Mittelschwaebische Nachrichten
München ist die neue Stau Hauptstadt
Auf vielen Straßen in Deutschland geht zu Stoßzeiten nichts mehr. Warum sich die Lage eher verschlimmert
Augsburg Gute Nerven und viel Zeit müssen Autofahrer vor allem in München mitbringen. Die bayerische Landeshauptstadt darf sich ab sofort Deutschlands Stau-Hauptstadt nennen. Ein nicht gerade positiver Titel, der sich aber aus der Studie des Verkehrsdatenanbieters Inrix ergibt. Er hat das Stauaufkommen in 1064 Städten in 38 Ländern analysiert. Im weltweiten Vergleich der am verkehrsreichsten entwickelten Länder belegt Deutschland demnach Platz fünf und europaweit Platz vier. Autofahrer verbringen hier zu Stoßzeiten pro Jahr im Schnitt 30 Stunden im Stau – in München sind es sogar 49 Stunden.
Rang zwei in der Tabelle der zehn verkehrsreichsten Städte und Ballungsräume Deutschlands belegt Heilbronn. Es folgen Köln, Stuttgart und Hamburg. Bundesweit die staureichste Straße war nach Angaben von Inrix der Streckenabschnitt auf der A3 zwischen der Ausfahrt Dreieck Köln-Heumar in Richtung Norden bis zur A1. Dort hätten Fahrer vergangenes Jahr zu Stoßzeiten 37 Stunden im Stau gestanden – das entspricht etwa einer Arbeitswoche. München folgt auf Platz zwei der zehn verkehrsreichsten deutschen Straßen: die Hohenzollernstraße Richtung Westen über die Schwere-Reiter-Straße und Leonrodstraße bis zur Landshuter Allee.
Doch während in vielen Städten vor allem in der sogenannten Rushhour Schritttempo angesagt ist, kommen die Autofahrer in München innerhalb des Mittleren Rings selbst tagsüber und am Wochenende oft nur mühsam voran. Das ist Verkehrsexperte Holger Hochguertel bei der Erstellung der Inrix-Studie aufgefallen. Die Experten errechne- ten, dass sich die direkten und indirekten Kosten, die Staus verursachen, im Jahr 2016 insgesamt auf 69 Milliarden Euro summierten.
Doch will Hochguertel das hohe Verkehrsaufkommen nicht nur negativ gewertet sehen. Schließlich beweise es die Wirtschaftskraft einer Stadt. Und in München kommt seiner Ansicht nach noch dazu, dass viele Touristen vor Ort sind. Graham Cookson, Chefökonom bei Inrix, sieht in der verbesserten Wirtschaftslage von Deutschland generell eine Hauptursache des steigenden Verkehrs. Schließlich führe die gute Konjunktur zu einem schnelleren Wachstum und einer höheren Beschäftigung. Daneben spielen für den Verkehrsexperten Michael Schreckenberg die niedrigen Kraftstoffpreise eine Rolle. Der Professor an der Universität Duisburg-Essen macht aber auch den gestiegenen Güterverkehr für die wachsende Zahl an Staus verantwortlich. Und eine Verbesserung ist mit Blick auf den florierenden Onlinehandel für Schreckenberg kurz- und mittelfristig nicht in Sicht. Im Gegenteil.
Was aber sollen Pendler tun, die täglich im Stau stehen? Stauexperte Schreckenberg rät zu einem rücksichtsvolleren Fahren. Kein zu dichtes Auffahren also, kein Lückenhüpfen. Das größte Problem sieht der Physiker aber in den Ablenkungsmöglichkeiten, die moderne Medien bieten: Nicht selten stocke es, weil ein Autofahrer so sehr mit seinem Smartphone beschäftigt ist, dass er nicht merkt, dass es längst weitergeht. Und diese Gefahren steigen seiner Meinung nach. „Hier muss der Gesetzgeber eingreifen“, fordert Schreckenberg. Auf der anderen Seite muss aus seiner Sicht der öffentliche Nahverkehr attraktiver werden.