Mittelschwaebische Nachrichten
Die Kugeln sollen Vergangenheit sein
Staatschef und Farc-Rebellen beenden den jahrelangen Bürgerkrieg. Amnestie gibt es nicht automatisch
Puebla Es ist einer dieser denkwürdigen Tage, an denen es gute Nachrichten in die Schlagzeilen schaffen. „Die Welt ist um einen Krieg ärmer“, sagt Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos am Montag bei der Unterzeichnung des Friedensvertrags in der Hafenstadt Cartagena. Und obwohl das nicht so ganz stimmt – die kleinere Guerrillagruppe ELN befindet sich noch immer im Krieg gegen den Staat –, werden sogar die Augen des gewieften Pokerspielers nach über vier Jahren gespannter Verhandlungen feucht, als die Gäste mit ihren weißen Taschentüchern winken und „nie wieder Krieg“rufen.
Es ist sein Tag. Santos hat geschafft, woran alle seine Vorgänger gescheitert sind. Die Unterzeichnung ist perfekt inszeniert, mit Beethovens „Ode an die Freude“, einheimischen Kinderchören, Friedenstauben und mit aus Patronenhülsen gefertigten Kugelschreibern, auf denen die Worte prangen: „Die Kugeln sind unsere Vergangenheit, die Bildung ist unsere Zukunft.“Es ist kein Zufall, dass sich Rebellenchef Timoleón Jiménez, genannt Timoschenko, ausgerechnet bei der Unterzeichnung, als alle Kameras auf ihn gerichtet sind, öffentlich für das Leid entschuldigt, das die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (Farc) den Kolumbianern in 52 Jahren Krieg zugefügt haben.
Die Unterzeichnung des Friedensvertrags ist erst der Anfang eines schwierigen Versöhnungs- und Befriedungsprozesses. Dass UNGeneralsekretär Ban Ki Moon und die Weltgemeinschaft ihre Unterstützung zugesagt haben, garantiert noch lange nicht, dass das Werk gelingt. Wie viel Hoffnung hatten die Friedensverträge in El Salvador oder Guatemala geweckt? Heute gehören beide Länder zu den gewalttätigsten der Welt. Bewaffnete Banden terrorisieren die Bevölkerung und lösen massive Fluchtbewegungen aus. Der Staat ist zur Beute einer kleinen Elite geworden.
Auch in Kolumbien gruppieren sich bereits Kriegsgegner und einstige Todesschwadronen, um in den ehemaligen Farc-Gebieten ihren blutigen Geschäften wie Landraub, illegalem Gold- und Smaragdabbau sowie Drogenschmuggel weiter nachzugehen. Vor der Friedenszeremonie marschierte ein Grüppchen Friedensgegner, angeführt vom rechten Ex-Präsidenten Alvaro Uribe, durch Cartagena. In den 90er Jahren scheiterte schon einmal die Umwandlung der Guerilla in eine Partei, als vom Militär unterstützte und von der rechten Elite finanzierte Todesschwadronen Jagd auf „Kommunisten“, Aktivisten und Menschenrechtler machten und 5000 von ihnen umbrachten.
Doch Kolumbien hat dazugelernt. Die drittgrößte Volkswirtschaft Lateinamerikas hat anders als Mittelamerika stabile Institutionen, professionelle Streitkräfte, hervorragende Universitäten und eine gut organisierte Zivilgesellschaft.
Geschichte haben die Kolumbianer schon jetzt geschrieben. Der fast 300 Seiten lange Friedensvertrag, so der ehemalige Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, Luis Moreno Ocampo, sei ein „ausgeklügeltes Meisterwerk“. Es sei der erste Friedensvertrag, in dem nicht automatisch Amnestie garantiert werde, sondern in dem neue Wege beschritten würden. Wer vor Sondergerichten seine Missetaten eingesteht, die Wahrheit beichtet, unrechtmäßig erlangte Güter zurückgibt und die Opfer entschädigt, wird mit alternativen Strafen belegt – dem Wiederaufbau zerstörter Schulen zum Beispiel, oder was auch immer den Richtern einfällt. Wer schwere Menschenrechtsverbrechen begangen hat, verliert seine politischen Rechte und kann mit Hausarrest und Ähnlichem zwischen zwei und acht Jahren belegt werden.
Diese Sonderjustiz gilt auch für Militärs und Zivilisten, die beispielsweise den Krieg finanziert haben. Dieser Mechanismus ist spannend, weil er die Hintergründe eines schmutzigen Kriegs ans Licht bringt. Und die Wahrheit ist noch immer der beste Impfstoff gegen eine Wiederholung des Jahrzehnte währenden Schreckens.