Mittelschwaebische Nachrichten
Die weiße Kirche
St. Moritz im Zentrum von Augsburg übt seit der Neugestaltung eine ungeheuere Anziehungskraft aus
Augsburg Diese Kirche sucht ihresgleichen: fast leer, gleißend weiß, voller Licht und mit einer ungeheueren Anziehung. Sie geht von der Figur ganz vorne im Chorscheitel aus. Ein Christus mit offenen Armen ist es, der den Menschen entgegenstürmt. „Einige Besucher unserer Moritzkirche sind richtig erschüttert und es fließen Tränen“, erzählt Pfarrer Helmut Haug über die starken Reaktionen der Menschen auf die Begegnung mit dem so dynamischen Auferstandenen.
Seit St. Moritz in Augsburg am 21. April 2013 in neuer Gestalt wiedereröffnet wurde, ist sie zu legendärem Ruf gelangt. Architekturzeit- berichten über sie, auf Fotos erscheint sie als Ikone zeitgemäßen Glaubens, bei Stadtführungen ist sie eine feste Station. Die Moritzkirche muss man gesehen haben. Am besten zu verschiedenen Tageszeiten, denn das Licht wandert im Raum und modelliert ihn aus. John Pawson aus London, ihr Gestalter, hat den Sakralraum auf das Wesentliche zurückgeführt. Er bringt die romanischen Rundbögen ebenso zur Geltung wie den gotischen FünfAchtel-Chor und die barocken, geschweiften, liegenden Fenster.
Pawson versah die Kirche zudem mit einem überirdischen Lichtzauber, indem er vorne das Glas gegen milchig transparente Porphyrscheiben austauschte. So tritt die barocke Christusskulptur Georg Petels aus einem geheimnisvollen weißen Schein hervor. Den gesamten Raum beleuchtet Pawson rein indirekt, so lässt er allein ihre Bauteile sprechen und besonders eindrucksvoll die kreisrunden Kuppeln, die zu schweben scheinen und einen himmlischen Schimmer verbreiten.
Pfarrer Haug nimmt in seinen Predigten immer wieder Bezug auf die Lichtführung und den Salvator. Zumal auch sein Altar jetzt in der Mitte der Kirche steht. „Es bildet sich in diesem Raum leicht eine Gemeinschaft“, spürt die Pastoralreferentin Brigitte Schwarz. Wegen der sorgfältig gefeierten Liturgien strömen die Leute aus allen Himmelsrichtungen in St. Moritz zusammen – Alte und Junge aus unterschiedlichsten Milieus. Jährlich vierzig bis fünfzig Taufen werden hier gespendet, auch an Erwachsene. Berührungsängste schwinden rasch. „Die Leute singen gern mit, es entsteht ein spiritueller Raumklang“, erklärt die Pastoralreferentin, die auch die angeschlossene Cityseelsorge leitet.
Ihr Zentrum ist der Moritzpunkt – ein Begegnungscafé nebenan. Inmitten des städtischen Geschäftstruschriften bels lädt die gastfreundliche Kirche Menschen in allen Lebenslagen ein. Sei es, um ein bisschen innezuhalten oder um Beschwerliches abzuladen. Ein „Offenes Ohr“bieten Seelsorger jeden Nachmittag hier an.
Hörgenuss bietet derweil die Kirchenmusik in St. Moritz mit einer Stilbreite vom gregorianischen Choral bis zum Neuen Geistlichen Lied. Organist Stefan Saule gewinnt jeden ersten Sonntag im Monat Kollegen für Orgelmesse und -matinee, damit der ganze Klangreichtum der beiden Orgeln in der Moritzkirche ertönt. Während das neue Instrument, eingepasst im Chor, auf spätromantischen und französischen Kathedralklang ausgerichtet ist, entfaltet die Hauptorgel in Bachs Fugen ebenso wie in zeitgenössischen Kompositionen mächtige Tonfülle.
Im Zuge der ersten Stadterweiterung nach den Ungarneinfällen hatte Bischof Brun, der Bruder von Kaiser Heinrich II., St. Moritz im Jahre 1019 gestiftet. Die Kirche liegt prominent an der Via Claudia – in der Stadt auch die Prozessionsstraße vom bischöflichen Dom hinauf zu den Gräbern der Bistumspatrone. Ihre romanische Urgestalt hat sich trotz aller Umbauten, darunter die prächtige barocke Umformung von 1714 durch Johann Jakob Herkomer, erhalten. Sie ging verloren, als im II. Weltkrieg die Moritzkirche in der Augsburger Bombennacht vom 25./26. Februar 1944 bis auf die Umfassungsmauern ausbrannte.
Der avantgardistische Kirchenplaner Dominikus Böhm baute sie zwischen 1946 und 1949 wieder auf. Seine Ideen setzte dann John Pawson in der zweieinhalb Jahre dauernden Neugestaltung fort. Nur wenige, dafür starke Akzente setzt die jetzige künstlerische Ausstattung. Neben dem Christus Salvator sind es weitere Petel-Skulpturen des heiligen Sebastian und Christophorus sowie die nussbraunen Apostelfiguren des Rokokobildhauers Ehrgott Bernhard Bendel. Diese zeichnen sich durch intensives Pathos ihrer Gesten und Haltung aus. Zur Fastenzeit hat auch die moderne Kunst bei sogenannten Interventionen in der Kirche ihren Raum.
St. Moritz war immer die Bürgerkirche, organisiert als Kollegiatstift, dessen Chorherrn aus den Patrizierfamilien kamen. Deren Verbundenheit wird sichtbar in Gedenkplatten von außerordentlicher Schönheit. Sie stifteten außerdem kostbares Altargerät und Messornate. Besondere Vorrechte genießen die in der Nachbarschaft residierenden Fugger. Als Patronatsherren dürfen sie bis heute den Pfarrer präsentieren und exklusiv steht der Adelsfamilie eine Loge auf der Chorempore zu.
Markant steht der Kirchturm von St. Moritz in der Stadtsilhouette. Er gehört zu Augsburgs ältesten Baudenkmälern, aufgestockt in Gotik und Renaissance – und nie zerstört.