Mittelschwaebische Nachrichten
Zu Lande, zu Wasser, zur Luft und im Netz
Computer-Virus „Stuxnet“etwa legte 2010 zahlreiche iranische Uran-Zentrifugen lahm. Programmiert wurde es wohl von israelischen Spezialisten. Es muss aber nicht immer gleich hohe Programmierkunst sein: Unter anderem mit gezielt im Internet gestreuten Falschmeldungen soll zuletzt sogar versucht worden sein, die US-Präsidentschaftswahlen zu beeinflussen – verdächtigt wird Russland.
Cyber-Attacken können durchaus tödlich sein: So ist bekannt, dass im vergangenen Jahr die Mobiltelefone ukrainischer Artilleriesoldaten durch Hacker-Angriffe aus Russland mit einem Virus infiziert wurden, der ihren Aufenthaltsort preisgab. Diese Orte wurden dann gezielt beschossen und die Soldaten getötet. Gerade auch vor solchen Gefahren soll die neue Streitmacht die Bundeswehr besser verteidigen. Und im Bedarfsfall auch zurückschlagen können. „Wenn die Netze der Bundeswehr angegriffen werden, dann dürfen wir uns auch wehren“, sagt Ursula von der Leyen. Die Herausforderungen für das Kommando CIR sind also groß.
Sorgen macht der Truppe, dass im Moment noch viele Stellen unbesetzt sind. Denn die Bundeswehr konkurriert im Werben um die begehrten Computerspezialisten nicht nur mit der freien Wirtschaft, die in der Regel deutlich besser zahlt. Auch andere Behörden suchen händeringend Mitarbeiter, die sich in den Tiefen des weltweiten Datennetzes auskennen. Das beginnt bei Polizeieinheiten, die etwa organisierte Kriminalität im sogenannten „Darknet“bekämpfen sollen, wo mit Waffen oder Drogen gehandelt wird. Vielerorts krankt der Aufbau auf Internetkriminalität spezialisierter Dienststellen am Mangel an geeignetem Personal. Ebenso verzweifelt nach IT-Spezialisten suchen die Geheimdienste. Ein Großteil der Stellenanzeigen auf der Internetseite des Bundesnachrichtendienstes richtet sich an Bewerber mit Abschlüssen in Informatik oder verwandten Fächern. Doch die Behörde tut sich schwer, die Fachkräfte zu überzeugen. Der sonst so diskrete Arbeitgeber suchte zuletzt offensiv im Netz den „Sherlock Holmes im Cyberspace“. Der Verfassungsschutz versucht gar, neue DigitalAgenten mit dem Reiz des Verbotenen zu ködern: indem er Tätigkeiten in Aussicht stellt, die ansonsten streng bestraft werden – etwa die Überwachung von Telekommunikation. Auch bei der neuen Zentralstelle für Sicherheit in der Informationstechnik (Zitis), die Entschlüsselungstechniken für Geheimdienste und Polizei entwickeln soll, sind nach Medienberichten noch viele Stellen unbesetzt.
Wegen dieser starken Konkurrenz will die Bundeswehr ihre Cybersoldaten zum Teil selbst ausbilden. Etwa an einem neuen Forschungszentrum an der Bundeswehr-Universität München. Offen ist die Truppe auch für Bewerber mit abgebrochenem IT-Studium. Selbst die strengen Anforderungen, die normalerweise an die Fitness von Rekruten gestellt werden, sollen für künftige Cyber-Soldaten überdacht werden, heißt es.
Zu Lande, zu Wasser und zur Luft soll die Bundeswehr Deutschland beschützen. Jetzt auch im Internet. Die neue CyberTruppe steht auf Augenhöhe mit Heer, Marine und Luftwaffe. Damit reagiert das Verteidigungsministerium – wenn auch sehr, sehr spät – auf eine militärhistorische Zeitenwende. Kriegerische Bedrohung erreicht heute eine neue, eine vierte Dimension. Land- und Seestreitkräfte gibt es seit Jahrtausenden. Luftstreitkräfte spielen erst seit vergleichsweise kurzer Zeit eine größere Rolle. Vom ersten erfolgreichen Motorflug der Gebrüder Wright bis zum Einsatz von Kampfflugzeugen im Ersten Weltkrieg dauerte es nicht lang.
Das Internet hat nun nicht nur die Möglichkeiten der Kommunikation revolutioniert. Sondern auch ungeahnte Bedrohungsszenarien ermöglicht. Ungeahnt? Vor den Gefahren des weltweiten Datennetzes, dessen Entstehung ja auch auf Forschungen des US-Militärs zurückgeht, warnen Experten inzwischen seit Jahrzehnten. Aus Schreckensszenarien ist Realität geworden. Fremde Mächte stehlen Daten, streuen Propaganda, beeinflussen Wahlen und sabotieren technische Systeme. Selbst Staaten wie der Iran oder Nordkorea gelten als extrem kompetent im Umgang mit Cyberwaffen. Es war also höchste Zeit, dass sich die Bundeswehr nicht nur punktuell, sondern in ihrer ganzen Organisation auf die neue Dimension der Gefahr einstellt.