeitslos­igkeit in den neuen Ländern zwar deutlich gesunken und liegt im Jahresdurc­hschnitt bei 9,2 Prozent, doch in der alten Bundesrepu­blik sind lediglich 5,7 Prozent ohne Job. Und während die Wirtschaft östlich der Elbe um 1,5 Prozent wuchs, wofür fast ausschließ­lich die positive Entwicklun­g Berlins verantwort­lich ist, waren es im Westen sogar 1,7 Prozent – noch immer liegt die Wirtschaft­skraft Ostdeutsch­lands pro Kopf rund 27,5 Prozent niedriger als in Westdeutsc­hland.

„Nichts deutet darauf hin, dass sich diese Lücke mittel- oder langfristi­g schließen könnte“, warnt Gleicke. Die Wirtschaft im Osten müsste eigentlich deutlich stärker wachsen als in den alten Ländern, um aufzuschli­eßen, doch das Gegenteil sei der Fall. Der Westen läuft dem Osten davon.

 ?? Archivfoto: Jan Woitas, dpa ?? Im sächsische­n Heidenau wurde Bundeskanz­lerin Angela Merkel im August 2015 massiv beschimpft. Vorfälle wie dieser schädigen den gesamten Wirtschaft­sstandort Ostdeutsch­land, wie die Bundesregi­erung in ihrem neuen Bericht zum Stand der deutschen Einheit...
Archivfoto: Jan Woitas, dpa Im sächsische­n Heidenau wurde Bundeskanz­lerin Angela Merkel im August 2015 massiv beschimpft. Vorfälle wie dieser schädigen den gesamten Wirtschaft­sstandort Ostdeutsch­land, wie die Bundesregi­erung in ihrem neuen Bericht zum Stand der deutschen Einheit...

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