Mittelschwaebische Nachrichten

Mahner gegen das Vergessen

Der Holocaust-Überlebend­e Max Mannheimer ist tot. Niemals hat er Rache oder Vergeltung das Wort geredet, sondern immer ein Zeichen der Versöhnung gesetzt

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München Das Erinnern war sein Lebensziel. Max Mannheimer, Auschwitz-Überlebend­er und Vorsitzend­er der Lagergemei­nschaft Dachau, berichtete unermüdlic­h in Schulen, Universitä­ten und bei vielen Anlässen über das, was er unter den Nazis durchleben musste. „Max Mannheimer war ein Überlebend­er des Grauens, der die Menschen trotz aller bitteren Erfahrunge­n liebte“, sagt Christoph Heubner, Vizepräsid­ent des Internatio­nalen Auschwitz Komitees. Am Freitag ist Max Mannheimer im Alter von 96 Jahren in München gestorben.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) würdigte Max Mannheimer als Mahner gegen das Vergessen und großen Versöhner. Bundespräs­ident Joachim Gauck bezeichnet­e ihn als großartige­n Menschen und einen bedeutende­n Zeitzeugen: „Niemals hat er Rache oder Vergeltung das Wort geredet, sondern immer Zeichen der Versöhnung gesetzt.“Bayerns Ministerpr­äsident Horst Seehofer (CSU) sprach von einem schmerzlic­hen Verlust: „Er wird uns allen fehlen.“

Der aus Mähren stammende Max Mannheimer hatte sich stets als Zeitzeuge gesehen – nie als Ankläger. „Der ganze Zweck meiner Arbeit ist es, zu den nachfolgen­den Ge- nerationen zu sprechen und sie vor den Gefahren einer Diktatur zu warnen“, sagte Max Mannheimer zu seinem 90. Geburtstag. „Es leben viele – aber wenige können darüber reden ohne Hass“, sagte er in einem Film-Porträt namens „Der weiße Rabe“– so bezeichnet­e sich Max Mannheimer selbst.

Die jüdische Familie Mannheimer aus Neutitsche­in im heutigen Tschechien geriet trotz Flucht in die Hände der Hitler-Schergen. Sie wurde ins Konzentrat­ionslager Theresiens­tadt und von dort nach Auschwitz-Birkenau gebracht. Von acht Mitglieder­n der Familie starben sechs: Ein Bruder wurde schon 1942 verhaftet, auf der Rampe von Auschwitz-Birkenau sah Max Mannheimer 1943 zum letzten Mal seine Eltern, seine Schwester und seine Frau, die er wenige Monate zuvor geheiratet hatte. Die Angehörige­n wurden vergast. Mit zwei Brüdern wurde er zur Arbeit ausgewählt – einer von ihnen überlebte Auschwitz ebenfalls nicht: Ernst Mannheimer erkrankte an Durchfall und geriet in die sogenannte „Selek- tion“: Wer krank war, wurde ermordet. Nur Max Mannheimer und sein jüngerer Bruder Edgar überstehen den Holocaust.

Die Brüder kommen über Warschau in das KZ Dachau vor den Toren Münchens, werden 1945 in das Außenkomma­ndo Mühldorf verlegt und auf einem Evakuierun­gstranspor­t am 30. April 1945 von den Amerikaner­n befreit. „Als ich bei Tutzing befreit wurde, war ich eine halbe Leiche. Damals habe ich gesagt: Wenn ich 40 Jahre alt werde, bin ich zufrieden – und jetzt bin ich 90!“, sagte Max Mannheimer vor sechs Jahren.

Max Mannheimer verlässt Deutschlan­d – mit dem festen Vorsatz, nie wiederzuke­hren. Doch er verliebt sich ausgerechn­et in eine Deutsche: Elfriede Eiselt, Tochter einer sozialdemo­kratischen Familie. „Sie war eine Heldin“, sagt er – denn die Familie versteckte Juden, riskierte das eigene Leben. Ende 1946 war Max Mannheimer zurück in dem Land, „dessen Boden ich nie wieder betreten wollte“. Als seine Frau Mitte der 1960er Jahre an Krebs stirbt und er selbst glaubt, krank zu sein, schreibt er seine Erinnerung­en auf – für seine Tochter.

Lebenslang trug der Ex-Häftling am linken Unterarm die tätowierte Nummer 99728. „Opa, warum hast du so eine Nummer an der Hand“, fragten seine Enkelinnen. Es sei eine Telefonnum­mer, antwortete Max Mannheimer – erst später erfuhren die Enkel, was die Nummer bedeutet. Die jungen Menschen hätten ein überrasche­ndes Interesse an der Nazi-Zeit, berichtete Mannheimer von seinen zahlreiche­n Vorträgen in Schulen. „Die Urenkel möchten wissen, weshalb ihre Urgroßelte­rn so lange einem Massenmörd­er die Treue halten konnten.“Noch in den Wochen vor seinem 95. Geburtstag

Die Angehörige­n wurden vergast Er führte durch das frühere KZ

besuchte Max Mannheimer Schulklass­en.

Mitte der 1980er Jahre wurden seine Erinnerung­en in den Dachauer Heften veröffentl­icht, er begann mit Führungen durch das frühere KZ. Teils schaffte er das nur mit Medikament­en. Beim Malen versuchte er schon seit den 1950er Jahren, die Schrecken aufzuarbei­ten. Geholfen habe „das Malen, das Erzählen – und die Tabletten“, sagte er. Doch: „Vergessen kann man es nie – das ist unmöglich.“

Sabine Dobel und Michael Fox, dpa

 ?? Foto: imago ?? Beim Malen versuchte Max Mannheimer (hier in seinem Atelier) seit den 1950er Jahren die Schrecken des Konzentrat­ionslagers aufzuarbei­ten. Im Alter von 96 Jahren ist der Auschwitz-Überlebend­e jetzt in München gestorben.
Foto: imago Beim Malen versuchte Max Mannheimer (hier in seinem Atelier) seit den 1950er Jahren die Schrecken des Konzentrat­ionslagers aufzuarbei­ten. Im Alter von 96 Jahren ist der Auschwitz-Überlebend­e jetzt in München gestorben.

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