Mittelschwaebische Nachrichten

Die etwas andere Wiesn

Das größte Volksfest der Welt ist so gut abgesicher­t wie nie zuvor. Und selten ist das Wetter zum Auftakt so schlecht. Es gibt in der ersten Woche sogar noch freie Tische in den Zelten. Was die Besucher freut – und nicht mal den Wirte-Chef ärgert

- VON FELICITAS MACKETANZ

München Wie eine gelbe Wand stehen sie da: Die einen verschränk­en die Arme vor der Brust, die anderen reden mit Wiesn-Gästen und kontrollie­ren stichprobe­nartig Taschen und Rucksäcke. „Griaßt’s euch“, rufen manche auf Urbairisch den Gästen zu, andere Kollegen in gelber Weste bringen nur ein schüchtern­es „Guten Morgen“in gebrochene­m Deutsch hervor. Die Ordner auf dem Oktoberfes­t schwitzen an diesem Sonntag bei 20 Grad in der Sonne und haben viel zu tun: Mit jeder U-Bahn kommen jetzt mehrere hundert Menschen gleichzeit­ig an den Eingängen an. Das war nicht immer so. Der Festauftak­t war trist und verregnet. „Greißlich“, wie Wiesn-Chef und Zweiter Bürgermeis­ter Josef Schmid (CSU) sagt. Die Besucher blieben in der ersten Woche weg.

Warum eigentlich? Unsere Ursachenfo­rschung beginnt im berühmten Bräurosl-Zelt. Es ist Sonntag, 14.15 Uhr. Beste Wiesn-Zeit, bei bestem Wetter. Das Zelt ist voll, aber nicht überfüllt; die Stimmung gut, ausgelasse­n – und dennoch entspannt. Vor den Eingängen warten Ordner mit Knopf im Ohr und Walkie-Talkie. Ein großer Mann mit hell gefärbtem Haar, gebräunter Haut und blauer Weste lächelt die Gäste an. Toni bedient seit zwölf Jahren auf dem Oktoberfes­t. Toni heißt eigentlich Tamer Bugan und stammt aus Augsburg. „Toni ist mein Wiesn-Name“, sagt der 43-Jährige. Dann wird er ernst: „Nein, diese Wiesn ist nicht gut“, sagt er. Dieser Samstag sei eine Katastroph­e gewesen, das habe er noch nie erlebt. „Die Besucher, die vor dem Zelt gewartet haben, waren innerhalb von 25 Minuten im Zelt“, er. „Und danach gab es immer noch leere Tische.“Der Abend dagegen sei gut gelaufen. Dennoch meint der Kellner, der außerhalb der Oktoberfes­t-Zeit im Restaurant „La Commedia“in Friedberg arbeitet: „Das holst du nicht mehr nach.“Normalerwe­ise wird die Bräurosl innerhalb von einer Stunde zugemacht – wegen Überfüllun­g, erzählt Toni. Aber in diesem Jahr sei eben alles anders – ruhig, sehr, sehr ruhig. Und ja, es sei tatsächlic­h weniger los. Woran das liegt? „Bei der Eröffnung hatten wir katastroph­ales Wetter.“Ab und zu Regen und Kälte während der Wiesn sei normal. „Aber heuer ist es extrem.“Das Ergebnis: Der Auftakt-Kassenstur­z sei „mau“gewesen.

Und dann sind da noch die anderen Sachen: die Terror-Diskussion­en, die Besucher-Kontrollen, das Rucksackve­rbot, der Zaun an der Theresienh­öhe, die Kameras in den Zelten und auf dem Gelände und die vielen Ordner in gelben und orangefarb­enen Westen. Kommen daher die schlechten Zahlen? Haben die Besucher Angst? „Man merkt schon eine gewisse Angstmache­rei“, sagt Toni. Eine Kollegin habe sogar ihren Wiesn-Job abgesagt. Sie verzichtet auf mehrere hundert Euro am Tag – aus Terrorangs­t. Das sei absolut nicht begründet, meint Toni. „Ich fühle mich sicher. Ich die Menschen nicht, dir kann überall etwas passieren.“

Seine Meinung teilen einige Besucher. Und auch Wiesn-Chef Schmid. Das Sicherheit­skonzept greife – nach ersten Anlaufschw­ierigkeite­n bei den Kontrollen, sagt er. Es gab laut Schmid weder Rückstaus, noch habe das Sicherheit­ssystem versagt. „Und ich habe noch keine Menschen getroffen, die ein Problem mit dem Zaun haben. Die wenigsten nehmen ihn überhaupt wahr“, sagt er. Bisher waren weniger als drei Millionen Gäste da. 2012, als die letzte „Kleine Wiesn“mit dem Zentralen Landwirtsc­haftsfest stattfand, waren es einschließ­lich des zweiten Oktoberfes­t-Wochenende­s 3,6 Millionen. Entspreche­nd ist auch der Bierkonsum im Vergleich zum Vorjahr um etwa 15 Prozent gesunken.

350 Polizisten und 450 Sicherheit­skräfte sind in diesen Tagen auf der Theresienw­iese im Einsatz. 250 weitere Beamte sichern „das Umfeld“wie Wiesn-nahe U-Bahnhöfe ab. Auch die Polizei spricht bisher von einer ausgesproc­hen „entspannte­n Wiesn“. Ihre Einsätze sind um knapp sieben Prozent – von 1068 im Vorjahr auf 991 – gesunken. Trotzdem ist eine Zahl gestiegen: die der Sexualdeli­kte. 16 Mal wurden sie bisher angezeigt, 2015 waren es zur Halbzeit acht Anzeigen wegen sexusagt eller Nötigung, Vergewalti­gung oder Grapschens. Aber: Zu einer Vergewalti­gung ist es laut Polizei noch nicht gekommen. Polizeiviz­epräsident Werner Feiler sagt, von den 16 Sexualdeli­kten wurden sechs von Asylbewerb­ern begangen. Trotzdem betont der Münchner Polizeispr­echer Marcus da Gloria Martins: „Es gibt keinerlei Hinweise auf Taten, wie man sie in Köln wahrnehmen konnte.“Die Flüchtling­e seien Einzeltäte­r und nicht in Gruppen unterwegs gewesen.

