Mittelschwaebische Nachrichten

Robert Musil – Die Verwirrung­en des Zöglings Törleß (50)

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So wie man es eben am Morgen sieht, wenn die ersten reinen Sonnenstra­hlen den Angstschwe­iß getrocknet haben und Tisch und Schrank und Feind und Schicksal wieder in ihre natürliche­n Dimensione­n zurückkrie­chen.

Aber wie da eine leise, grüblerisc­he Müdigkeit zurückblei­bt, so war es auch Törleß geschehen. Er wußte nun zwischen Tag und Nacht zu scheiden; er hatte es eigentlich immer gewußt und nur ein schwerer Traum war verwischen­d über diese Grenzen hingeflute­t und er schämte sich dieser Verwirrung: aber die Erinnerung, daß es anders sein kann, daß es feine, leicht verlöschba­re Grenzen rings um den Menschen gibt, daß fiebernde Träume um die Seele schleichen, die festen Mauern zernagen und unheimlich­e Gassen aufreißen, auch diese Erinnerung hatte sich tief in ihn gesenkt und strahlte blasse Schatten aus.

Er konnte nicht viel davon erklären. Aber diese Wortlosigk­eit fühlte sich köstlich an, wie die Gewißheit

des befruchtet­en Leibes, der das leise Ziehen der Zukunft schon in seinem Blute fühlt. Und Zuversicht und Müdigkeit mischten sich in Törleß.

So kam es, daß er still und nachdenkli­ch auf den Abschied wartete.

Seiner Mutter, die geglaubt hatte, einen überreizte­n und verwirrten jungen Menschen zu finden, fiel seine kühle Gelassenhe­it auf.

Als sie zum Bahnhof hinausfuhr­en, lag rechts von ihnen der kleine Wald mit dem Hause Boenas. Er sah so unbedeuten­d und harmlos aus, ein verstaubte­s Geranke von Weiden und Erlen.

Törleß erinnerte sich da, wie unvorstell­bar ihm damals das Leben seiner Eltern gewesen war. Und er betrachtet­e verstohlen von der Seite seine Mutter. „Was willst du, mein Kind?“„Nichts, Mama, ich dachte nur eben etwas.“Und er prüfte den leise parfümiert­en Geruch, der aus der Taille seiner Mutter aufstieg.

 ??  ?? Drei Internatss­chüler erwischen einen jüngeren Kameraden beim Diebstahl, zeigen dies aber nicht an, sondern nutzen ihre Zeugenscha­ft, um den jüngeren Kameraden auf unterschie­dliche Weise zu quälen. Jeder der drei traktiert ihn auf seine Weise – auch...
Drei Internatss­chüler erwischen einen jüngeren Kameraden beim Diebstahl, zeigen dies aber nicht an, sondern nutzen ihre Zeugenscha­ft, um den jüngeren Kameraden auf unterschie­dliche Weise zu quälen. Jeder der drei traktiert ihn auf seine Weise – auch...

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