Mittelschwaebische Nachrichten
Große Kunst im kleinen Dorf
Der Bieselbacher Altar von Daniel Mauch war vor 500 Jahren seiner Zeit voraus. Er ist ein Kleinod der Schnitzkunst
Landkreis Augsburg-Horgau Sie ist die Mesnerin für ein unscheinbares kleines Gotteshaus im kleinen Dorf Bieselbach, einem Ortsteil der Gemeinde Horgau: Agnes Lüftner kümmert sich mit ihrem Mann Friedrich seit 1980 um die Kapelle Franz Xaver. Erbaut im Jahr 1747, birgt das Kirchlein aber eines der größten künstlerischen Kleinode im Landkreis Augsburg – einen Flügelalter des Ulmer Bildhauers Daniel Mauch (um 1477 – 1540).
In den vielen Jahren hat sich die 82-Jährige mit der Geschichte dieses Kunstwerks vertraut gemacht und früher auch schon Besucher geführt. „Die Kapelle ist möglicherweise ein Werk nach Plänen von Hans Adam Dossenberger, der im Jahr 1756 auch die Theklakirche in der Gemeinde Welden plante“, sagt Agnes Lüftner. Höchstens 45 Menschen finden darin Platz.
Der geschnitzte Altar gilt als das Hauptwerk Daniel Mauchs und als die erste gesicherte Arbeit dieses Künstlers. Er ist der einzige, im Landkreis Augsburg annähernd erhaltene Flügelaltar und gilt bei Experten weltweit als künstlerisch herausragendes Werk, das am Übergang vom Spätmittelalter zur Renaissance entstanden ist.
Die Herkunft und der Auftraggeber sind bis heute nicht eindeutig zu bestimmen. Das Kunstwerk wurde wohl um das Jahr 1510 von Mauch im Auftrag von Johann Rehlinger und seiner Frau Anna Dietenheimer für das im Jahr 1813 abgebrochene Schloss der Patrizierfamilie Rehlinger geschnitzt. Darauf lässt ein Wappen im Schrein des Mittelteils des Altars schließen. Seit etwa 1756 ist er in der Kapelle Franz Xaver aufgestellt. Dass er ursprünglich für ein größeres Gotteshaus gedacht war, zeigt der Umstand, dass das Kruzifix der Kreuzigungsgruppe über dem Mittelteil verkürzt werden musste, damit es in dem kleinen Gewölbe des Bieselbacher Kirchleins Platz fand. Diese Kreuzigungsgruppe gehörte wahrscheinlich ursprünglich nicht zum Altar und wurde im Jahr 1853 aufgebracht.
Geschnitzt wurde der Altar aus Lindenholz. Er ist bis auf die Gesichter, den Hintergrund und den Rahmen ungefasst. Im Sockel (Predella), auf dem der Flügelaltar steht, liegt eine Figur von Davids Vater Jesse, aus dem der Stammbaum Davids emporwuchs. Diese wurde aber 1756 zu einem Heiligen Franz Xaver umgearbeitet. Bis auf einen Hut wurden dessen Erkennungsmerkmale im Jahr 1954 wieder entfernt.
In den Knospen des Stammbaums Christi, die den geöffneten Schrein umranken, sitzen die jüdischen Könige und Propheten der Salomo-Linie und rahmen so die Figuren im Schrein. Hier sitze die Gruppe „Anna selbdritt“– möglicherweise die Namenspatronin der Stifterin Anna Dietenheimer und deren Tochter Anna: Marias Mutter Anna sitzt Maria und Jesus gegenüber und reicht Letzterem einen Granatapfel. Hinten stehen auf Annas Seite deren Ehemänner Joachim, Kleophas und Salomas. Auf Marias Seite steht Josef, auf einen Stock gestützt. Sie sind in biblische Gewänder gekleidet.
Die Reliefs der geöffneten Flügel sind fast vollplastisch ausgearbeitet. Auf der linken Seite sind Maria Kleophas und Alphaeus mit ihren Kindern Jakobus der Jüngere, Josef dem Gerechten, Simon und Juda. Hüte, Hauben und Kleider sind im reichen bürgerlichen Stil der Mode um 1500 gehalten. Rechts sind Maria Salome, Zebedaeus und ihre Kinder Johannes Evangelist und Jakobus der Ältere im höfischen Stil dargestellt. Die Außenseiten der Seitenflügel, die ursprünglich wohl unbemalt waren, sind seit 1835 mit einer Darstellung der Verkündigung bemalt.
Während Darstellungen der Heiligen Sippe seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ein beliebtes Thema waren, sind Details des Bieselbacher Altars für die damalige Zeit sehr progressiv: Mauch arbeitet als einer der ersten Bildschnitzer nördlich der Alpen Ornamente des Altars im italienischen Renaissancestil heraus, was für Flügelaltäre aus dieser Zeit als erstaunlich früh gilt: So finden sich im Baldachin des Schreins Putten mit Füllhörnern.
Daniel Mauch gilt als der letzte bedeutende Bildhauer aus den Ulmer Werkstätten. Diese Stadt war im Spätmittelalter das bedeutendste Zentrum der schwäbischen Schnitzkunst. Mit dem Beginn der Reformation in Ulm verschlechterte sich allerdings Mauchs Auftragslage erheblich. Den Künstler zog es in der Folgezeit nach Lüttich, wo er seinen Stil änderte und sich mehr an der klassischen Antike orientierte.
Mehrfach wurde der Bieselbacher Altar schon restauriert: 1954/55 entfernte man die Übermalung und legte die ursprüngliche hölzerne Oberfläche der Skulpturen vor blaugrauem Hintergrund wieder frei. Auch die originalen Farbtönungen der Lippen, Wangen und Augen wurden wiederhergestellt. Die letzte große Restaurierung und Säuberung war im Jahr 2009, als der Altar für eine Ausstellung des Ulmer Museums über Daniel Mauch ausgeliehen wurde. Doch nicht nur in diesem Jahr ging er auf Reisen, zum Beispiel auch am Ende des Zweiten Weltkriegs, damit er keiner Kriegsseite in die Hände falle, dann 1954 schon einmal nach Ulm. Und 1972 war der Altar bei den Olympischen Spielen in München zu sehen.
Agnes Lüftner und ihr 79-jähriger Mann haben früher viele Besucher geführt. „Heute haben wir einen gedruckten Kirchenführer.“Dennoch zählen sie viele Besucher. „Es kommen sogar viele Busse.“Die Mesnerin oder ihr Mann sperren im Sommer die Kirche täglich morgens auf und abends wieder zu. Um zu vermeiden, dass dem Altar Unbefugte zu nahe kommen, wurde eine moderne Alarmanlage mit Bewegungsmelder installiert. Eine Kette sorgt für Abstand. „Dennoch ist schon die Sirene losgegangen – einmal hat eine Fliege den Alarm ausgelöst, ein andermal hat ein Ehepaar mit dem Regenschirm herumgefuchtelt. Das war ein großer Schreck“, sagt Agnes Lüftner. Und dass der Altar mit 505 Jahren noch so gut aussieht, liegt für sie nicht zuletzt an einem Umstand: „Weil wir die Kirche immer lüften.“