Sonntagnac­hmittag, weiter auf der Wirtsbuden­straße: Wenige Meter von der Bräurosl – neben dem Käfer-Zelt – wartet Beate Schuster aus Kirchberg im Wald (Landkreis Regen) auf ihre Freunde von den Sportschüt­zen. Die Gruppe ist nur an diesem Sonntag auf dem Oktoberfes­t, sagt die 50-Jährige. Sie komme aber schon seit sechs Jahren jedes Jahr hierher. „Aber heuer ist alles anders“, sagt Schuster. Das Gelände sei leerer und die Stimmung sei komplett verändert. Für Schuster ist klar: „Das liegt an der Terrorangs­t. Von unseren Sportschüt­zen haben zwölf Leute abgesagt, sechs von ihnen, weil sie Angst vor Anschlägen haben“, sagt sie. Auch Schuster fühle sich nicht wohl, gibt sie zu. „Man beobachtet die Menschen viel mehr, man schaut viel genauer hin.“Am Wetter kann die geverstehe drückte Stimmung zumindest an diesem sonnigen Nachmittag nicht liegen, sagt Beate Schuster.

Einen Katzenspru­ng entfernt, im Käfer-Zelt, gibt’s die typische Oktoberfes­t-Atmosphäre: Prosit-Gesänge, laute Musik, Menschen, die auf den Bänken stehen und schunkeln. Hier scheint sich niemand Gedanken über mögliche Anschläge zu machen. „Jetzt ist es perfekt“, sagt der Chef Michael Käfer. Er sieht den schlechten Auftakt nicht so negativ. „Wir hatten anfangs weniger Besucher als 2015. Seit Dienstag ist es aber ungefähr gleich.“Die Sicherheit­skräfte erledigen laut Käfer einen guten Job. Aber, natürlich, würden sich die Menschen viele Gedanken machen. „Die wenigen Besucher am Anfang liegen am Wetter, ein bisschen aber auch an der Sicherheit­sfrage“, meint er.

Dass weniger Besucher da sind, belegen auch die Zahlen der Hoteliers. „Wir werden nicht die Umsätze des Vorjahres erreichen“, sagt der Chef der Münchner Kreisstell­e des Hotel- und Gaststätte­nverbandes, Conrad Mayer. Denn: Die Menschen seien weltweit zurückhalt­ender geworden, was Reisen in Metropolen angeht, sagt Mayer. Er rechnet für dieses Jahr mit einer durchschni­ttlichen Wiesn.

Inzwischen ist es kurz nach drei. Der Sprecher der Wiesn-Wirte, Toni Roiderer, sitzt in seinem Büro und lächelt. Er ist zufrieden mit dem Geschäft. Obwohl er sagt: „Seit 27 Jahren bin ich auf der Wiesn. Ich erinnere mich nicht an vier aufeinande­rfolgende, so verregnete Tage.“Seine 70 Servicekrä­fte im HackerBier­garten hätten in den ersten vier Tagen keine einzige Maß Bier verkauft. „Aber das Wetter war gut vom Petrus geplant“, sagt Roiderer schmunzeln­d – und meint die wunderbare Herbstsonn­e an diesem Sonntag. Seine Erklärung: So konnte sich das Sicherheit­skonzept einspielen. Und wenn ab Donnerstag so viele Menschen kommen wie sonst auch, dann sei alles in Ordnung, ist sich der Wirte-Sprecher sicher. Viel schlimmer wäre es, wenn es an den letzten vier Festtagen regnen würde. „Da steppt nämlich der Bär.“Das Oktoberfes­t sei bisher entspannte­r als sonst, sagt auch Roiderer, nicht so hektisch.

Einige Schaustell­er dürften das anders sehen. Am Donnerstag hatten manche sogar geplant, aus Protest ihre Lichter auszuknips­en. Sie waren frustriert. Ihre Gleichung: Schlechtes Wetter + Sicherheit­sfragen bei der Bevölkerun­g = kein Umsatz. Protestier­t haben sie nicht, aber mit der Stadt geredet. Inzwischen ist das Sicherheit­skonzept verbessert.

Die Fahrgeschä­fte laufen. So wie die Zweier-Gondeln vom Breakdance No.1. Chefin Tanja KaiserGrün­wald ist trotzdem besorgt. „So eine schlechte Wiesn hatten wir noch nie“, sagt sie und rechnet wegen der verregnete­n Tage mit bis zu 70 Prozent Einbußen.

Es wird dunkel. Polizisten patrouilli­eren über das Gelände. Betrunkene liegen auf dem „Kotzhügel“. In den Zelten wird gesungen und gegrölt. Alles ist wie immer. Nur ein bisschen anders.

„Nein, diese Wiesn ist nicht gut.“

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Fotos: imago, Andreas Gebert, dpa Ein Fest, zwei Tage: Während vor allem am verregnete­n Auftakt-Wochenende und in den ersten Wiesn-Tagen viel Platz war auf der Theresienw­iese (linkes Foto), war es an diesem Wochenende fast wie immer – nämlich voll.
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Kellner Tamer Bugan, genannt Toni

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