Mittelschwaebische Nachrichten
Die Gitarre und das Meer
Freddy Quinn weckte mit seinen Schlagern im Wirtschaftswunderland die Sehnsucht nach fernen Ländern wie kein anderer. Dabei war er gar kein Seemann
Die Schlagerwelt des Wirtschaftswunders: Entweder rockte Peter Kraus ziemlich teutonisch vor sich hin. Oder Gerd Böttcher versprach, dass er für Gabi munter den Mülleimer runtertragen würde. Conny Froboess sorgte sich um zwei kleine Italiener, die jeden Abend zum Bahnhof gingen, um den D-Zug nach Napoli dann doch nicht zu besteigen.
Alles ein Klacks, verglichen mit Freddy Quinn, dem Botschafter der Sehnsucht nach fernen Ländern. Das Publikum nahm dem Mann mit dem gepflegten Haarschnitt und dem markanten Profil alles ab: Seit „Heimweh“(1956), das acht Millionen Mal verkauft wurde, war er festgelegt. Von da an war er dank cleverer Produzenten der Rastlose. Der Bariton sang vom Seemann, der „Die Gitarre und das Meer“auf die Erfolgswelle führte, auch „La Paloma“ zählte zu seinem Repertoire. Heute wird er 85 Jahre alt.
Ende der 50er Jahre galt der Österreicher in Deutschland als der größte Schlagerstar. Die Frauen standen auf sein gutes Aussehen. Die Männer an der Werkbank wie im Finanzamt wären am liebsten mit Freddy auf dem Dampfer mitgereist. Nach Rio, Hongkong und Tampico. Eine Illusion halt, wie in seinen Filmen. Weil Freddy, wie er später zugab, „so richtig nie“als Matrose zur See gefahren war.
Wer in Niederfladnitz (Niederösterreich) geboren wurde, hätte es allenfalls, wenn überhaupt, zum Donaudampfschifffahrtskapitän bringen können. Aber Freddy war ein Volltreffer. Mit Balladen („Junge, komm bald wieder“) eroberte er auch die Mütterherzen. Noch heute rätseln Freddy-Forscher, ob er denn nun Frauen oder Gitarren mehr liebte. „Juanita hieß das Mädchen aus der großen fernen Welt, und so nennt er die Gitarre, die er in den Armen hält“, sang er. Das Phänomen Freddy: Mit 16 Jahren schon ein Wanderleben im Zirkusmilieu geführt. Was seiner TV-Karriere nutzte. Manegenduft, Hochseilakrobatik, Auftritte mit Raubtieren. Hamburg bescherte Freddy mit „Heimweh nach St. Pauli“und „Große Freiheit Nr. 7“große Erfolge. Trotzdem lagen Schatten über seiner Karriere: Das Anti-Gammler-Lied „Wir“geriet 1966 in die Schusslinie, obwohl pseudodemokratische Phrasen eingebaut waren. Abgehängt von den Beatles, rückte Freddy nach rechts. „Ihr lungert herum in Parks und in Gassen, wer kann eure sinnlose Faulheit nicht fassen? Wir! Wir! Wir!“2004 verurteilte ihn das Landgericht Hamburg wegen Steuerhinterziehung von 900 000 Euro zu einer Bewährungsstrafe und 150000 Euro Geldbuße. Die Fans waren enttäuscht.
Freddy Quinn ist scheu. Auf der Straße weicht er aus. Irgendwann erfuhr man, dass seine 2008 gestorbene Managerin Lilli Blessmann seit Jahrzehnten auch seine Lebensgefährtin war. Mit 85 will einer seine Ruhe haben, der wirklich kein Junge mehr ist. Rupert Huber