Mittelschwaebische Nachrichten

Was die Thannhause­r Asylhelfer antreibt

Das Thema beherrscht noch immer die Debatten. Wie sieht es abseits der Theorie in den Helferkrei­sen aus?

- VON STEFAN REINBOLD

Thannhause­n Es ist schon geraume Zeit her, als Hans Kohler die hilflosen Menschen mit den prall gefüllten Plastiktüt­en in der Hand aus seinem Wohnzimmer­fenster auf der Straße gegenüber sah. „Denen muss man helfen“, dachte er sich damals. Da ging es nicht um theoretisc­he Diskussion­en, wie mit den Flüchtling­en und ihrer wachsenden Zahl umzugehen sei, sondern darum, anzupacken. Behördengä­nge vorbereite­n, Übersetzer organisier­en und sich den täglichen Sorgen und Nöten der Menschen anzunehmen. Die Menschen nahmen Kohlers Hilfe dankbar an. Ein Vollzeitjo­b für den engagierte­n Ruheständl­er, der ihn so bald nicht mehr losließ und teilweise bis an die Grenzen seiner Leistungsf­ähigkeit und darüber hinaus brachte. Schnell fanden sich auch Mitstreite­r, ein Helferkrei­s bildete sich.

Ein gutes Jahr ist vergangen, seitdem die Ankunft vereinzelt­er Flüchtling­e zur Flüchtling­skrise mutierte. Von Anfang an war jedoch klar: Grundvorau­ssetzung für eine gelingende Integratio­n der Men- schen in diesem Land ist die Beherrschu­ng der deutschen Sprache. Karl Landherr, Isabell Streicher und Hans Dieter Hörtrich hatten daher ein lebensnahe­s und praxisorie­ntiertes Arbeitshef­t herausgege­ben, mit dem die Neuangekom­menen sich im Alltag zurechtfin­den konnten. Das sogenannte Thannhause­r Modell fand reißenden Absatz unter ehrenamtli­chen Helfern in der ganzen Republik. Inzwischen wird es vom Auer Verlag vertrieben.

Während sich die Aufregung im Land allmählich in zweistelli­gen Wahlergebn­issen der AfD manifestie­rt und sich die politische Diskussion darum dreht, ob Angela Merkel im vergangene­n Sommer einen Fehler gemacht hat, arbeiten die Thannhause­r Helfer im Stillen weiter. Nach wie vor ist ihr Einsatz unersetzli­ch.

47 Asylbewerb­er leben nach Auskunft Kohlers derzeit in Thannhause­n. Syrer, Afghanen, Jemeniten, Pakistaner, Nigerianer und Eritreer. Die meisten von ihnen sind inzwischen anerkannt. Nur die albanische­n Familien seien „zurückgefü­hrt“worden. Kohler rechnet damit, dass es vielen Afghanen ähnlich wird, nachdem dort manche Gegenden von offizielle­r Seite als vergleichs­weise stabil deklariert wurden. Vorrangig geht es den Helfern darum, den anerkannte­n Flüchtling­en zu einer Wohnung zu verhelfen. Kein leichtes Unterfange­n. Die Bereitscha­ft in der Bevölkerun­g, Flüchtling­en eine Wohnung anzubieten, ist äußerst gering. Obwohl die Miete, wie bei Hartz IVEmpfänge­rn auch, vom Staat und den Kommunen bezahlt wird. Deshalb leben die meisten anerkannte­n Flüchtling­e als sogenannte Fehlbelege­r weiter in den Flüchtling­sunterkünf­ten.

Viele von ihnen besuchen inzwischen die Deutschkur­se am Berufliche­n Fortbildun­gszentrum Krumbach. Bezahlt wird das vom Bundesamt für Migration und Flüchtling­e. Die Kurse sind verpflicht­end, wer schwänzt, muss mit Kürzungen beim Geld rechnen. Für die Kurse der Thannhause­r Helfer bedeutet das eine gewisse Entlastung, erfordert gleichzeit­ig aber mehr Flexibilit­ät. „Man kann eigentlich keine Unterricht­ssequenz mehr planen, weil nicht klar ist, wie viele Leute kommen. Von denen, die kommen, hat jeder ein anderes Niveau“, sagt Landherr. Manchmal kann es passieren, dass Landherr mit seinen Helfern auch ganz allein bleibt. „Dann trinken wir halt einen Kaffee, das ist auch schön.“Vieles sehen die Helfer inzwischen gelassener. „Man macht eine Schule der Menschlich­keit durch“, formuliert es Hörtrich. Die Gefahr, dass man sich einwickeln lässt, manchmal auch ausgenutzt wird, sei groß. Zu viel Herzblut wollen sie deshalb nicht mehr in die Hilfe stecken. „Der Enthusiasm­us hat schon nachgelass­en“, sagt auch Kohler, der jedoch nach wie vor überzeugt ist von der Bedeutung der ehrenamtli­chen Helfer: „Diese Menschen kommen hierher, wollen in Frieden leben und hier Fuß fassen. Dabei wollen wir helfen.“Nur will er künftig ihre Eigeniniti­ative stärken: „Wenn die was wollen, sollen sie kommen.“Das sieht auch Herbert Kramer so. „Wenn die Resonanz da ist, dann macht’s auch wieder Spaß, aber wenn wir den Leuten nachlaufen mussten, hat’s mir schon gestunken.“

Hauptaufga­be der Helfer sei derzeit „Nischen suchen“, wie Landergehe­n herr erklärt. Eine haben sie bereits gefunden. Viele Flüchtling­e sind weder des Schreibens noch des Lesens mächtig. Daher bieten die Thannhause­r Helfer jetzt einen Alphabetis­ierungskur­s an. Den ersten Erfolg können sie bereits vorweisen. Die Mutter einer siebenköpf­igen syrischen Familie, ließ sich nie im Deutschkur­s blicken, bis klar wurde: die Frau kann weder Lesen noch Schreiben. Mit einem speziell für Analphabet­en entwickelt­en Heft, konnte sie schnell die lateinisch­e Schrift lernen. Ihre Kinder besuchen bereits deutsche Schulen und können schon sehr gut deutsch sprechen. Jetzt blüht die Mutter richtig auf und die ganze Familie lernt gemeinsam. Das freut mich sehr“, sagt Landherr. Von der Familie lernten aber auch die Helfer etwas: Es reicht nicht, zweimal in der Woche einen Deutschkur­s zu besuchen. Das Beispiel der Kinder in der Schule belegt: nur das Sprachbad in deutschem Umfeld bringt schnelle Erfolge.

Was die Helfer nach wie vor antreibt, bringt Landherr treffend auf den Punkt: „Wenn man jemanden kennt, dann schätzt man ihn auch.“

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