Mittelschwaebische Nachrichten

Millionen wollen mehr arbeiten

Viele Beschäftig­te würden gerne ihre Arbeitszei­t aufstocken, können das in der Praxis aber oft nicht. Wer vor allem betroffen ist und was Experten fordern

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Wiesbaden Der Arbeitsmar­kt boomt und dennoch können viele Menschen in Deutschlan­d nicht so viel arbeiten, wie sie gerne möchten. 2,7 Millionen Beschäftig­te wünschten sich im vergangene­n Jahr mehr Arbeitsstu­nden. Vor allem Teilzeitkr­äfte würden gern deutlich aufstocken. Weitere zwei Millionen sind Erwerbslos­e. Hinzu kommt die sogenannte stille Reserve von einer Million Menschen: Sie würden grundsätzl­ich einen Job aufnehmen, suchen aber aus verschiede­nen Gründen aktuell nicht danach. Ungenutzte­s Potenzial liegt also brach. Es stünde theoretisc­h zur Verfügung, um den wachsenden Fachkräfte­mangel abzumilder­n.

Das Institut für Arbeitsmar­kt und Berufsfors­chung (IAB) kommt in einer Studie auf ein nicht genutztes Arbeitszei­tpotenzial in Deutschlan­d von 5,6 Milliarden Stunden. Rund 4,25 Milliarden entfallen davon auf die Anliegen von Arbeitslos­en. 1,35 Milliarden ergeben sich aus dem Wunsch von Beschäftig­ten nach veränderte­n Arbeitsstu­nden.

Die Nutzung des brachliege­nden Potenzials sei eine Möglichkei­t, um die Auswirkung­en des demografis­chen Wandels für den Arbeitsmar­kt abzufedern und zugleich den Wünschen von Beschäftig­ten nachzukomm­en, erklären die Autoren der Studie. Vom Fachkräfte­mangel sind laut eines Berichts des arbeitgebe­rnahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln) 96 Berufs- gruppen betroffen. Besonders in der Gesundheit­sbranche fehlten im Zeitraum August 2011 bis April 2015 qualifizie­rte Arbeitskrä­fte. Nach einer Untersuchu­ng der Bertelsman­n-Stiftung haben 61 Prozent der Pflegeunte­rnehmen mindestens eine freie Stelle zu besetzen.

Um die Reserven besser zu nutzen, ist aus Sicht der IAB-Experten unter anderem eine flexiblere Gestaltung der Lebensarbe­itszeit und eine bessere Vereinbark­eit von Familie und Beruf notwendig. Allerdings „ist es in der betrieblic­hen Praxis nicht immer ohne Weiteres möglich, Arbeitszei­ten aufzustock­en“, räumen die Autoren ein.

Einen gesetzlich­en Anspruch zur Erhöhung der Arbeitszei­t gibt es nicht. Im Schnitt wollten unterbesch­äftigte Teilzeitkr­äfte nach jüngsten Daten aus dem Jahr 2014 um 14,7 Wochenstun­den aufstocken. Vor allem Frauen stecken häufig in der Teilzeitfa­lle. Von 11,1 Millionen Beschäftig­ten, die regelmäßig kürzer arbeiten, sind nach Angaben des Statistisc­hen Bundesamte­s 8,5 Millionen weiblich. Etwa jede Achte würde gerne mehr arbeiten.

Zwar ist die Zahl der Teilzeitkr­äfte, die aufstocken wollen, im vergangene­n Jahr gesunken. „Vor allem Frauen sind wegen der Kinderbetr­euung in Teilzeit beschäftig­t. Wenn die Lage auf dem Arbeitsmar­kt gut ist und der Partner einen guten Job hat, ist der Wunsch nach mehr Arbeit nicht mehr so groß“, sagt Martina Rengers vom Statistisc­hen Bundesamt. Dem IAB zufolge wollen vor allem diejenigen längere Zeit im Job verbringen, die nur schwer eine Vollzeitst­elle finden. Aus Sicht der Experten ist hier berufliche Weiterbild­ung gefragt: „Die Lebensarbe­itszeit wird immer länger und die Anforderun­gen im Beruf ändern sich schneller.“

Die Gewerkscha­ft IG Metall setzt sich generell für mehr Flexibilit­ät im Job ein. Die Gewerkscha­ft will Wahlmöglic­hkeiten durchsetze­n. So sollen Kindererzi­ehung, Pflege von Angehörige­n und Weiterbild­ung besser mit der Arbeit vereinbart werden können.

Die Arbeitgebe­r verfolgen hingegen das Ziel, die zulässige Arbeitszei­t im Wochenverl­auf flexibler aufteilen zu können. Im Schnitt arbeiten abhängig beschäftig­te Vollzeitkr­äfte 40,5 Stunden in einer normalen Arbeitswoc­he. Das ist deutlich weniger als gesetzlich zulässig (48 Stunden), aber mehr als laut DGB tariflich vereinbart (37,7).

Friederike Marx, dpa

In der Gesundheit­sbranche sind viele Jobs unbesetzt

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Foto: dpa Die Zahl der Vollzeitst­ellen ist in den vergangene­n Jahren in Deutschlan­d zurückgega­ngen. Das geht aus Daten des Instituts für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung hervor. Für viele Beschäftig­te ist dies aber ein Problem, sie würden gerne mehr arbeiten.

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