Mittelschwaebische Nachrichten
Was die Thannhauser Asylhelfer antreibt
Das Thema beherrscht noch immer die Debatten. Wie sieht es abseits der Theorie in den Helferkreisen aus?
Thannhausen Es ist schon geraume Zeit her, als Hans Kohler die hilflosen Menschen mit den prall gefüllten Plastiktüten in der Hand aus seinem Wohnzimmerfenster auf der Straße gegenüber sah. „Denen muss man helfen“, dachte er sich damals. Da ging es nicht um theoretische Diskussionen, wie mit den Flüchtlingen und ihrer wachsenden Zahl umzugehen sei, sondern darum, anzupacken. Behördengänge vorbereiten, Übersetzer organisieren und sich den täglichen Sorgen und Nöten der Menschen anzunehmen. Die Menschen nahmen Kohlers Hilfe dankbar an. Ein Vollzeitjob für den engagierten Ruheständler, der ihn so bald nicht mehr losließ und teilweise bis an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit und darüber hinaus brachte. Schnell fanden sich auch Mitstreiter, ein Helferkreis bildete sich.
Ein gutes Jahr ist vergangen, seitdem die Ankunft vereinzelter Flüchtlinge zur Flüchtlingskrise mutierte. Von Anfang an war jedoch klar: Grundvoraussetzung für eine gelingende Integration der Men- schen in diesem Land ist die Beherrschung der deutschen Sprache. Karl Landherr, Isabell Streicher und Hans Dieter Hörtrich hatten daher ein lebensnahes und praxisorientiertes Arbeitsheft herausgegeben, mit dem die Neuangekommenen sich im Alltag zurechtfinden konnten. Das sogenannte Thannhauser Modell fand reißenden Absatz unter ehrenamtlichen Helfern in der ganzen Republik. Inzwischen wird es vom Auer Verlag vertrieben.
Während sich die Aufregung im Land allmählich in zweistelligen Wahlergebnissen der AfD manifestiert und sich die politische Diskussion darum dreht, ob Angela Merkel im vergangenen Sommer einen Fehler gemacht hat, arbeiten die Thannhauser Helfer im Stillen weiter. Nach wie vor ist ihr Einsatz unersetzlich.
47 Asylbewerber leben nach Auskunft Kohlers derzeit in Thannhausen. Syrer, Afghanen, Jemeniten, Pakistaner, Nigerianer und Eritreer. Die meisten von ihnen sind inzwischen anerkannt. Nur die albanischen Familien seien „zurückgeführt“worden. Kohler rechnet damit, dass es vielen Afghanen ähnlich wird, nachdem dort manche Gegenden von offizieller Seite als vergleichsweise stabil deklariert wurden. Vorrangig geht es den Helfern darum, den anerkannten Flüchtlingen zu einer Wohnung zu verhelfen. Kein leichtes Unterfangen. Die Bereitschaft in der Bevölkerung, Flüchtlingen eine Wohnung anzubieten, ist äußerst gering. Obwohl die Miete, wie bei Hartz IVEmpfängern auch, vom Staat und den Kommunen bezahlt wird. Deshalb leben die meisten anerkannten Flüchtlinge als sogenannte Fehlbeleger weiter in den Flüchtlingsunterkünften.
Viele von ihnen besuchen inzwischen die Deutschkurse am Beruflichen Fortbildungszentrum Krumbach. Bezahlt wird das vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Die Kurse sind verpflichtend, wer schwänzt, muss mit Kürzungen beim Geld rechnen. Für die Kurse der Thannhauser Helfer bedeutet das eine gewisse Entlastung, erfordert gleichzeitig aber mehr Flexibilität. „Man kann eigentlich keine Unterrichtssequenz mehr planen, weil nicht klar ist, wie viele Leute kommen. Von denen, die kommen, hat jeder ein anderes Niveau“, sagt Landherr. Manchmal kann es passieren, dass Landherr mit seinen Helfern auch ganz allein bleibt. „Dann trinken wir halt einen Kaffee, das ist auch schön.“Vieles sehen die Helfer inzwischen gelassener. „Man macht eine Schule der Menschlichkeit durch“, formuliert es Hörtrich. Die Gefahr, dass man sich einwickeln lässt, manchmal auch ausgenutzt wird, sei groß. Zu viel Herzblut wollen sie deshalb nicht mehr in die Hilfe stecken. „Der Enthusiasmus hat schon nachgelassen“, sagt auch Kohler, der jedoch nach wie vor überzeugt ist von der Bedeutung der ehrenamtlichen Helfer: „Diese Menschen kommen hierher, wollen in Frieden leben und hier Fuß fassen. Dabei wollen wir helfen.“Nur will er künftig ihre Eigeninitiative stärken: „Wenn die was wollen, sollen sie kommen.“Das sieht auch Herbert Kramer so. „Wenn die Resonanz da ist, dann macht’s auch wieder Spaß, aber wenn wir den Leuten nachlaufen mussten, hat’s mir schon gestunken.“
Hauptaufgabe der Helfer sei derzeit „Nischen suchen“, wie Landergehen herr erklärt. Eine haben sie bereits gefunden. Viele Flüchtlinge sind weder des Schreibens noch des Lesens mächtig. Daher bieten die Thannhauser Helfer jetzt einen Alphabetisierungskurs an. Den ersten Erfolg können sie bereits vorweisen. Die Mutter einer siebenköpfigen syrischen Familie, ließ sich nie im Deutschkurs blicken, bis klar wurde: die Frau kann weder Lesen noch Schreiben. Mit einem speziell für Analphabeten entwickelten Heft, konnte sie schnell die lateinische Schrift lernen. Ihre Kinder besuchen bereits deutsche Schulen und können schon sehr gut deutsch sprechen. Jetzt blüht die Mutter richtig auf und die ganze Familie lernt gemeinsam. Das freut mich sehr“, sagt Landherr. Von der Familie lernten aber auch die Helfer etwas: Es reicht nicht, zweimal in der Woche einen Deutschkurs zu besuchen. Das Beispiel der Kinder in der Schule belegt: nur das Sprachbad in deutschem Umfeld bringt schnelle Erfolge.
Was die Helfer nach wie vor antreibt, bringt Landherr treffend auf den Punkt: „Wenn man jemanden kennt, dann schätzt man ihn auch.“