Mittelschwaebische Nachrichten
Grausamer Tod auf dem Einödhof
Im April 1922 werden in Hinterkaifeck sechs Menschen auf bestialische Weise getötet. Der rätselhafte Mordfall ist bis heute ungeklärt. Das Polizeimuseum Ingolstadt bietet nun in einer Ausstellung acht Theorien
Ingolstadt/Waidhofen Ein Mord verjährt nicht. Und dieser Mordfall wird ohnehin unvergessen bleiben. Denn es handelt sich um eines der spektakulärsten Kapitalverbrechen, die in den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen in Deutschland verübt worden sind. Und der Sechsfachmord von Hinterkaifeck wird wohl nie mehr aufgeklärt werden.
Viele Autoren, Filmemacher und Hobbyforscher hat dieses Gewaltverbrechen fasziniert. Es sind beinahe so viele Thesen über Täter und Motiv aufgestellt worden, wie Bäume wachsen rund um das kleine Marterl, das man dort findet, wo einst der Einödhof stand, in dem der oder die Täter bestialisch zu Werke gegangen sind. Schauplatz ist ein Ort, der ganz früher das „hintere Kaifeck“genannt wurde. Etwa zwei Kilometer entfernt liegt der nächste größere Ort: Waidhofen im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen.
Was genau in dieser Nacht zum 1. April 1922 auf dem abgelegenen Hof passiert ist, weiß niemand. Die Kriminalpolizei rekonstruierte einen möglichen Tatablauf, aber auch dieser Hergang beruht in weiten Teilen auf vielen Vermutungen: Als die sechs Menschen auf dem Hof zu Bett gegangen sind, machen der oder die Täter ein Stück Vieh im Stall los, damit es Unruhe gibt. Daraufhin geht der Bauer Andreas Gruber, 63, in den Stall, um nachzuschauen. Unmittelbar an der Stalltür passt ihn sein Mörder ab: Er versetzt Gruber einen furchtbaren Hieb mit einer sogenannten Kreuzhaue, die dem Bauern beinahe den Schädel spaltet. Später gehen auch Grubers Frau Cäzilia, 72, und deren verwitwete Tochter Viktoria Gabriel, 35, nacheinander in den Stall, um nach der lärmenden Kuh zu schauen. Auch sie werden mit der Axt erschlagen. Das Blutbad geht unbarmherzig und grausam weiter: Nach und nach werden erst die kleine Tochter Cäzilia, 7, der Viktoria Gabriel und dann auch noch ihr gerade zweieinhalb Jahre alter Sohn Josef mit fürchterlichen Hieben in den Kopf ums Leben gebracht. Das Kleinkind liegt schlafend in seinem Bettchen, als der eiskalte Mörder zuschlägt. Der Blutrausch fordert schließlich das letzte Opfer: Es ist die 44 Jahre alte Dienstmagd Maria Baumgartner. Sie hat wenige Stunden zuvor erst ihren Dienst auf dem Hof angetreten.
Erst vier Tage später werden die Toten gefunden. Ein Monteur kommt auf den Hof, um einen Motor zu reparieren. Er trifft niemanden an, verrichtet seine Arbeit und bittet dann im nächsten Dorf, man solle dem alten Gruber sagen, dass alles wieder in Ordnung sei. Ein Mann schickt einen Buben, der rasch das Gefühl hat, dass etwas passiert sein muss. Denn das Vieh brüllt und das Wohnhaus ist verschlossen. Mehrere Männer machen sich auf den Weg. Sie finden im Stall unter etwas Heu vier der sechs Leichen. Die fürchterlich zugerichteten Köpfe sind mit einem dicken Brett abgedeckt. So, als wollte oder konnte jemand nicht mehr sehen, was er angerichtet hat.
Es gibt Anhaltspunkte, dass der oder die Täter Tage zuvor bereits in den Dachboden des Gehöftes eingestiegen sind und dort Unterschlupf gesucht haben. Und nach der Nacht des Grauens muss sich ebenfalls noch jemand in der Einöde aufgehalten haben, denn die Stallgasse ist sauber zusammengekehrt. Hat jemand den Kühen die Reste des Futters hingeschoben? Hat der Täter einen Hang zur Landwirtschaft und kann er die Nutztiere deshalb nicht leiden sehen? Fragen über Fragen. Dürfte, sollte, könnte, müsste – in den Ermittlungsunterlagen, Berichten und überlieferten Erzählungen dominiert der Konjunktiv. Vieles ist vage.
Wie dieses: Der alte Gruber soll Tage vor der Mordserie Nachbarn erzählt haben, dass er im frischen Schnee Fußspuren entdeckt hat, die zwar zu seinem Hof führten, aber nicht wieder davon weg. Und, dass eingebrochen worden sei. Zugleich gilt aber als sicher, dass Gruber verschlossen und sehr zurückgezogen war und wie alle auf dem Hof den Kontakt mit anderen Menschen gemieden hat. Ist so einer wirklich derart gesprächig? Zumal er als furchtlos und sehr kräftig bekannt ist. Viele Zeitzeugen sind sicher, dass der Bauer in einen perfekt geplanten Hinterhalt geraten sein muss. Denn wenn der 63-Jährige eine Chance gegen seinen Mörder gehabt hätte, „dann hätt’ er ihn derschlagen“, sagt ein Nachbar zur Polizei.
Ungeklärt ist auch das Motiv für diese bestialische Tat. Von einem Goldschatz ist die Rede, den Gruber irgendwo vergraben haben soll. Oder von vielen tausend Mark Bargeld, die am Hof versteckt gewesen sind. Also ein Raubmord? Oder geht es um Rache, um Sühne, Selbstjustiz? Dem Hofbauern wird auch nachgesagt, dass er seine Stieftochter
Wurde der Bauer nachts in den Stall gelockt? Hat sich der Mörder schon Tage zuvor eingeschlichen?
missbraucht haben soll. Eindeutige Beweise gibt es aber nicht.
Die Kriminalpolizei ermittelt jahrelang. Es gibt viele Verhöre, Zeugenvernehmungen und auch Verhaftungen. Am Ende aber nie ein gesichertes Ergebnis. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg werden immer wieder Versuche gestartet, eines der spektakulärsten Verbrechen Deutschlands vielleicht doch noch zu lösen. Vergeblich.
Der „Mythos Hinterkaifeck“ist groß. Jeder Jahrestag des Verbrechens und jede Veröffentlichung von noch so abenteuerlichen Theorien reichern ihn immer noch ein Stück mehr an. Nun sorgt das Bayerische Armeemuseum mit kräftiger Unterstützung der Kriminalpolizei Ingolstadt dafür, dass die Popularität nicht abnimmt: Die Kripo stellt Beweismittel und Ermittlungsakten für eine Sonderausstellung zur Verfügung, die ab heute im Bayerischen Polizeimuseum in Ingolstadt zu sehen sind. Sie schließt mit acht Theorien, wie es damals gewesen sein könnte ...
„Mythos Hinterkaifeck“Sonderausstellung im Bayerischen Polizeimuseum Ingolstadt. Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag, 9 bis 17.30 Uhr, Samstag und Sonntag, 10 bis 17.30 Uhr.